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50 Jahre Wissenschaftliche Buchgesellschaft

Im Gespräch mit Martin Bredol

 

Herr Bredol, Sie sind Leiter des Lektorats der WBG. WBG steht für Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 50 Jahre ist sie alt, und doch sind die Bücher, die sie vertreibt, weniger in Buchhandlungen als in Anzeigen und Prospekten aufzufinden. Allerdings den Insidern, vor allem den Mitgliedern, ist sie ein Begriff und zeitweilig ein Wegbegleiter. Zu welchem Zweck wurde sie gegründet, und welche Aufgaben erfüllt sie heute?

Als in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre der Universitätsbetrieb wiederbelebt wurde, fehlte es nahezu an allem. Universitätseinrichtungen waren teilweise zerstört oder beschädigt, unersetzbare Schätze der wissenschaftlichen Bibliotheken fielen dem Bombenhagel zum Opfer. Mit den Büchern war Wissen verlorengegangen, dessen Bereitstellung für den Studienbetrieb unverzichtbar war. Wie in Zeiten der Not, des Mangels und knappen Geldes diese Aufgabe lösen? Der einzig gangbare Weg zu dieser Zeit waren Nachdrucke und Subskriptionen. Zu diesem Zweck gründeten Wissenschaftler einen Selbsthilfeverein - die Wissenschaftliche Buchgesellschaft - dem schnell viele Wissenschaftler und Studenten beitraten.

Natürlich hatte sich im Zuge des Wirtschaftswachstums der fünfziger und sechziger Jahre auch in der wissenschaftlichen Literatur das herausgebildet, was wir allerorts kennen: ein Überangebot.

Damit war doch der Gründungsanspruch erledigt?

Ja und nein. Zwar ging es seit den sechziger Jahren nicht mehr um die Überwindung der Kriegsfolgen, gleichwohl galt der Anspruch nach wie vor, den Mitgliedern ein preisgünstiges und inhaltsreiches Angebot wissenschaftlicher Buchausgaben zu machen.

Wieviel Mitglieder hat Ihre Wissenschaftliche Buchgesellschaft heute?

Gegenwärtig sind es 120 000 Mitglieder im deutschsprachigen Raum und 20 000 weltweit, denen wir ein interessantes Programm anbieten, das einen Querschnitt durch die Wissenschaft, vor allem die Geisteswissenschaft, bietet, mit Titeln, die für die Studenten wie auch für die Wissenschaftler von Nutzen sind. Dabei werden Texteditionen und Monographien veranstaltet, die für die Wissenschaft unverzichtbar sind. Einige Beispiele mögen dies illustrieren. Das Standardwerk von Hermann Menge Lehrbuch der lateinischen Syntax und Semantik bringen wir in diesem Herbst in einer völlig neu erarbeiteten Neuauflage heraus. Das Buch ist unabdingbar für jeden Studenten der Klassischen Philologie. Oder nehmen Sie den Band von Hans-Werner Goetz Moderne Mediävistik. Das Buch ist eine aktuelle Standortbestimmung der Mittelalterforschung. Das Ganze immer mit dem Vorteil verbunden, daß die Bücher preislich auch deutlich günstiger sind, als man sie im Buchhandel erhält. Die Voraussetzung dafür ist allerdings, daß man Mitglied bei uns ist.

Also grundsätzlich sind alle Bücher preiswerter?

Grundsätzlich ja, das heißt, in Ausnahmefällen bieten wir unseren Mitgliedern auch Bücher an, die sich vom Ladenpreis nicht unterscheiden. In aller Regel handelt es sich um Bücher, und das ist jetzt etwas Besonderes, die wir selber entwickeln, das heißt, dort sind wir der Originalverlag, wir erarbeiten mit den Autoren gemeinsam die Bücher und vertreiben sie dann an unsere Mitglieder. Daneben erwerben wir von anderen Verlagen Lizenzen. Auch diese Bücher liefern wir unseren Mitgliedern mit einem Preisvorteil.

Wie ist das Verhältnis zwischen eigenen Produktionen und denen, die Sie in Lizenz übernehmen und an Ihre Gemeinschaftsmitglieder weiterverkaufen?

Wir haben etwa zwei Drittel eigene, also Titel, an denen wir auch die Rechte haben, die wir selber entwickelt haben, und ein Drittel, die wir in Lizenz einkaufen von anderen Verlagen.

