Eine Annotation von Herbert Schwenk


Welch Guerra, Max: Hauptstadt Einig Vaterland
Planung und Politik zwischen Bonn und Berlin.

Verlag Bauwesen, Berlin 1999, 192 S.

 

Am 6. September begann die erste Sitzungswoche des Bundestages in Berlin. Bis dahin rollte das größte Umzugsunternehmen in der deutschen Geschichte vom Rhein an die Spree, bei dem allein für den Bundestag 38 laufende Kilometer Akten und 32 000 Kubikmeter Umzugsgut auf die Reise gingen. Acht Jahre sind damit vergangen, seit der Bundestag am 20. Juni 1991 seinen historischen Hauptstadtbeschluß „Vollendung der Einheit Deutschlands“ faßte. In dieser Zeit hat es endlos Schlagzeilen zum Umzug und auch viele Umzugs-Irrungen und -Wirrungen gegeben.

Jetzt liegt ein Buch vor, in dem mit wissenschaftlicher Akribie das achtjährige Mühen um die Bewältigung der Standortfragen für die Verwirklichung des Hauptstadtbeschlusses von 1991 untersucht wird. Im Mittelpunkt steht die Hauptstadtplanung, die der Autor als Ensemble der Maßnahmen für die An- und Umsiedlung zentralstaatlicher Funktionen versteht. Der in Berlin lehrende und forschende Max Welch Guerra (Jahrgang 1956, gebürtiger Chilene) hat selbst aktiv an den Auseinandersetzungen um die Hauptstadtplanung teilgenommen und rekonstruiert nun in seinem Buch mit bislang nicht gekannter Ausführlichkeit die räumlichen Aspekte der Hauptstadtplanung. Sein faktenreiches und gut illustriertes, insbesondere mit zahlreichen Kartenskizzen ausgestattetes Werk kam nicht nur gerade rechtzeitig zum Vollzug des Umzugs im Sommer 1999, sondern gewährt erstmals Einblicke in das Räderwerk der räumlichen Hauptstadtplanung. Obwohl es sich der Autor nicht nehmen läßt, im Detail auch deutlich Kritik zu üben, wertet er Planung und Vollzug des Bundestagsbeschlusses vom 20. Juni 1991 als eine bedeutende „Leistungsschau des bundesrepublikanischen politischen Systems“.

Nach einer ausführlichen Dokumentation des Bundestagsbeschlusses vom 20. Juni 1991 behandelt Welch Guerra in den drei Hauptteilen des Buches Planung und Politik zu seiner Umsetzung. Leider wird es dem Leser nicht leichtgemacht, im Text der logischen Struktur zu folgen. Im ersten Teil wird die Herausbildung des Standortverteilungsmusters von 1990 bis 1998 dargestellt. Der Analyse der neuen Regierungsviertel, die der Autor als „neue baulich-räumliche Staatssymbolik in Berlin“ benennt, ist der zweite Teil gewidmet. Im dritten Teil schließlich beschäftigt sich Welch Guerra mit der Umverteilung zentralstaatlicher Funktionen, wie sie seit 1991 zwischen den Standorten Bonn, Dessau (Ansiedlung des Umweltbundesamtes/UBA), Stralsund (Ansiedlung der Bundesversicherungsanstalt/BfA) und Berlin stattgefunden hat. Unter „Hauptstadtplanung als Vereinigungspolitik“ resümiert der Autor neun Schlußfolgerungen, zu denen u. a. diese gehört: „Die Hauptstadtplanung wurde zu einem wichtigen Instrument der Vereinigungspolitik, auch wenn ihr tatsächlicher Beitrag für die innere Einheit gering ausgefallen ist ... Dennoch ist die Rolle der neuen Bundeshauptstadt als Politikum in wichtigen Fragen offen.“ Ausführliche Verzeichnisse nebst einer Übersicht über Gesetze, Verträge, sonstige Normen und Dokumente erhöhen den Informationswert des Buches.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11+12/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite