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Kurt Wernicke
Probelauf »Preußenschlag«

Der 20. Juli 1932 als Test für den 30. Januar 1933

Historische Prozesse werden von der Geschichtsschreibung gern an einem einzigen Datum festgemacht, das aus dem betreffenden Prozess markant hervorragt. Die Gründung des wilhelminischen Kaiserreichs wird auf den 18. Januar 1871 datiert - der doch nur die Ausrufung des preußischen Königs zum deutschen Kaiser brachte. Ähnlich ist es mit dem 30. Januar 1933. Mit ihm wird üblicherweise das Ende der Weimarer Republik angesetzt. Aber die Berufung des Kabinetts Hitler- Papen an jenem Tage setzte noch nicht die Weimarer Verfassung außer Kraft; das geschah erst mit der Annahme des Ermächtigungsgesetzes durch die in der Verfassung für solche Fälle vorgesehene Zweidrittelmehrheit im Reichstag am 23. März 1933. Der 30. Januar brachte »nur« die lange erwartete Einbeziehung der extrem rassistisch- chauvinistischen Rechten in eine autoritäre - weil ohne parlamentarische Basis agierende - rechtsorientierte Reichsregierung und damit implizit verbunden die Ausschaltung der republiktreuen Kräfte von jeglichem Machthebel in Deutschland.

Auf dem Wege dorthin hat es mehrere Zwischenstationen gegeben, deren wichtigsten eine auf den 20. Juli 1932 fiel.

Brüning löst den Reichstag auf

Angefangen hat der Prozess der Ablösung der ersten deutschen Republik durch ein staatsrechtlich legitimiertes diktatorisches Regime schon am 30. März 1930. Da ernannte der Reichspräsident in der Person des Zentrumspolitikers Heinrich Brüning (1885-1970) einen Reichskanzler, der ihm erstmals nicht vom Reichstag als Haupt einer die parlamentarische Mehrheit sichernden Koalition präsentiert, sondern in der Präsidialkanzlei unter alten Regimentskameraden ausgekungelt worden war - dem Staatssekretär im Reichswehrministerium, General Kurt von Schleicher (1882-1934), und dem Sohn des Reichspräsidenten, Oberst Oskar von Hindenburg (1883-1960). In seiner Antrittsrede vor dem Reichstag stellte Brüning gleich klar, dass er einen Auftrag des Reichspräsidenten habe und nicht an eine parlamentarische Koalition gebunden sei; käme er mit seinem Programm im Reichstag nicht durch, werde er diesen auflösen. Dem Parlamentarismus war damit bereits der Kampf angesagt, wenngleich sich dieser noch auf dem Boden der Verfassung abspielen sollte.
     Die von Brüning als sakrosanktes Programm verfolgte Politik der Deflation musste durch Steuererhöhungen und Kürzungen der Ausgaben getragen werden.