Beachtlich. Inwieweit nimmt auf diese eigenen Produktionen die Mitgliedschaft Einfluß, kann sie das überhaupt?

Ja. Dadurch, daß wir stets in direktem Kontakt zu unseren Mitgliedern stehen, bekommen wir auch viele Vorschläge und Reaktionen. Unser Vorteil: Wir haben zwischen uns und den Lesern nicht den Mittler Buchhandel, den andere Verlage haben. Dies betrifft nicht nur Wünsche nach dem inhaltlichen Profil, sondern auch Fragen der Qualität der Herstellung. Die Reaktion ist allerdings auch schnell und nachhaltig, wenn uns Mängel unterlaufen.

Wie schaffen Sie das, Ihren Mitgliedern preiswerte Bücher anzubieten, ohne die Gesetze der Marktwirtschaft auszuhebeln?

Richtig ist schon, daß wir nach kommerziellen Gesichtspunkten arbeiten müssen. Andererseits sind wir ein wirtschaftlicher Verein. Das ist eine ganz besondere Rechtsform, die bedeutet, daß wir wirtschaften und Gewinne machen dürfen. Allerdings sind wir verpflichtet, alle erwirtschafteten Mittel für die Zwecke des Vereins zu investieren, vor allem in neue Projekte. Wir behaupten uns ökonomisch vor allen Dingen dadurch, daß wir programmatische Schwerpunkte pflegen. Wir haben natürlich eine große Bandbreite von verschiedenen Disziplinen, die sich in unserem Gesamtkatalog niederschlägt. Und wir führen über Jahre hinweg gewisse Standardwerke in unserem Programm, von denen einige noch auf die Gründungszeit zurückgehen, wie z. B. das Deutsch-Lateinische/Lateinisch-Deutsche Handwörterbuch. Wir legen es immer wieder neu auf, da die Nachfrage nicht nachläßt. Wirtschaftlich vorteilhaft ist für uns auch, daß wir Themen aufgreifen, die für unsere Mitglieder wichtig sind und wo wir ihnen ganz spezielle, auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Bücher und Reihen bieten. Bücher, wie z. B. die Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe, eine historische Quellensammlung, die es in an deren Verlagen gar nicht gibt, wo wir gewissermaßen das Monopol besitzen. Und nicht zuletzt sichern unsere Mitglieder durch den Kauf der Bücher ihres Vereins jeweils eine Auflagenhöhe, die es wirtschaftlich rechtfertigt, mit den Preisen gegenüber anderen Anbietern „runter“ zu gehen. Die Wissenschaftliche Buchgesellschaft versteht sich über die Buchproduktionen hinaus als Förderer von Kultur. Zum Beispiel schreiben wir alle zwei Jahre ein Doktorandenstipendium aus, unterstützen Projekte, die unter normalen „kalkulatorischen“ Rahmenbedingungen nicht zu realisieren sind. Ich denke da unter anderem an eine historisch-kritische Ausgabe der Werke Georg Büchners, die bei uns erscheinen wird.

Bei soviel Vorteilen, aber auch kultureller Mitwirkung wäre es ja geradezu unverzeihlich, nicht Mitglied der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft zu sein. Wie wird man das?

Jeder kann Mitglied werden, indem er eine Beitrittserklärung abgibt und einen Jahresbeitrag in Höhe von 18,00 DM, also pro Monat 1,50 DM, und als Student sogar nur die Hälfte, also 9,00 DM pro Jahr, entrichtet.

Wieviel Ostdeutsche haben bisher von diesem Angebot Gebrauch gemacht?

Wir haben derzeit in Ostdeutschland etwa 4 500 Mitglieder, die Mitgliederzahl wächst dort weiter überproportional, worüber ich mich sehr freue.

Wie es einer Buchgesellschaft zusteht, bieten Sie neuen Mitgliedern eine kleine preisgünstige Kostbarkeit zum „Einstieg“ an. Meist eine Klassikerausgabe in einer besonderen Edition. In den letzten Jahren war es Hölderlin, jetzt Novalis. Haben diese Angebote Wirkung? Wieviel neue und alte Mitglieder haben sich verleiten lassen, diese Angebote wahrzunehmen?

Bei Hölderlin 12000.

