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Jutta Schneider
11. Juli 1699:
Einweihung von Schloß Lietzenburg

Man ist »über Tische und Bänke gesprungen«, und nach Aussagen von Kurfürstin Sophie Charlotte (1668–1705) könne sie »sich nicht besinnen, sich jemals so freudig erwiesen zu haben«. So ist es aus den Aufzeichnungen von Hofzeremonienmeister Johann von Besser (1654–1729) über jenen Tag zu lesen, an dem das »Lusthaus« offiziell eingeweiht worden ist. Sophie Charlotte hatte es als »maison de plaisance« in Auftrag gegeben. Die Einweihung wurde mit einem Ball, der Illumination des Gartens und einem Feuerwerk gefeiert. Der 11. Juli 1699 war der 42. Geburtstag von Kurfürst Friedrich III. (1657–1713, Kurfürst ab 1688), der sich 1701 in Königsberg zum König krönte.
     Im August 1699 wurde auch ein kleines Opernhaus neben dem Schloß eröffnet. Eigentlich sollte das Gut Caputh nahe dem Schwielowsee bei Potsdam zum Sommersitz der Kurfürstin werden. Es war ihr zu abgelegen, und so schenkte ihr Friedrich III. 1695 Dorf und Gut Lützow (Lietzen). Dieser Ort schien wie geschaffen für die Anlage eines fürstlichen Schlosses und Gartens.

Dieses erste Schloß Lietzenburg entsprach dem damaligen Anspruch eines nach allen Seiten frei in die Landschaft plazierten kleinen Lustschlosses. Es war zunächst nur eine Sommervilla ohne Wirtschafts- und Kavalierflügel. Diese Anlage hebt sich noch heute als überragender Mittelbau des Schlosses Charlottenburg deutlich hervor. Der zweigeschossige zentrale Mittelbau von elf Fensterachsen im Stil des italienischen Barocks wurde nach Plänen von Oberbaudirektor Johann Arnold Nering (1659–1695) zwischen 1695 und 1699 errichtet. Wenige Monate nach Baubeginn verstarb Nering, die Weiterführung wurde Martin Grünberg (1655–1707), Mitarbeiter bei Nehring und dessen Nachfolger als Hofbaumeister, übertragen. Er legte die Bauleitung im März 1699 nieder. Andreas Schlüter (1659–1714), seit 1698 Schloßbaudirektor, soll den weiteren Bau geleitet haben. Bis heute gibt es dazu in der Literatur keine gesicherten Angaben. Ein weiterer namhafter Baumeister, Johann Friedrich Eosander von Göthe (1669–1729), der 1699 in den Dienst des Kurfürsten getreten war und als Berater der Königin bei ihren Plänen zur Schloßerweiterung wirkte, hat das Baugeschehen maßgeblich beeinflußt. 1701 schickte ihn Friedrich I. nach Paris, um die damals als vorbildlich geltende Kultur des französischen Hofes zu studieren. Nach seiner Rückkehr wurde der alte Bau in eine langgestreckte Flügelanlage umgestaltet, das Hauptgebäude seitlich um 13 Achsen
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verlängert. Ein großer quadratischer Ehrenhof entstand. 1712 wurden der 48 Meter hohe Kuppelbau, gekrönt von einer Fortuna, und die westliche Orangerie vollendet. Nach dem Tode Friedrichs I. nahm Eosander im April 1713 seinen Abschied aus preußischen Diensten. Für die Baugeschichte des Schlosses ist wohl auch ein anderes Ereignis von Bedeutung gewesen: 1697 wurde Minister Eberhard Christoph Balthasar von Danckelmann (1643–1722) gestürzt und verhaftet. Schlechte Finanzpolitik und außenpolitische Mißerfolge wurden ihm zur Last gelegt. Seine straffe Finanzwirtschaft war den Unternehmungen des baueifrigen Kurfürsten hinderlich gewesen. Damit war der Weg für großzügiges Planen und Bauen auch für Schloß Lietzenburg frei geworden. Die Gestaltung des Gartens nahm Sophie Charlotte selbst in die Hand. Vorbild war ihr Versailles, wo der französische Gartenarchitekt André Le Nôtre (1613–1700) einen bewunderten fürstlichen Garten für Ludwig XIV. geschaffen hatte. Durch Vermittlung Lieselotte von Orléans, der Cousine Sophie Charlottes, gestaltete der Le-Nôtre- Schüler Simon Godenau den Lietzenburger Garten. Er galt als die großartigste Parkanlage im damaligen Brandenburg.
     Sophie Charlotte, die zweite Gemahlin Friedrichs III./I., die »philosophische Königin«, stellte der künstlerischen Prachtentfaltung des Berliner Hofes ein anspruchsvolles geistiges Leben entgegen. Es war ihr Verdienst, daß auch das wissenschaftliche Leben Bereicherung und Anregung fand. Sie

