Eine Annotation von Horst Wagner


Martínez, Thomás Eloy: Der General findet keine Ruhe
Roman. Aus dem Spanischen von Peter Schwaar.

Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 1999, 473 S.

 

Der General ist Juan Domingo Perón, Begründer der nach ihm benannten politisch-sozialen Bewegung des Peronismus, Präsident Argentiniens von 1946 bis 1955 und von 1973 bis zu seinem Tod 1974. Er findet keine Ruhe: weder im spanischen Exil, wohin er nach seinem Sturz durch einen Militärputsch gezwungen wurde und wo ihn Erinnerungen und ehrgeizige Pläne verfolgen und ihn seine dritte Ehefrau und spätere Nachfolgerin im Präsidentenamt, die ehrgeizige, 35 Jahre jüngere Isabelita, antreibt. Noch bei seiner Rückkehr nach Buenos Aires am 20. Juni 1973, wo ihn Millionen von Menschen erwarten, er aber sogleich in die Mühlsteine der blutigen Auseinandersetzungen zwischen rechten Militärs und ihren faschistoiden Handlangern einerseits und der linken Gewerkschaftsjugend und den Guerilleros andererseits gerät. In die dramatische Schilderung der Heimkehr des Siebenundsiebzigjährigen hat Martínez, der vor allem durch seinen Roman Santa Evita (über die legendäre zweite Frau Peróns) bekanntgeworden ist, ein ganzes Panorama von Personen-, Landes- und Weltgeschichte gepackt. Verbürgtes und Erdichtetes, sehr bunt und voller Sinnlichkeit, gespickt auch mit drastischen Volksweisheiten und derben Sitten. Am ehesten vielleicht zu vergleichen mit García Márquez Hundert Jahre Einsamkeit, aber doch eher ein biographischer als ein folkloristischer Roman.

Aus unterschiedlicher Sicht, als Wahrheit und Legende, wird Peróns Leben geschildert: die harten Jahre als Kadett, die ruhm- und skandalvollen als Offizier, seine Begeisterung für den Militärstrategen Schlieffen und deutsche Armeezucht, sein wohlwollendes Interesse für den italienischen Faschismus und das Führerprinzip des Herrn Hitler. Mal als guter, mal als böser Geist erscheint die hübsche, modebewußte Isabelita, die immer mehr unter den Einfluß ihres Leibwächters und Kammerdieners López Rega gerät. Aus der Erinnerung entsteht ein verklärtes Bild von Peróns erster Frau Aurelia, der „Potata“ (d. h. Anmutigen). Immer gegenwärtig die tote, unvergeßbare Evita, auf die sich das Volk beruft und deren Leichnam deshalb von den Putschisten gestohlen, 15 Jahre auf einem italienischen Friedhof versteckt, dann aber in Peróns Madrider Haus in einer Art Mausoleum beigesetzt wurde. Schwärmerisch und sinnenbetont die Liebesgeschichte der jungen Revolutionäre Diana und Noon. Schaudern machend der Bericht, wie während der Ankunft Peróns die aus den Slums kommende Vicki von den Faschos erdrosselt, ihr Gefährte Baobab erschossen wird.

Ob Martínez’ Buch, wie es im Klappentext heißt, „der Beginn einer neuen Romanform“ ist, mag ich nicht zu beurteilen. Zustimmen möchte ich aber, daß er geeignet ist, „die oftmals unfaßliche Wirklichkeit Lateinamerikas glaubhaft und denkwürdig vor Augen zu führen“.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11+12/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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