Beim Besuch Ihres Messestandes auf der letzten Frankfurter Buchmesse fielen mir insbesondere Ihre hochwertig gestalteten Bücher auf. Gibt es ein bibliophiles Programm?

Wir haben auch einzelne Bücher, die speziell für Bibliophile unter unseren Mitgliedern gemacht sind. Meist übernehmen wir die Titel von anderen Verlagen in Lizenz. Diese Bücher können wir unseren Mitgliedern mit einem Preisvorteil anbieten. Daneben offerieren wir auch Kostbarkeiten zum Ladenpreis. Wir werden jetzt in Kürze beispielsweise ein Reprint der Weimarer Sophienausgabe unseren Mitgliedern anbieten.

Zu welchem Vorzugspreis?

Die 144 Bände kosten 4 980,- DM.

Das ist nicht billig.

Nein, allerdings bedenken Sie bitte die unglaublich vielen Bände Goethe, die diese Ausgabe umfaßt, und die hohe Qualität der Ausstattung, die wir für solche Sonderprojekte bereithalten.

Ihre Wissenschaftliche Buchgesellschaft hat 140 000 Mitglieder. Auf den ersten Blick ein riesiges Kaufpotential. Trügt dieser Blick? Wie entwickelt sich die Mitgliedschaft?

Im Durchschnitt gibt jedes Mitglied ca. 180,- DM pro Jahr für Bücher unserer Gesellschaft aus. Das erhellt, daß wachsende Mitgliederzahlen und treue Mitglieder wesentlichen Einfluß auf die wirtschaftlichen Möglichkeiten der Gesellschaft besitzen. Die meisten neuen Mitglieder gewinnen wir unter den Studenten. Nicht alle bleiben uns treu. Viele von ihnen kündigen uns, wenn sie in ihr Berufsleben hineingewachsen sind, ihre Mitgliedschaft auf. Die Gründe dafür sind sicher vielschichtig. Wo wir dies beeinflussen können, tun wir das, indem wir stärker als bisher den sich nach Studium und beruflichem Start verändernden Ansprüchen unserer Mitglieder Rechnung tragen. Das heißt, wir haben Programmlinien für verschiedene Bedürfnisse definiert und realisieren sie. Neben den Programmlinien „Studium“ und „Forschung“, über die wir ja schon sprachen, entwickeln wir seit geraumer Zeit verstärkt wissenschaftlich fundierte Sachbücher, die wir unter der Überschrift „Wissen“ unseren Mitgliedern anbieten. Dazu zählen z. B. Biographien in unserer Reihe Gestalten des Mittelalters und der Renaissance. Bücher zum Verschenken oder zum Lesen aus Spaß an der Freude halten wir in unserer Programmlinie „LeseEcke“ bereit. Dazu zählen Leseausgaben von Klassikern oder auch Kinderbücher.

Die Durchschnittsverweildauer der Mitglieder liegt bei 16 Jahren. Das ist eine recht lange Lebenszeit. Wir arbeiten daran, daß diese Verweildauer noch weiter wächst, und wir wünschen uns für die Zukunft natürlich noch mehr Mitglieder. Gemessen an der Mitgliederzahl, sind wir natürlich ein bescheidenes Unternehmen.

Ohne Statistik kommt auch eine Buchgesellschaft nicht aus. Welches sind die erfolgreichsten Titel der fünfzigjährigen Geschichte der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft?

Unser erfolgreichstes Projekt ist die „Besondere Wissenschaftliche Reihe“. Diese Reihe gibt es seit den fünfziger Jahren, und etwa 20 000 unserer Mitglieder haben sie fest abonniert. Sie besteht jedes Jahr aus einer Auswahl von mehreren Büchern, die den eigenen Horizont erweitern und zum Lesen anregen. Im Jahr 2000 erscheinen in dieser Reihe zwei Bücher. Ein opulent ausgestatteter Text-/Bildband unseres Erfolgsautors Günter Binding mit dem Titel Was ist Gothik? und ein ebenfalls reich ausgestatteter Text-/Bildband von Hartwig Schmidt mit dem Titel Archäologische Denkmäler in Deutschland. Die beiden großformatigen Bände kosten für unsere Abonnenten zusammen 59,- DM.

Das Gespräch führte Hans-Jürgen Mende


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11+12/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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