Eine Rezension von Bernd Heimberger


Lastiges, Leichtes, Lächerliches?
Ostdeutsche Biographien
Herausgegeben von Rainer Zoll. Mitarbeiter Thomas Rausch.

Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 1999, 415 S.

 

Leben ist so etwas lächerlich Leichtes. Wenn man es nicht leben muß. Wenn man über das Leben nur redet. Ganz allgemein. Über das Leben anderer. Allgemeines, Verallgemeinertes über das Leben der „anderen Deutschen“ gibt’s genug in dem Band Ostdeutsche Biographien zu lesen. Für das Fach-Sach-Buch ist der Soziologe Rainer Zoll verantwortlich, der an der Uni Bremen lehrt. Aus seinem wissenschaftlichen, west-deutschen Umfeld rekrutierte der Professor eine Gruppe von Fachleuten, die ein gutes Dutzend DDR-Biographien zum Gegenstand ihrer Analysen machten. Um was herauszubekommen? Ist nun klar, wer, was, wie die DDR war? Ist nun klar, wer, was ein DDRler war? In der selbstvernebelten DDR ist viel herumgestochert worden. Niemand muß mehr stochern. Die Nebel haben sich verzogen. Die Zoll-Gruppe fragt: Kann man sie erkennen an ihren Biographien - die Bürger der DDR?

Beachtenswert ist, daß sie sich der Analyse ostdeutscher Biographien angenommen hat. Sind die Ergebnisse der wissenschaftlichen Analysen beachtlich? Zoll hegt keinen Zweifel. Dennoch stellt und legt er fest: „Es ist im Rahmen dieser Veröffentlichung nicht möglich, eine wirklich umfassende Studie der Lebenswelt in der DDR zu liefern ...“ Nachfolgende theoretische Erklärungen zum Terminus „Lebenswelt“ außer acht gelassen, staunt der Leser. Wozu dann die Sammlung der Äußerungen und Auslegungen? Wozu die Biographien, die das Leben der Welt machen, wenn sie nicht taugen, sich umfassend der Lebenswelt habhaft zu machen? Die Verfasser der Kapitel wollen mit analytischen Kriterien und konstruktiver Kritik das deutsch-deutsche Verständigen und Verstehen fördern. Der Maßstab Mißverständnis ist in die Ecke gestellt. So redlich alles Bemühen, die Wissenschaftler stehen sich selbst im Wege. Sie sind Berufsskeptiker. Sie machen aus ihrem Mißtrauen kein Hehl. Sie graben dem Mißtrauen kein Grab.

Was die DDR-Leute äußern, ist deutlich DDR. Zu häufig auf mittlerem und unterem Niveau. Vieles ist gedeutete DDR. Die Deutungen der DDR-Leute zur DDR sind nicht falsch. Wenn etwas falsch wird, dann die wissenschaftlichen Deutungen zu den Deutungen der DDRler. In sorgfältig gegliederten Texten werden Biographien klassifiziert. Der Respekt, den man meint, den DDR-Biographien entgegenzubringen, wird feingemahlen. Von der deklarierten Anerkennung der Biographien, die außerhalb des Bereichs des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland abliefen, bleibt nicht viel. Die Treuhandschaft über die Biographien der Ostdeutschen dominiert. Eine Garantie für DDR-Artenschutz ist die Treuhandschaft nicht, die ohnehin niemand will. Die Bürger aus der DDR wollen, daß ihre Biographien in Deutschland Bestand haben, weil sie ein unauslöschbarer Bestandteil ihrer Biographien sind. Wer läßt sich schon gern um seine Biographie betrügen? Teilchen der Biographien wichtig zu machen heißt, den Biographien Wesentliches zu stehlen. Die Analysen zu den „Fallbeispielen“ des Buches sind aus dem Abstand gemacht. Der geisteswissenschaftliche Abstand verhindert die versprochene Annäherung. Die Texte werden von einer Sprache gefesselt, die in Uni-Seminaren willkommen sein mag. Auf die Leser wird wenig Rücksicht genommen. Langatmige Schriften verderben oft die Lust aufs Lesen. So ehrenwert die Verständigungsversuche sind, sie scheitern, wenn man sich nicht gut genug verständlich macht. Verdrießlich wird’s, wenn Verallgemeinerungen zur „vermeintlichen“ Wirklichkeit wenig mit der „real-existierenden“ Wirklichkeit der DDR und der DDRler zu tun haben. Das Buch Ostdeutsche Biographien lieferte weitere Beiträge zu den Biographien der Ostdeutschen. Die Biographie der Ostdeutschen ist das Buch nicht. Auch das nicht! Wieso auch? Leben, gelebtes Leben, ist selten leicht zu erfassen und zu fassen. Zumal, wenn es schwer ist, Lastiges, Leichtes, Lächerliches voneinander zu trennen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11+12/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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