Eine Annotation von Gisela Reller


Marginter, Maria/Gawrilow, Fyodor: St. Petersburg. Weiße Nächte, kalte Tage
Literarische Spaziergänge.

Klett-Cotta, Stuttgart 1998, 173 S.

 

Ein lesenswertes Buch mit vielen Informationen über Vergangenheit und Gegenwart von St. Petersburg - wie die Stadt nach dem Schutzpatron ihres Gründers bis August 1914 hieß. Danach war ihr Name zehn Jahre lang Petrograd; im Jahre 1924, nachdem Lenin gestorben war, wurde sie in Leningrad umbenannt. Im Volksmund hieß sie übrigens immer Piter.

Das Buch beinhaltet zehn Spaziergänge durch St. Petersburg, auf denen der Leser von Prominenten der Stadt, meist Dichtern und Prosa-Autoren, begleitet wird: von Puschkin, der nach dem Duell in seiner Wohnung an der Mojka starb; von Nikolai Gogol und seinen schrägen Petersburger Figuren unter Nikolaus I.; von Dostojewski, bei dem Raskolnikow durch die Absteigen, Bierschenken und Zinshäuser um den Heumarkt zieht; von Alexander Blok: Ossip Mandelstam; Josif Brodsky; Dmitri Lichatschow und vielen anderen. Es erstaunt, daß nur Zitate aus ins Deutsche übersetzten Büchern verwendet werden. Maria Marginter und Fyodor Gawrilow werden uns vom Verlag als Autoren vorgestellt, deren Heimat St. Petersburg ist. Da hätten sie doch - des Russischen kundig - auch russischsprachige Werke berücksichtigen können. Allerdings verblüfft auf Seite 81 der Satz von Maria Marginter: „Ich war (als Ausländerin!) das erste Mal 1987 in Leningrad ...“ Auch die Doppelautorenschaft läßt Fragen offen. In der Ich-Form geschrieben, scheinen - bis auf das letzte Kapitel - alle Spaziergänge von Maria Marginter formuliert. Nur für die Porträts hat wohl Fyodor Gawrilow (als echter Petersburger) die Anregungen gegeben. Beide Autoren scheinen deutsch geschrieben zu haben, denn es findet sich kein Hinweis auf eine Übersetzung aus dem Russischen. Eine kleine Nachbemerkung des Verlages wäre angebracht gewesen ... Apropos Porträts: Acht der zehn Kapitel enthalten so bezeichnete Anmerkungen, Aufzeichnungen, Bemerkungen, sehr unterschiedlich in ihrer Qualität. Gut zum Beispiel das Porträt des Schriftstellers Sergei Dowlatow, schwach dagegen das von Walerij Ronkin, einem Absolventen des Technologischen Instituts. Überhaupt: Bei einem Buch mit literarischen Spaziergängen wären ausschließlich Porträts von Literaten angebrachter gewesen. Schade, daß bei dem Porträt von KR, der sich als echter Großfürst entpuppt, als Konstantin (Konstantinowitsch) Romanow nämlich, keine literarische Kostprobe gegeben wird - obwohl von ihm siebzig Gedichte sogar vertont wurden.

Leider sind auch einige Fehler, Ungenauigkeiten, Unkorrektheiten anzumerken: Auf der ersten Karte, auf dem Vorsatz, ist vermerkt, daß die Zahlen auf die entsprechenden Kapitel im Buch hinweisen- aber: Die Kapitel sind gar nicht numeriert! Überhaupt scheint mir die fehlerhafte Karte ( z. B. Taunisches statt Taurisches Palais), mehr nur Illustrationselement zu sein, denn dem Text entsprechend spazierengehen kann man nach den bescheidenen Angaben auf dieser Karte sowieso nicht, zumal sie auch noch, bunt gemischt, mal die russische Bezeichnung, mal die deutsche Übersetzung angibt. - Heißt der Bildautor richtig Wiktor oder Wictor Wasiljew? Seine (schwarzweißen) Fotos oder Photos hingegen sind eindeutig gut. - Wie methusalemalt muß die Autorin Marginter sein, wenn sie laut Quellennachweis schon 1901 ein Buch (aus dem Französischen) übersetzt hat?

Dennoch, es bleibt dabei: ein lesenswertes, sehr informatives Buch, in dem uns Maria Marginter bei den einzelnen Sehenswürdigkeiten auch (fast) immer den aktuellen Stand mitteilt, z. B.: „Auf dem Newskij steht die deutsche Petrikirche (zwischen Haus Nr. 22-24, erbaut 1833-1838; zwischendurch ein Leningrader Schwimmbecken, seit 1992 wieder im Besitz der deutschen evangelischen Gemeinde).“

Weiße Nächte, dunkle Tage, ein Buch mit vielen hellen und einigen dunklen Seiten. Leider ist in der Reihe „Literarische Spaziergänge“ (noch?) kein weiterer Band erschienen, welcher Orte der ehemaligen Sowjetunion zum Thema hat.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11+12/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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