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Das entsprechende Gesetzespaket wurde erwartungsgemäß im Juli vom Reichstag abgelehnt. Da verkündete Brüning es als vom Reichspräsidenten - aufgrund der diesem nach Artikel 48 der Weimarer Verfassung zustehenden Vollmachten - erlassene Notverordnung; die musste aber nach der Verfassung vom Reichstag bestätigt werden. Doch am 16. Juli 1930 fiel sie dort durch. Nun machte Brüning seine Drohung wahr und löste per Dekret des Reichspräsidenten den Reichstag auf. Bis zu den Neuwahlen am 14. September regierte er weiter mit Notverordnungen.
     Damit war eine Entwicklung eingeleitet, die nach der Aushöhlung der parlamentarischen Republik von unten durch alte kaiserliche Generale, Beamte und Richter und ein breites Spektrum weiterer Unzufriedener die erst allmähliche, dann aber galoppierende Aushöhlung von oben brachte. Denn die von ihm provozierten Reichstagswahlen im September 1930 bescherten Brüning eine Überraschung: Er hatte auf die Erreichung einer breiteren parlamentarischen Basis gezielt und hätte dann wohl ganz gern wieder parlamentarisch regiert. Stattdessen brachten die Wahlen zwar den von Brüning erhofften entscheidenden Einbruch bei den republikfeindlichen Deutschnationalen - aber leider zugunsten der bis dahin marginalen NSDAP,
die mit 18,3 Prozent der Stimmen als zweitstärkste Partei abschnitt und ihre vorher 12 Abgeordneten auf nunmehr 107 erhöhte! An ihr führte künftig keine Überlegung zur deutschen Innenpolitik mehr vorbei.
     Brüning nahm dann auch Anfang Oktober mit Hitler (1889-1945) Kontakt auf, um die Haltung der NSDAP zu einer Tolerierung seiner Politik auszuloten - und empfing eine herrische Absage, da die NSDAP im Hochgefühl ihres Erfolgs schon jetzt auf Alleinherrschaft setzte, um dem ganzen »System« ein Ende zu bereiten. Nur widerwillig mußte Brüning nun auf die Tolerierung seiner Regierung durch die SPD- Reichstagsfraktion setzen, deren Partei in der von ihm betriebenen Ablösung der parlamentarischen Demokratie durch eine Präsidialdemokratie gegenüber der Alternative einer drohenden rechtsautoritären Regierung das immer wieder beschworene »kleinere Übel« sah. Dieses »kleinere Übel« brachte es allerdings mit sich, dass noch 1930 den 52 vom Reichstag verabschiedeten Gesetzen nur fünf Notverordnungen gegenüberstanden, 1931 aber schon ein Verhältnis von 19 Gesetzen zu 41 Notverordnungen eintrat und 1932 nur ganze fünf Gesetze gegen 60 Notverordnungen zu zählen waren! Parallel dazu wurde die Rolle des Reichstages immer mehr zurückgedrängt: 1930 fanden 94 Sitzungen statt, 1931 41 und 1932 nur noch ganze 13.
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Immer öfter vertagte sich der Reichstag für Wochen und Monate.
     Eine mögliche rechtsautoritäre Regierung für Deutschland war zugegebenermaßen schon zum Jahresende 1931 keine bloße Chimäre mehr. Bei den Landtagswahlen in den einzelnen deutschen Ländern setzte die NSDAP ihre Erfolgsbilanz vom Frühherbst 1930 fort: In den Ländern Braunschweig, Oldenburg, Hessen, Schaumburg- Lippe erreichte die NSDAP zwischen 25 und 38 Prozent, stellte Landesminister (in Braunschweig sogar den Innenminister) und erhob in Oldenburg Anspruch auf den Ministerpräsidentensessel. Die immer heftiger wütende Weltwirtschaftskrise ließ die Zahl der Arbeitslosen immer weiter wachsen, und Brünings anhaltende Deflationspolitik raubte immer mehr Arbeitnehmern Teile ihres Lohnes. Wer nicht im Arbeitermilieu oder katholisch sozialisiert war, wanderte angesichts der ungestüm wachsenden Opposition gegen das »System« stracks nach rechts ab. Bei der Stichwahl zur Wahl des Reichspräsidenten am 10. April 1932 vereinte der mit dem diesmal selbst von der SPD unterstützten Ersatz- Kaiser Hindenburg (1847-1934) konkurrierende Hitler als Exponent der extremen Rechten gegen den natürlich nicht zu schlagenden »Sieger von Tannenberg« 36,7 Prozent der Wählerstimmen auf sich. Das waren 13,4 Millionen Deutsche, die ihr Heil von einem Reichspräsidenten Hitler erhofften.
Preußen als Bastion von Parlamentarismus und Demokratie?

Jedoch stand das größte deutsche Land, der Freistaat Preußen, angesichts der im Reich schon beseitigten und in dessen Gliedern durch NSDAP- Minister arg bröckelnden parlamentarischen Demokratie auf der Basis der Weimarer Verfassung wie ein Fels in der Brandung. Die Koalition aus SPD, Zentrum und Demokratischer Partei (Nachfolgerin der linksdemokratischen Fortschrittspartei), die 1919 die Nationalversammlung beherrscht und die Weimarer Verfassung verabschiedet hatte, war im Reich schon 1920 zu Ende gegangen - hier in Preußen aber stand sie unerschüttert als Garant stabiler parlamentarischer Verhältnisse: Vorzeitige Landtagsauflösungen - analog zu Reichstagsauflösungen - waren in Preußen ebenso unbekannt wie Minderheitenkabinette. Als eine breite Front von Rechtskräften (der aus Hass gegen den angeblichen SPD- »Sozialfaschismus« selbst die KPD beigetreten war) 1931 in Preußen einen Volksentscheid gegen die Koalitionsregierung lostrat, verpuffte die gewaltige Anstrengung: Mit 36 Prozent für die Ablösung der Preußen- Regierung blieb die vereinte Opposition von rechts und links weit unter ihren hohen Erwartungen. Dem preußischen Innenminister - traditionell ein Sozialdemokrat - unterstand die gesamte preußische Polizei, deren Schutz- und Sicherheitspolizei über fast 100000 Mann

