Eine Rezension von Jutta Aschenbrenner


Nach zehn Jahren verschlissen

Dieter Schenk: Der Chef
Horst Herold und das BKA.

SPIEGEL Buchverlag, bei Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1998, 544 S.

 

Dieses stark dokumentarisch aufbereitete Buch ruft bei Zeitgenossen die Erinnerung an jene Jahre zurück, als die Medien der Baader-Meinhof-Gruppe, der „Rote Armee Fraktion“ (RAF), überhaupt der Terrorismus-Problematik, viel Platz einräumten. Dem Leser werden die Ereignisse, die vor allem in den 70er Jahren die Bundesrepublik erfaßten, sachlich, wenn auch natürlich nicht wertungsfrei, vermittelt. Für so manchen jungen Menschen war sein verhängnisvoller Weg zum Terror begleitet von Schlüsselerlebnissen wie dem brutalen Vietnamkrieg, der Erschießung des Studenten Benno Ohnesorg im Juni 1967 bei einer Demonstration gegen den Staatsbesuch des Schahs von Persien in Westberlin oder 1968 dem Mordanschlag auf den Studentenführer Rudi Dutschke und anderem mehr. Gewalt wurde zunehmend mit Gewalt beantwortet. Die Fahndung nach den RAF-Mitgliedern wurde eine der vorrangigsten Aufgaben im Bundeskriminalamt in Wiesbaden. Dieter Schenk, selbst jahrelang Kriminalbeamter und zuletzt vor seiner vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand als Kriminaldirektor in der Stabsstelle Interpol des BKA in der Funktion eines Sicherheitsberaters des Auswärtigen Amtes tätig, ist bemüht, auf dem Hintergrund der gesellschaftlichen Krisen, welche die Bundesrepublik in jener Zeit heimsuchten, ein möglichst ausgewogenes Bild von Horst Herold zu zeichnen, der von 1971 bis 1981 als BKA-Chef amtierte.

Der Autor führte lange Gespräche mit Horst Herold und interviewte zahlreiche Zeitzeugen, darunter Wissenschaftler, Politiker, Polizisten, Juristen, die Angehörigen des Schleyer-Krisenstabes und die damaligen Innenminister Genscher, Maihofer und Baum sowie Altbundeskanzler Helmut Schmidt. All das und vor allem auch Schenks Insiderwissen ließen ein Buch entstehen, das nicht nur eine Fülle von Informationen und Fakten enthält, sondern sich auch recht spannend liest. Dem Leser wird, wie könnte es anders sein, aber nicht nur die Person Horst Herold nahegebracht, sondern zugleich auch ein Blick hinter die Kulissen des BKA gestattet; darüber hinaus werden, zumindest andeutungsweise, Machtmechanismen deutscher Innenpolitik transparent gemacht.

Das Buch ist in zehn Kapitel unterteilt, und diese wiederum enthalten 98 Unterkapitel. Schon das Inhaltsverzeichnis regt zum Lesen an. Ein ausführliches Literatur- und Quellenverzeichnis sowie ein Personen- und Sachregister am Ende des Buches fehlen ebensowenig wie auf den ersten Seiten die Auflistung der vielen interviewten Personen einschließlich Funktion bzw. auch Aufgabenbereich.

Bevor Herold Chef des BKA wurde, war er in Nürnberg nacheinander Staatsanwalt, Richter, Leiter der Kripo und Polizeipräsident. Ihm eilte ein bundesweiter Ruf als »Mister Computer« oder »Kommissar Computer« voraus. Der Autor zeigt, wie Herold, von seinen Freunden als genial gepriesen, seine Funktion als BKA-Chef auch genutzt hat, um in der Politik mitzumischen, und wie er alle Möglichkeiten ausschöpfte, um mittels der EDV den »gläsernen Menschen« zu schaffen und mit seiner Rasterfahndung den Weg in einen quasi Orwellschen Überwachungsstaat zu ebnen. Mit der Computerisierung hat er in einem knappen Jahrzehnt auf die Arbeit der Polizei wesentlich eingewirkt und das BKA zu einer gigantischen Behörde ausgebaut, wobei er der Bekämpfung der RAF seinen persönlichen Stempel regelrecht aufdrückte. Herold war überzeugt, daß die Polizei, wenn sie nur genügend Daten zusammenträgt, schon vor dem Täter am Tatort sein kann. Seine Denkart stieß auf Zustimmung, denn Millionen-Beträge wurden bewilligt, mit denen nicht zuletzt auch ein weltweit vergleichsloses kriminaltechnisches Institut geschaffen wurde, in dem Kybernetiker und Programmierer, Chemiker und Physiker wirken.

