Eine Rezension von Lili Hennry

Nähe, Kunst und Existenz

Walter van Rossum:

Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre. Die Kunst der Nähe.

Rowohlt. Berlin, Berlin 1998, 168 S.

Mit dieser Doppel-Biographie setzt Rowohlt. Berlin seine von Claudia Schmölders herausgegebene Reihe Paare fort. Wie schon bei Bettina und Achim von Arnim sowie Zelda und Francis Scott Fitzgerald handelt es sich bei den hier Porträtierten um ein literarisch-schöpferisches Paar, das eine Art selbstinszeniertes Leben lebte. Selbstverliebt und verliebt in den Partner werden uns „Castor“ (so der Kosename Sartres für Simone de Beauvoir) und Sartre vom Autor vorgestellt. Muß auch die Verliebtheit beider dem Alltag weichen, so bleiben sie einander doch in einer lebenslangen, engen Bindung nahe und finden unentwegt neue Ansätze für ihre Gemeinschaft, die erst durch den Tod Sartres im Jahr 1980 beendet wurde. Simone de Beauvoir gewinnt durch die Projektion Sartres auf sich Selbstbewußtsein und Kreativität: „Er gefiel mir immer besser; und das Angenehme dabei war: durch ihn gefiel ich mir selbst.“

Die hübsche, wenn auch spröde Simone de Beauvoir verliebte sich in den stark schielenden, als Mann völlig unattraktiven Sartre. Beide einte die große Sehnsucht nach geistiger Unabhängigkeit. Ihrer beider Intelligenz, ihr Witz, ihr Lebens- und Gestaltungswille führten in der Folge zu einer immensen literarischen Produktivität. Wie ihre Lebensweise war auch ihr dichterisches Schaffen dem Existentialismus verhaftet. Sie nahmen teil an den gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen ihrer Zeit. Ihr an privaten Brüchen und gesellschaftlichen Umschwüngen reiches Leben konnte die Liebe zueinander jedoch nie zerstören, nur wandeln, festigen.

Die Partner siezten einander zeitlebens. Was sie dazu veranlaßte, ist heute schwer nachvollziehbar - war es nur manieriert oder übergroße Verehrung füreinander? In der deutschen Übersetzung wirken leider viele im französischen Original poetisch klingende Passagen nur profan und geben die Schreiber dieser intimen Botschaften der Lächerlichkeit preis, verstärkt durch die Schwülstigkeit ihrer Aussage. „Ich liebe Sie so sehr, mein zarter Kleiner, heftiger denn je. Und ich werde Sie wiedersehen. Ich liebe Sie und umarme Sie leidenschaftlich, Sie, der mein Leben so schön gemacht hat.“ Sartre antwortet darauf ähnlich leidenschaftlich, wenn auch mit einem Hauch weniger Pathos: „Sie sind ich. Ich bin ganz gerührt von Ihnen, ich liebe Sie. Ich habe nie so stark gespürt, daß unser Leben keinen Sinn mehr hat außerhalb unserer Liebe und daß nichts daran etwas ändert, weder die Trennungen noch die Verliebtheiten, noch der Krieg. Sie sagten, das sei ein Erfolg für unsere Moral, aber dies ist genauso ein Erfolg für unsere Liebe. Ich liebe Sie.“ (S. 12) Diese Zeilen entstanden im Jahre 1939, als beide schon seit zehn Jahren miteinander verbunden waren. Diese Worte werden, während die Welt um sie herum tobte, zu einem Lebensprogramm. Ihr letzter gemeinsamer Anschlag auf die Verlogenheit der bürgerlichen Welt gelang den beiden postum durch die Veröffentlichung ihres Briefwechsels im Jahre 1997, der zahlreiche ihrer Anhänger, die sie jeweils für ihre eigene Glaubensrichtung vereinnahmen wollten, enttäuschen mußte: Sie waren nichts weniger als ein „monogames Paar ohne Fehl und Tadel“. Ihre „Kunst der Nähe“ bestand offensichtlich in einer Kunst des Loslassens und der Zwanglosigkeit.

Leider ist der Biograph seinen Protagonisten verfallen. Er versucht sich in teilweise unverständlich gedrechselten Sätzen, die Inhalt vortäuschen. Walter van Rossum unterliegt einem gestalterischen Irrtum, wenn er sich bemüht, das Pathos und die Brüche ihres Lebens in seine erzählerische Diktion zu übernehmen. Er berauscht sich an diesen Kopfgeburten und fügt unentwegt eigene Wertungen hinzu, wodurch anstelle einer literarischen eine rein intellektuelle Biographie über zwei an sich spannende Lebenswege entstanden ist, was den Reiz für den Leser erheblich mindert.


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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