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Festnahme des Kommandeurs der Berliner Schutzpolizei durch die Reichswehr
gut ausgebildeter Kräfte verfügte, die auch waffenmäßig gut gerüstet dastanden, denn sie besaßen sogar leichte Panzerfahrzeuge, die der ebenfalls (aber im gesamten Reich!) 100000 Mann zählenden Militärmacht Reichswehr durch den Versailler Vertrag verboten waren. An markigen Worten von Trägern der preußischen Regierungsgewalt fehlte es denn auch nicht, besonders dann nicht, wenn sie vor Vertretern der demokratisch- republikanischen Selbstschutzverbände - allen voran dem paramilitärischen »Reichsbanner« - auftraten. Da gelobte man sich dann auf Massenkundgebungen gegenseitig, dass Hitler niemals an die Macht kommen solle, denn die demokratisch gesinnten und zur Verteidigung der Weimarer Republik bereiten Massen würden alles einsetzen, um das Unglück einer faschistischen Herrschaft von Deutschland abzuwenden.
     In das hochgemute Gefühl von Preußen als der Bastion von Parlamentarismus und Demokratie brachen nun allerdings die Landtagswahlen vom 24. April 1932 wie ein eiskalter Aprilschauer ein. Die drei Parteien der Regierungskoalition kamen nur noch auf 206 von 423 Sitzen, die NSDAP stellte mit 162 Abgeordneten die weitaus stärkste Fraktion. Das protestantische Landvolk war, wie in anderen deutschen Ländern schon zuvor, der Nazi-Parole »Brechung der Zinsknechtschaft« auf den Leim gegangen und in Massen zur Nazi- Wählerschaft übergelaufen. Wenn man Nazis plus republikfeindliche Deutschnationale (zusammen 193) und die KPD- Abgeordneten (57) zusammenrechnete,
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kam man auf 250 Abgeordnete, die der bisherigen stabilen Regierungskoalition selbst dann überlegen waren, wenn diese die Stimmen einiger kleiner Parteien einzusammeln vermochte. Der Freistaat Preußen war parlamentarisch unregierbar geworden, denn die Weimarer Verfassung legte in Artikel 17 fest: »Die Landesregierung bedarf des Vertrauens der Volksvertretung.« Konsequenterweise trat Ministerpräsident Otto Braun (1872-1955) am 19. Mai zurück und begab sich in die Schweiz, den Zentrumspolitiker Heinrich Hirtsiefer (1876-1941) als amtierenden Chef einer nur noch »geschäftsführenden« Preußen- Regierung zurücklassend, der allerdings die Geschäftsgrundlage abhanden gekommen war.
     Angesichts dieser neuen Konstellation passte es, dass ab 1. Juni 1932 auch im Reich eine gravierende Veränderung eingetreten war: Reichspräsident Hindenburg hatte Reichskanzler Brüning als zu konzessionsbereit gegenüber der demokratischen Linken schlankweg entlassen. Nach der Verfassung wäre ein Reichskanzler nur durch den Reichstag zu stürzen gewesen - aber die von Brüning praktizierte Präsidialdemokratie funktionierte eben anders: Der Reichspräsident erklärte ihm, er werde ihm künftig keine Notverordnungen mehr unterschreiben, mit denen jener zu regieren pflegte, und das zwang Brüning zur Aufgabe. Sein Nachfolger wurde ein einstiger Zentrumsabgeordneter des Preußischen Landtags, der sich dem politischen
Kopf der Reichswehr, Schleicher, durch gemeinsame Abende - einst im Kasino des Großen Generalstabs nahe der Moltkebrücke und jetzt im exquisiten »Herrenklub«, Jägerstraße 3 - empfohlen hatte: Franz von Papen (1879-1969), der den äußersten rechten Flügel der Zentrumspartei repräsentierte und nur als Strohmann der politisch agierenden Militärs berufen wurde. Er leitete den Übergang von der Präsidialdemokratie zur Präsidialdiktatur ein.
     Was er vom Parlament hielt, demonstrierte er bereits mit seiner Regierungserklärung: Er gab sie im Rundfunk ab, nicht vor dem Reichstag! Schon drei Tage nach seinem Einstand bewog er Hindenburg zur Auflösung desselben und Ansetzung von Neuwahlen. Für Preußen schwebte ihm - als Test für eine reichsweite Lösung - eine Beendigung der permanenten Regierungskrise durch eine Mitte-Rechts- Koalition vor, und so initiierte er Gespräche über ein mögliches Zusammenwirken von NSDAP, Deutschnationalen und Zentrum. Dass sie nicht zum Ziel führten, lag nicht an Deutschnationalen und Zentrum, sondern allein an dem Totalitätsanspruch der Nazis, die - übrigens parlamentarisch korrekt - den Ministerpräsidenten für sich verlangten, aber auch eine unbeschränkte Vollmacht für dessen Auswahl der Minister.
     Daraufhin visierte Papen Alternativen an. Die erste war der Knüppel einer schon länger debattierten Reichsreform, die Preußen auflösen und seine Provinzen zu deutschen Ländern machen würde.
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Da dieser Weg aber seine Zeit brauchen würde, fasste Papen die zweite ins Auge, die ihm der sozialdemokratische Reichspräsident Ebert (1871-1925) 1923 unter Berufung auf den Verfassungsartikel 48 bereits vorgemacht hatte. Angesichts parlamentarisch zustande gekommener Linksregierungen in Sachsen und Thüringen hatte Ebert damals erklärt, dort seien Ruhe und Ordnung gefährdet, und von seinem Recht Gebrauch gemacht, die bewaffnete Macht zu deren Ablösung einzusetzen und zur Verwaltung einen »Reichskommissar« zu berufen. Die Gewaltlösung mittels eines Reichskommissars lag so nahe, dass sie in der Berliner Presse ganz ungeniert diskutiert wurde. Auf interne Sorgen in der preußischen Ministerial- bürokratie, die unter einem Reichskommissar ihre Posten gefährdet sah - wie sich später zeigte, bestanden solche Sorgen durchaus zu Recht -, ließ der geschäftsführende preußische SPD- Innenminister Carl Severing (1875-1952) unter der Hand beruhigend mitteilen, ein eventueller Reichskommissar werde bei seinem Eintreffen von der preußischen Polizei einfach verhaftet werden!

