Eine Annotation von Bernd Heimberger


Böhme, Thomas: Die Körper und das Licht

Verlag Die Scheune, Dresden 1998, 44 S.

 

Bereits heute ist abzusehen: Die Neunziger werden für den Schriftsteller Thomas Böhme die Jahre experimenteller Prosatexte sein. Die nennt er mal „Roman Imitation“, mal „Latenter Roman“. Herkömmliche Romane, wie sie Fontane bis Döblin schrieben, wie sie von Pilcher bis Noll kommen, sind sie nicht. Eventuell hat die Literaturwissenschaft ein Etikett für die „Romane“, wenn sie im nächsten oder übernächsten Jahrzehnt die Literatur des Leipzigers entdeckt. Sie sind literarische Konstruktionen, die den Lesern Zugänge eher versperren denn öffnen. Wer linear erzählte Geschichten will, die an Eindeutigkeit keinen Zweifel lassen, gerät bei Böhme an den Falschen. Das heißt nicht, daß ihm erzählbare Geschichten gleichgültig sind. Für Inhalt und Aufbau seiner Romane sind sie nur von sekundärer Bedeutung. Geschichten werden ihm schnell zur Chiffre, Metapher, Allegorie. Nicht anders ergeht es den wenigen, wenig handelnden Figuren. Deftige, dralle, bewegte Handlungen dürfen bei Böhme nicht erwartet werden, weil es keine zupackenden Handelnden gibt. Alles ist wie in Aspik geronnen.

Voller Sinnlichkeit sind vor allem die Titel der Prosabücher: Vom Fleisch verwilderte Flecken, Geruch des Gastes, Die Zöglinge des Herrn Glasenapp. Fast erdrückend nüchtern ist der Titel des neuen Romans Die Körper und das Licht. Böhme bleibt der kategorische Tanzmeister seiner Texte. Er behandelt seine Figuren wie Schachfiguren, die festgelegten Schritten zu folgen haben. Das Erkennbare unkenntlich, das Unkenntliche erkennbar zu machen ist die Kunst des Thomas Böhme. Die perfektioniert er in seinen fortgesetzten Schüler-Meister-Geschichten, die inzwischen einen ikonischen Kanon haben. Die wechselnden Schüler-Meister-Beziehungen in wechselnden „Buden“ sind imaginäre Häfen, in denen imaginäre Schiffe ankern oder aus denen sie auslaufen. In eine fotografische Bilderwelt, die auch ohne Rückschlüsse auf die Bilder der wirklichen Welt existieren kann. Also als verselbständigte literarische Welt. Thomas Böhme braucht das Bild der Welt nur, um sich ein, sein Bild zu machen, das ein Abbild ist. Muß er sich um die erstaunten, verblüfften, fragenden, hilflosen Betrachter kümmern, die seinen körperlichen, lichtkörperlichen Abbildern gegenüberstehen?


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11+12/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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