Eine Rezension von Eberhard Fromm

Eine Wunderwaffe der modernen Medizin?

Russel J. Reiter/Jo Robinson: Melatonin
Die neue Waffe gegen Alter und Krankheit.
Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München 1996, 383 S.

Das Buch der beiden amerikanischen Autoren beginnt mit einem ungewöhnlichen Hinweis. Dem Leser wird ausdrücklich gesagt, daß man keine medizinischen Ratschläge erteilen will und für Schäden aus den praktischen Hinweisen des Buches keine Gewähr übernehmen wird. Wie bedeutungsvoll diese Anmerkung des Verlages ist, wird einem erst klar, wenn man das Buch gelesen hat. Der Wissenschaftler Russel Reiter, der zu den profiliertesten Melatonin-Forschern gehört, und der Wissenschaftsjournalist Jo Robinson entwickeln derart überzeugend das heutige Wissen über Melatonin und dessen therapeutische Möglichkeiten, sie beschreiben den komplizierten Stoff so eingängig, daß man dieses Buch leicht in den Rang seines persönlichen „Doktorbuches“ erheben könnte, um sich selbst zu diagnostizieren und zu therapieren.

Melatonin ist ein körpereigenes Hormon, das in der Zirbeldrüse produziert wird. Erst in jüngster Zeit wurde erkannt, daß Melatonin „eine der vielseitigsten und potentesten Substanzen in unserem Körper ist und daß es bei der Aufrechterhaltung unserer Gesundheit und unseres Wohlbefindens in allen Lebensstadien eine wichtige Rolle spielt.“ In den USA begann ein überraschender Vormarsch dieser Substanz, gilt sie dort doch als Nahrungsergänzungsmittel und ist frei verkäuflich. Da Melatonin in Deutschland als Arzneimittel gilt, muß es erst noch zugelassen werden und kann nur über Rezept bezogen werden.

Im ersten Teil des Buches („Die natürliche Wunderdroge Ihres Körpers“) wird die Entdeckungs- und Forschungsgeschichte zum Melatonin erzählt. Schon hier wird man durch die fesselnde und populäre Darstellung der Autoren in das komplizierte Gebiet der biologischen und medizinischen Grundlagenforschung so gekonnt eingeführt, daß man die einzelnen Erkenntnisse und Entdeckungen auf dem Gebiet der Melatonin-Forschung nicht nur begreift, sondern daß sie für den Leser zu einem spannenden Geschehen werden. Natürlich spielt dabei auch jene überraschende Vielfalt von Anwendungsmöglichkeiten eine Rolle, die hier vorgestellt wird: als ein natürliches Schlafmittel, zur Angleichung an den Biorhythmus, als Schutz gegen freie Radikale, zur Stärkung des Immunsystems, zur Regelung von Blutdruck und Cholesterinspiegel, im Einsatz gegen Krebs und Aids, als Mittel zur Lebensverlängerung. Dabei bleiben die Autoren stets sachlich und verweisen immer wieder auf den derzeit erreichten Erkenntnisstand der Forschung, darauf, daß wir es hier mit einem brandneuen Gebiet des medizinischen Wissens zu tun haben.

Im zweiten Teil („Die Erhaltung eines gesunden Melatonin-Spiegels“) geht es um Informationen über die körpereigene Melatonin-Produktion und jene Maßnahmen, die dieser Produktion dienen oder schaden. Das reicht von der positiven Bedeutung des Lichts sowie der richtigen Ernährung und Lebensweise bis zu den negativen Einwirkungen elektromagnetischer Felder und melatoninhemmender Medikamente. Nicht zuletzt werden Hinweise über zusätzliche Melatonin-Einnahmen gegeben. Dabei weisen die Autoren nachdrücklich darauf hin, daß Melatonin ungiftig ist. Zugleich betonen sie aber auch, daß diese Substanz zwar vielversprechend sei, daß man aber gegenwärtig noch wenig über richtige Dosierungen und Verabreichung wisse. Es ist also eine persönliche Entscheidung, über die man gründlich nachdenken sollte. Vor allem älteren und kranken Menschen, bei denen eine Melatonin-Theraphie helfen könnte, geben die Autoren recht exakte Vorschläge.

Im dritten Teil („Zukunftsperspektiven der Melatonin-Forschung“) verweisen die Autoren auf die ständig wachsende Zahl von Forschungsprojekten, die sich mit den Möglichkeiten des Melatonin für spezifische Gebiete - vom Kampf gegen Migräne bis zu Schutzmaßnahmen gegen Strahlenschäden - befassen. Etwas detaillierter gehen sie auf den Einsatz von Melatonin bei Autismus, Epilepsie, plötzlichem Kindstod und Diabetes ein.

Von der ersten bis zur letzten Zeile des Buches spürt man die Begeisterung des Forschers, der sich mit den so erfolgversprechenden Möglichkeiten des Melatonin identifiziert. Um so schockierender wirken dann die abschließenden Informationen über das „Schicksal herrenloser Arzneimittel“: Für notwendige Großforschung zum Einsatz von Melatonin gegen Krebs, Aids, Diabetes, Herzerkrankungen usw. wird Geld benötigt. Pharmakonzerne stecken aber nur dann Gelder in die Forschung, wenn man erhofft, profitable neue Mittel auf den Markt bringen zu können. Für Melatonin gibt es jedoch keinen Patentschutz, so daß kaum eine Firma zu finden sein wird, die Gelder für Forschung und Erprobung bereitstellt. „So ist das also in einer Wirtschaftsordnung, in der Pflege der Kranken, Verletzten und Alten Gewinne einbringen muß“, heißt es resignierend am Ende des Buches.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 05/97 (c) Edition Luisenstadt, 1997
www.berliner-lesezeichen.de

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