Hindenburg ließ das Datum offen

Davon unbeeindruckt, verfolgte Papen seine Absicht, Eberts ungeschlachte Knüppelpolitik von 1923 gegen die radikale Linke nun gegen die republikanische Linke zu kopieren.


Reichspräsident v. Hindenburg ordnet die Auflösung des Reichstages an, 12. September 1932

Er brauchte nur eine entsprechende Verordnung des Reichspräsidenten, und die holte er sich von Hindenburg am 14. Juli in dessen Urlaubsort Gut Neudeck in Ostpreußen. Sie setzte Papen als Reichskommissar für Preußen ein und bevollmächtigte ihn, die dortige Regierung in die Wüste zu schicken; begründet wurde das mit der »Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung«.

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Ein Datum setzte Hindenburg nicht ein - Papen konnte zu einem ihm geeignet scheinenden Zeitpunkt losschlagen. Er hatte den 20. Juli dafür vorgesehen, aber Severing machte die Begründung unglaubwürdig, als er scharfe Maßnahmen gegen Waffenbesitz und Straßenkrawalle ankündigte.
     Wie durch ein Wunder (!) brachte aber der 17. Juli im damals noch preußischen Altona bei Hamburg einen provokatorischen Nazi- Marsch durch KPD- beherrschte Wohnviertel, begleitet von einer unausbleiblichen Straßenschlacht, bei der 15 Tote als erste Tagesbilanz gezählt wurden. Nun konnte die Hindenburg in die Feder diktierte Begründung wieder herangezogen werden, und genau nach Plan begann am Mittwoch, dem 20. Juli, um 10 Uhr mit der Einbestellung des preußischen amtierenden Ministerpräsidenten wie des geschäftsführenden Innenministers und dessen Kollegen vom Finanzressort in die Reichskanzlei, Wilhelmstraße 77, der »Preußenschlag«. Den dreien wurde die Hindenburg- Verordnung mitgeteilt, gegen die nur der Sozialdemokrat Severing aufmuckte. Es gäbe nicht einen einzigen Beweis dafür, dass Preußen weniger für Ruhe und Ordnung gesorgt habe als andere deutsche Länder. Von Papen scharf befragt, ob er seine dienstlichen Obliegenheiten freiwillig seinem beauftragten Nachfolger Franz Bracht (1877-1933), einem treuen Gefolgsmann des rechten Flügels der Zentrumspartei, übergeben werde,
brachte Severing den offenen Verfassungsbruch zur Sprache (erinnerte er sich in diesem Augenblick vielleicht an den Ebertschen von 1923?) und nahm für sich in Anspruch, als republikanischer Minister sich nicht selbst den Makel der Desertion anheften zu müssen. Er werde nur der Gewalt weichen! Noch am selben Vormittag wurde durch den Befehlshaber des Reichswehrgruppenkommandos I/ Berlin- Brandenburg, Generalleutnant Gerd von Rundstedt (1875-1953), der militärische Ausnahmezustand verhängt, und winzig- kleine Reichswehr- bzw. Polizeikommandos (für Severings Büro reichten zwei Polizeioffiziere!) besetzten das preußische Innenministerium, Unter den Linden 72/73 (heute Nr. 76, Ungarische Botschaft), sowie das Berliner Polizeipräsidium und die Zentrale der Schutzpolizei, beide in der berühmtberüchtigten »roten Burg« am Alexanderplatz. Der Berliner Polizeipräsident (er war zugleich Landtagsabgeordneter und genoss als solcher eigentlich Immunität!), sein Stellvertreter und der Kommandeur der Schutzpolizei, die auch nur »der Gewalt weichen« wollten, wurden am späten Nachmittag von der Reichswehr für etliche Stunden in »Schutzhaft« genommen und in der Kaserne des Wachregiments Berlin (offiziell hieß es Wachtruppe) in der Rathenower Straße in Moabit arretiert.
