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stauratoren auf versteckte Risse und Schäden gefaßt, die ebenfalls geschlossen werden müssen. Ob und was da gefunden wird, könnte noch den Ablauf der Arbeiten beeinflussen, meint Bauleiter Siegfried Hahn.
     Da erheblich viel Schmutz und Schutt anfallen werden, wurde der Innenraum, die eigentliche Gedenkstätte, »staubdicht« geschlossen. Besucher stehen daher, sehr zu ihrem Bedauern, vor einem Bauzaun mit dem Schild »Betreten verboten«. Da es in der Berliner Öffentlichkeit Proteste gegen eine komplette Schließung bis in den Herbst hinein gibt, wird im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, zuständig für die Neue Wache und andere dem Bund unterstehende Bauten, daran gedacht, die Gedenkstätte gelegentlich für Besucher zu öffnen.
     Schinkel beschrieb 1819 das im September 1818 fertiggestellte Wachgebäude als »einem römischen Castrum« nicht von ungefähr nachgeformt. »Der vorne angebrachte Porticus, auf zehn freistehenden Säulen und den damit in Verbindung stehenden Wandpfeilern ruhend, ist aus sächsischem Sandstein konstruiert, die Architrave bestehen aus Steinblöcken, die von einer Säule zur anderen reichen, und die viereckigen Cassetten zwischen denselben sind ebenfalls mit Steinplatten bedeckt.« Am schönsten Platze Berlins liegend, fügte Schinkel hinzu, und rings von Prachtgebäuden früherer Zeiten umgeben, »darf dieses Ge-
Hans Hauser
Neue Wache: Betreten verboten

Karl Friedrich Schinkels Neue Wache Unter den Linden, die Zentrale Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft, wird seit Mai dieses Jahres restauriert. Die auf eine halbe Million DM veranschlagten Arbeiten sollen spätestens zum Volkstrauertag am 15. November abgeschlossen sein. Nachdem in den letzten Jahren das zwischen Zeughaus und Universität gelegene Wachgebäude an drei Seiten, von Besuchern kaum bemerkt, saniert worden war, stehen in diesem Sommer die Fassadenreinigung, bei der auch Sandstrahlgebläse eingesetzt werden, sowie die Ausbesserung alter Einschußstellen bei Sandsteinquadern und Säulen an.
     Der in den achtziger Jahren bei der Füllung der Löcher und Risse verwendete sehr harte Betonmörtel verträgt sich nicht mit dem Naturstein und muß herausgebohrt oder -gemeißelt werden. Die Schadstellen werden durch einen mineralischen Mörtel geschlossen, der ähnliche Eigenschaften wie der Naturstein hat und sich diesem auch farblich anpaßt. Bei der sehr staubintensiven Fassadenreinigung sind die Re-

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Neue Wache
bäude in keiner Art vernachlässigt werden«.
     In der Weimarer Republik seit 1931 als Gedenkstätte für die Toten des Ersten Weltkriegs und in der Nazizeit als Reichsehrenmal für Auftritte Hitlers benutzt, hatte die Neue Wache den Zweiten Weltkrieg stark beschädigt überstanden. Unzählige Einschußlöcher bedeckten den Bau, Säulen waren zerfetzt, Teile des Daches und des
figurengeschmückten Säulenvorbaus eingestürzt, das Innere ausgebrannt. Von 1956 bis 1960 wiederaufgebaut, blieb das Haus ein ständiger Pflegefall. Erst in den achtziger Jahren wurde der symbolträchtige Figurenschmuck aus Zinkguß, der wie Sandstein bemalt ist, von Metallrestauratoren saniert, wobei auch verlorengegangene Teile ergänzt wurden.
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Schon in den frühen fünfziger Jahren gab es den Plan, die Neue Wache als Mahn- und Gedenkstätte für die Opfer des Faschismus und Militarismus wiederherzustellen. Im Innenraum wurde eine Ewige Flamme installiert und ein Grab des Unbekannten Soldaten und des Unbekannten Widerstandskämpfers angelegt.
     Nach der Wiedervereinigung wurden das DDR-Staatswappen und andere Einbauten entfernt, der Glaskubus der Ewigen Flamme und weitere Ausstattungsstücke kamen ins Deutsche Historische Museum Berlin, also in das Zeughaus gleich nebenan. Die beiden Gräber blieben erhalten. Die von Bundeskanzler Kohl im Zusammenhang mit der Neugestaltung veranlaßte Aufstellung einer vergrößerten Kopie der Pieta von Käthe Kollwitz an Stelle des in der Weimarer Zeit von Heinrich Tessenow aufgestellten Gedenksteins samt Kranz aus silbernen Eichenblättern löste eine heftige Diskussion darüber aus, inwieweit der Regierungschef Einfluß auf die künstlerische Gestaltung der Gedenkstätte nehmen darf und welchem Zweck die Zentrale Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland dienen soll.
     Mit den 1822 beiderseits der Wache aufgestellten und jetzt im Depot befindlichen Denkmälern der Generale Bülow und Scharnhorst bildete der tempelartige Bau schon im frühen 19. Jahrhundert eine Erinnerungsstätte für die Gefallenen der Befreiungskriege 1813 bis 1815. Karl Fried-
rich Schinkel hatte sich bei der Gestaltung der zum Schutz des Schlosses bestimmten Soldatenunterkunft an antiken Bauten orientiert. Sein Säulenbau erhielt einen dreieckigen Giebel mit figürlichem Schmuck, der Heldentum und Untergang im Krieg symbolisiert. »... eine Victoria entscheidet in der Mitte für den rechts kämpfenden Helden; links ist dargestellt: letzte Anstrengung, Aufmunterung zum Kampfe, Flucht, Raub und Schmerz der Familie, die ihr Schicksal erwartet; rechts sieht man Überwältigung und Trauer um einen gefallenen Helden«, beschrieb der Architekt das Relief.
     Ergänzt wurde das Ensemble durch die von Schinkel entworfene Schloßbrücke, deren antikisierender Figurenschmuck ebenfalls die Kämpfer von 1813 bis 1815 ehren soll. Ob und wann die Generalsfiguren wieder aufgestellt werden, ist wegen des Einspruchs der Kollwitz-Erben und uneinheitlicher Haltung bei Berliner Politikern gegenüber dem preußischen Erbe fraglich. Bei der Ablehnung der Aufstellung wird auf die Unverträglichkeit der Pieta mit preußischer Militär- und Kriegsgeschichte verwiesen. Daß bei der starken Umweltbelastung jeder Tag dem anfälligen Marmor gut tut, den er nicht im Freien verbringen muß, steht auf einem anderen Blatt.

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