Früheste Ansicht vom Schloß Lietzenburg nach dem Nering-Entwurf, Stich von 1696

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holte den Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Freiherr von Leibniz (1646–1716) nach Berlin, der die Errichtung der »Sozietät der Wissenschaften« anregte. Für Leibniz gehörten die Jahre der Freundschaft mit der Königin zu den glücklichsten seines Lebens, wenn er sich auch gelegentlich bei ihrer Mutter beklagte, daß er in Lietzenburg ein »liederliches Leben« führen müsse. Seine große Verehrung für die Königin brachte er auch in einem Brief an einen englischen Gelehrten in Cambridge zum Ausdruck: »Niemals hat man eine weisere und leutseligere Fürstin gesehen ... Diese große Königin besaß eine unglaubliche Wissenschaft höherer Dinge und die außerordentliche Begier, immer mehr zu erforschen. Die Unterredungen mit ihr gingen dahin, ihre Wißbegier immer mehr zu befriedigen, und die Welt würde einst großen Nutzen davon gehabt haben, hätte nicht der Tod sie uns so früh geraubt.«
     Nach dem Tode von Sophie Charlotte am 1. Februar 1705 wählte Friedrich I. Schloß Lietzenburg zu seinem Hauptwohnsitz. Am 5. April 1705 benannte er Schloß und Ortschaft in Charlottenburg um. Der Ortschaft, die überwiegend von Hofbediensteten bevölkert war, wurde das Stadtrecht verliehen. Voraussehend hatte Lieselotte von Orléans geäußert: »Weilen Berlin und Charlottenburg so nahe sein, wird es vielleicht mit der Zeit nur eine Stadt werden.«
Nicht alle Pläne zur prunkvollen Ausgestaltung des Schlosses kamen zur Vollendung. Der strenge und sparsame Thronfolger Friedrich Wilhelm I. (1688–1740, König ab 1713), der Soldatenkönig, hat das Schloß zwar erhalten lassen, aber den Bau nicht weitergeführt. Erst unter Friedrich II. (1712–1786, König ab 1740) wurde durch Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff (1699–1753) ein weiterer Ausbau möglich. Am 29. Oktober 1746 fand die Einweihung der Goldenen Galerie, des Großen Festsaales, statt. Dennoch entschied sich der König schließlich für Sanssouci als seinen Lieblingssitz.
     Schloß Charlottenburg ist das einzige Schloß, in dem alle preußischen Könige, wenn auch nur zeitweise, gelebt und auch residiert haben. Oft gingen damit bauliche Veränderungen einher. So entstanden von 1787 bis 1791 nach Plänen von Carl Gotthard Langhans (1732–1808) der mächtige Theaterbau sowie das Teehaus Belvedere im Park. Friedrich Wilhelm III. (1770–1840, König ab 1797) ließ 1810 das Mausoleum für Königin Luise (1776–1810), ein kleiner Tempel mit dorischer Säulenfront nach Plänen von Karl Friedrich Schinkel (1781–1841), errichten sowie den »Schinkelpavillon« als Wohnung für sich und seine zweite Gemahlin, Fürstin von Liegnitz und Gräfin von Hohenzollern, erbauen.
     1943 wurde das Schloß bei einem Luftangriff stark beschädigt.
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Schloß nach dem Eosander-Entwurf mit Lustgarten, Radierung um 1710

Schlösserdirektorin Margarete Kühn bewahrte es vor dem Abriß und sorgte in den 50er Jahren für den Wiederaufbau. Seit dem Abbruch des Stadtschlosses 1950 ist Schloß Charlottenburg die größte der neun Schloßanlagen Berlins. Heute beherbergt es u. a. drei Museen: die Schauräume der Schlösserverwaltung als Abteilung der Neuen Nationalgalerie, die Galerie der Romantik im Knobelsdorff-Flügel, heute »Neuer Flügel« genannt, sowie im Theaterbau das Museum für Vor- und Frühgeschichte. 1951 fand im Ehrenhof das um 1700 von Andreas Schlüter geschaffene Reiterstandbild des Großen Kurfürsten (1620–1688, Kurfürst ab 1640) einen neuen Standort. An die Anfänge erinnert eine überlebensgroße Statue Friedrichs I. im Schloßpark, ein Nachguß des 1698 von Andreas Schlüter geschaffenen Originals.

Bildquelle: Archiv

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© Edition Luisenstadt, 1999
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