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Von hier wurden sie wieder entlassen, als sie sich unterschriftlich verpflichtet hatten, keine Amtshandlungen mehr vorzunehmen. Wirklicher Widerstand trat nicht auf. Das war auch nicht verwunderlich, denn schon am 16. Juli hatte der Parteivorstand der SPD angesichts der drohenden weiteren Verfassungsbrüche beschlossen: Was auch immer kommen möge, die SPD werde die Rechtsgrundlage der Verfassung nicht verlassen.
     Dementsprechend fiel dann auch die Reaktion der SPD aus. Sie lehnte ab, auf Gewalt mit Gewalt zu antworten, und enttäuschte die oft genug mit von Kampfbereitschaft strotzenden Reden motivierten Polizisten und Reichsbanner- Mitglieder, denen mit hoher Wahrscheinlichkeit - wenn auch nicht, um die Republik zu verteidigen, sondern in der Hoffnung auf eine Weiterentwicklung des einmal ausgebrochenen Abwehrkampfes zur proletarischen Revolution - der seit 1929 illegale, aber nichtsdestoweniger schlagkräftige Rote Frontkämpfer- Bund der KPD zu Hilfe geeilt wäre. Stattdessen beschritt sie am 21. Juli den Weg der Verfassungsklage beim Staatsgerichtshof. Der hatte aber schon ausgangs der zwanziger Jahre den »Staatsnotstand« als normsetzenden Faktor in Angelegenheiten der Verfassung erfunden. Er lehnte die verlangte Einstweilige Verfügung gegen den »Preußenschlag« am 25. Juli ab mit der famosen rechtlichen Begründung, er wolle dem späteren Urteil nach Abschluß des juristischen Verfahrens nicht vorgreifen.
Das fand dann Ende Oktober die Absetzung der geschäftsführenden preußischen Regierung zwar nicht rechtens, aber wegen des »Staatsnotstandes« durchaus hinnehmbar. Immerhin verfügte es deren weitere Anwesenheit in der Ländervertretung Reichsrat sowie - und das war doch für die Kläger ein stolzer Erfolg! - die Weiterzahlung der Gehälter an die aus ihren Ämtern vertriebenen Minister.
     Zu diesem Zeitpunkt hatte Reichskommissar Papen schon mit dem eisernen Besen durch den Freistaat Preußen gekehrt: 105 hohe Beamte (Staatssekretäre, Regierungspräsidenten, Landräte, Polizeipräsidenten) mit einem sozialdemokratischen oder nur einfach demokratischen Hintergrund wurden in Pension oder Zwangsurlaub geschickt und durch konservative Kommissare ersetzt. Das Bollwerk der Demokratie in der Weimarer Republik, der Freistaat Preußen, war nach dem 20. Juli 1932 kaum noch als Schanze für ein Rückzugsgefecht anzusprechen. Die Generalprobe am 20. Juli 1932 für eine offene, aber durch legalen Schein überdeckte Machtübernahme der Rechten unter dem dünnen durchlöcherten Mantel der arg strapazierten Weimarer Verfassung hatte erwiesen, dass trotz imposanter Organisationen und tönender Bekenntnisse der Linken kein wirklicher Widerstand von dieser Seite zu erwarten war. Auch die republikanisch gestimmten Massen glaubten nach den Erfahrungen des 20. Juli 1932 nicht mehr wirklich an möglichen Widerstand.