Nach der Entführung des Präsidenten des Arbeitgeberverbandes und des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Hanns-Martin Schleyer, dirigierte BKA-Chef Herold als zentraler Einsatzleiter Grenzschutz und Geheimdienste ebenso wie die Polizei, wobei sich sein Einfluß auch auf Politiker erstreckte. Es war die Zeit, in der auch mit der Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“ die Freilassung von in Stammheim inhaftierten RAF-Gefangenen erzwungen werden sollte. Während die „Landshut“-Entführer schließlich in der somalischen Hauptstadt Mogadischu von einem Einsatzkommando der Grenzschutzgruppe9 (GSG 9) aufgebracht wurden, schlugen im Fall von Hanns-Martin Schleyer selbst großangelegte Fahndungen fehl nach den, wie sich herausstellen sollte, tötungsbereiten Entführern und den vielen Verstecken, in denen sie ihr Opfer gefangengehalten hatten. Von hier an ging es bergab mit Herold, er wurde von dem Sockel gestoßen, auf den ihn Politiker und Journalisten gehoben hatten. Kräfteverhältnisse, Prioritäten, die Stimmung und manches andere noch hatten sich wieder einmal geändert. 1981 wurde der damals 57jährige schließlich von Innenminister Baum entlassen. Erfahren hatte er von seiner Demission zunächst durch die Presse Ende November 1980. Dieter Schenk beendet sein Buch mit den folgenden kommentierenden Feststellungen: „Horst Herold hat schon immer polarisiert, das barg den Vorteil in sich, daß die Probleme deutlich wurden. Letztlich verlief es wie bei der Echternacher Springprozession in rituell erstarrter Ausprägung, wenn seine Projekte in der Politik realisiert werden sollten: drei Schritte vor, zwei zurück. Intelligenter ist die Polizei kaum geworden; wer weiß, wozu es gut ist.“

Kurios ist natürlich, daß der einstige „Mister Computer“, seit er sich im Ruhestand befindet, keinen PC mehr benutzt, statt dessen elektrische Schreibmaschine, Kopiergerät und Fax. Doch der Rat des „Altmeisters“ war immer wieder gefragt, so auch 1985, als er in „EDV und Recht“ einen mehrteiligen Aufsatz über den maschinenlesbaren Personalausweis publizierte. Diese Veröffentlichung beschäftigte dann sogar den Bundestag. Schließlich suchte Dr. Burkhard Hirsch, Mitglied des Bundestags-Innenausschusses, die fachliche Begegnung, und das neue Personalausweisgesetz soll zum Teil in Herolds Wohnung konzipiert worden sein. Der Ausweis, diese 10,5 mal 7,4 Zentimeter große glänzende Plastikkarte, die garantiert kratz- und waschmaschinenfest ist, ermöglicht, daß bei Personenkontrollen in Sekundenschnelle festgestellt werden kann, ob der Ausweisinhaber zur Festnahme ausgeschrieben ist. Dazu braucht das Kärtchen nur in ein elektronisches Lesegerät gesteckt zu werden, das mit dem Zentralcomputer verbunden ist.

In unserem Zeitalter globaler Kommunikation per Satellit bleibt, mag man es bedauern oder nicht, sowieso kaum noch eine Information geheim, ganz gleich, ob als E-Mail, Telephongespräch oder Faxverbindung. Alles, was über Funk geht und digital ist, kann aufgezeichnet werden, und dies wird tagtäglich auch praktiziert. Worüber sich zu Herolds Zeiten noch die Gemüter erhitzten, wird inzwischen achselzuckend toleriert.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11+12/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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