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Tagebücher, Biographien und Autobiographien

Lebensbeschreibungen haben in diesem ausgehenden 20. Jahrhundert geradezu inflationäre Ausmaße erreicht. Die Regenbogenpresse überschüttet die Leser mit einer Flut von (Schein-)Informationen und Bildern über fremde Leben, über Personen, denen ein gewisser Öffentlichkeitsstatus eignet, sei es durch Geburt oder Beruf. Der Masse wird Ersatz-Leben geboten, verstecktes Teilhaben an einer fernen Glitzerwelt, die dem Leser desto näher rückt, je menschlicher und damit bekannter die kolportierten Probleme sind. Der bisherige Höhepunkt dieser Schlüssellochguckerei, die selbst bescheidene Hausfrauen zu Privat-Psychologinnen werden ließ, war sicherlich der Tod Prinzessin Dianas. Jedoch soll nicht die phänomenale weltweite Identifikation und Volkstrauer hier behandelt werden, sondern jene Literaturgattung, die - da zwischen zwei Buchdeckel gepreßt - sich literarischen Anstrich verleiht, der den einzelnen Werken nur allzuoft abgeht.

Die biographische und autobiographische Literatur ist so vielgestaltig wie das Leben selbst. Wäre im Grunde jedes Leben in seiner Einzigartigkeit der Aufzeichnung wert, so gehört zur Selbstdarstellung jedoch mindestens ein gerüttelt Maß an Selbstbewußtsein und Exhibitionismus. Bekanntheit ist nicht unabdingbare Voraussetzung, wie wir spätestens seit Herbstmilch von Anna Wimschneider wissen. Bekannheit verführt aber zumindest in heutiger Zeit dazu, dem eigenen Leben schon in der Jugend soviel Bedeutung beizumessen, daß es veröffentlichenswert erscheint. Was früher dem Alter vorbehalten war - die Lebensdarstellung als Summe der Lebensweisheit, als Quintessenz der Existenz - oder den postumen Biographen, die einen Lebensweg als exemplarisch für eine Zeit, als Weg zur Lebensleistung, zum Lebenswerk begriffen, die sich mit den Lebens- und Schaffensproblemen eines Künstlers, Politikers, Staatsmannes auseinandersetzten, wird in der Gegenwart vielfach verdreht zu ahistorischen Klatschgeschichten, Sammlungen von Anekdoten und Belanglosigkeiten, Äußerlichkeiten. Stand früher und steht auch heute noch bei seriösen Biographien und Autobiographien die Einbettung eines Schicksals in die Stürme der Zeit im Vordergrund, die verändernde Leistung der biographierten Persönlichkeit, so finden heute gerade die unbeschwerten, netten Bücher reißenden Absatz, die das Leben von Personen aufbauschen, deren Beitrag für die Weltgeschichte gleich null ist. Es scheint eine zeittypische Erscheinung zu sein, die wohl am besten mit dem seit einiger Zeit gängigen Wort von der „Spaßgesellschaft“ beschrieben wird.

Um dennoch der Gattung Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, muß darauf hingewiesen werden, daß es noch immer eine große Anzahl von biographischen Werken gibt, die in bester literarischer und/oder wissenschaftlicher Manier geschrieben sind. In gewisser Weise beruhigend ist auch die große Diskussion, die die Veröffentlichung der Tagebücher 1933-45 von Victor Klemperer ausgelöst hat, die ganz Deutschland und die halbe Welt in Aufruhr versetzte. Gerade diese Mischung aus bewußt verfaßter Chronik des Schreckens und persönlichem, ja intimem Leben vermochte es, die gerne verdrängten Bilder aus der Zeit des Nationalsozialismus wieder zum Diskussionsgegenstand werden zu lassen. Genauso spektakulär ist das Tagebuch der Anne Frank, leider boten sich hier immer wieder Vorwände, dessen Echtheit zu bezweifeln. Ein Beweis dafür, inwieweit gerade solche Bücher auch von dieser oder jener politischen Richtung zu ihren eigenen Zwecken instrumentalisiert oder verdammt werden.

Wie unterschiedlich sich Biographen dem Subjekt ihrer Recherchen annähern können, belegt die Vielzahl von Biographien und Romanen über berühmte Persönlichkeiten der jüngeren und ferneren Vergangenheit. Ist es für den einen ein bestimmter Aspekt eines Lebens, beispielsweise in der Rowohlt-Reihe Paare das Zusammenleben zweier Partner (Zelda und F. Scott Fitzgerald, Bettina und Achim von Arnim, Simone de Beauvoir und Sartre), so bemüht sich der andere um möglichst umfassende, detailgenaue Darstellung, beides ist legitim. Auch die Sammlung von Anekdoten zu einer Person kann erhellend sein, wenn sie Charakterzüge oder Zusammenhänge offenbart, die ansonsten Gegenstand umständlicher Beschreibungen würden, wie die Eulenspiegel-Büchlein über Friedrich II. und Adolf Menzel beweisen oder Wieland Herzfeldes autobiographische Geschichten Immergrün. Am eindringlichsten finde ich aber die großen biographischen Romane, die eine Gestalt mit dem Schicksal anderer Personen und der geschichtlichen Entwicklung zu verweben vermögen. Hierbei werden die Wiederholungen der Geschichte, die Bezüge zur Gegenwart bei historischer Genauigkeit von selbst deutlich oder vom Autor zur Beschreibung eines speziellen Problems anschaulich gemacht, wie in Feuchtwangers Der falsche Nero.

Die Gefahr, bei Autobiographien nur die eigene Eitelkeit und den Publikumsgeschmack zu bedienen, ist groß. Wurden Autobiographien schon immer - wie schon der Name besagt - von lebenden Personen geschrieben, so wendet sich heute auch die biographische Literatur verstärkt lebenden (und zunehmend jüngeren) Personen zu. Auch werden die Autoren von Autobiographien durch die Verlage in immer früheren Lebensabschnitten zur Selbstdarstellung veranlaßt. Eine Katharina Witt zählt mit Blick auf die Ankündigungen von Büchern oder Filmen zu neueren Eislaufsternchen oder Teenie-Popgruppen bereits zu den reiferen Persönlichkeiten. (Auto-)Biographien sind immer auch eiskalt kalkuliertes Geschäft. Es mag als Glücksfall gelten, wenn daneben auch autobiographische Werke entstehen, die, bei aller möglichen Eitelkeit des Verfassers, Einblicke in dessen Lebens- und Denkungsart, seine Schaffensweise und in sein Jahrhundert geben, wie beispielsweise Jürgen Kuczynski oder Victor Klemperer in ihren Tagebüchern und Memoiren.

In diesem Heft sollen einige Rezensionen seriöser (auto-)biographischer Werke Anregung zum Lesen geben und Lust wecken auf eigene Entdeckungen, gerade weil der Buchmarkt unendlich groß ist und die hier vorgestellte Auswahl nur klein.

Licita Geppert


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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