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Als dann der 30. Januar 1933 kam, kannte man ja schon so gut wie alles, was zu erwarten war; denn mit Notverordnungen, dem präsidialen Auflösungsdekret für einen eben erst gewählten Reichstag, mit Reichskommissaren, politisch motivierten Entlassungen, Wegwischen der Abgeordnetenimmunität und Schutzhaft war man ja bereits vertraut. Und ebenso vertraut war man mit den rituell dazugehörenden Aufforderungen der sozialdemokratisch- republikanischen Führer, Ruhe zu bewahren und die Kräfte für künftige entscheidende Kämpfe zu schonen. Prompt bekannte sich dann auch am Tage der Vereidigung der Hitler- Papen- Regierung die Führung der eigens zur Verteidigung der Republik im Dezember 1931 gegründeten, sozialdemokratisch dominierten Sammlungsbewegung »Eiserne Front« voller Stolz dazu, dass sie ihren Kampf auf dem Boden der Verfassung führe und daher ihre Anhänger beschwöre, sich für den Fall bereitzuhalten, dass die neue Regierung diesen Boden verlassen würde. Auch die KPD- Anhänger konnten durch Alarmrufe über den nun ausgebrochenen Hitler- Faschismus kaum zu einer neuen Qualität im politischen Widerstandswillen gegen das nun installierte Regime aufgeschreckt werden - hatten sie doch seit 1929 ihre Kräfte schon gegen den von ihren Führern ausgemachten »Sozialfaschismus«, »Brüning- Faschismus«, »Papen- Faschismus« und (als Papen im Dezember 1932/Januar 1933 kurzzeitig durch eine direkte Kanzlerschaft der Reichswehr ersetzt worden war) »Schleicher- Faschismus« einsetzen müssen.
     Mit der treffenden Klarsicht des Hasses schätzte der Berliner NSDAP- Gauleiter Joseph Goebbels (1897-1945) in seinem penibel geführten Tagebuch nüchtern den qualitativen Inhalt des »Preußenschlages« ein.
Am 21. Juli notierte er u. a.: »Alles rollt wie am Schnürchen ab ... Es laufen zwar Gerüchte von einem bevorstehenden Reichsbanneraufstand, aber das ist ja alles Kinderei. Die Roten haben ihre große Stunde verpasst. Die kommt nie wieder.« Und am nächsten Tag, besorgt um das vor den zum 31. Juli angesetzten neuen Reichstagswahlen so bitternötige Image der NSDAP als einer angeblich revolutionären Partei: »Manch einer von uns hat Angst, dass diese Regierung (Papen, K. W.) zuviel tue und uns nichts mehr übrig bleibe.«

Quellen:
Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, Reclams Universal- Bibliothek Nr. 6064-6065 a. b., Leipzig 1922
Die Tagebücher von Joseph Goebbels, hrsgg. von E. Fröhlich, Teil I, Bd. 2 (1931-1936), München 1987
Edition Zeitgeschehen: Die Weimarer Republik, hrsgg. von Walter Tormin, Hannover 1983
Martin Broszat, Die Machtergreifung. Der Aufstieg der NSDAP und die Zerstörung der Weimarer Republik, dtv Nr. 4516, München 1987
Helmut Heiber, Die Weimarer Republik; durchgesehen und ergänzt von H. Graml, dtv. Nr. 4003, München 1996
Wolfgang Ruge, Deutschland von 1917 bis 1933, Berlin 1974

Die Reproduktion der Reichspräsidenten- Verordnung vom 12. 9. 1932 zur Auflösung des Reichstags ist entnommen aus: Geschichte in Quellen, hrsgg. von Wolfgang Lautermann und Manfred Schlenke, Bd. V, München o. J. (1961)

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 6/2000
www.berlinische-monatsschrift.de