Eine Rezension von Eberhard Fromm


Gegen die deutsche Vollkasko-Mentalität

Margarita Mathiopoulos: Die geschlossene Gesellschaft und ihre Freunde

Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1997, 464 S.

 

Manche Sachbücher gewinnen, wenn man sie etwas ablagern läßt. Hätte ich dieses Buch unmittelbar nach seinem Erscheinen gelesen, wäre es wie eine Stimme in dem damals großen Chor der Kritiker der Kohl-Regierung erschienen. Nun aber, da die damalige Opposition unter Kanzler Schröder mit ihrer Programmatik politisch wirksam geworden ist, wird eines deutlich: Hier geht es um mehr als um Auseinandersetzung mit der einen oder anderen politischen Kräftegruppierung; hier geht es um globale Probleme der gesellschaftlichen Entwicklung in Deutschland.

Die Autorin, ausgewiesen durch Arbeiten zu ähnlich komplexen Themen wie Amerika: Das Experiment des Fortschritts (1987), Das Ende der Bonner Republik (1993), Rendezvous mit der DDR (1994) oder Über die Zerbrechlichkeit der Demokratie (1995), hat als Managerin in der Wirtschaft und als Bankchefin, aber auch durch Hochschullehrtätigkeit nicht nur vielseitige Einblicke in die gesellschaftliche Realität gewonnen; sie versteht es auch, ihre Position mit einer Fülle von Argumenten und Belegen eindringlich und überzeugend darzulegen.

Der Titel des Buches steht provozierend jener großen Untersuchung von Karl R. Popper über Die offene Gesellschaft und ihre Feinde gegenüber. So wie Popper jene Kräfte theoretisch denunzierte, die er als Feinde einer demokratischen Gesellschaft ansah, so attackiert Frau Mathiopoulos jenen „Idealtypus der Freunde der geschlossenen Gesellschaft“ in Deutschland, in dem sie eine Gefahr für die Demokratie und den Fortschritt in der Bundesrepublik sieht. Dahinter verbirgt sich jedoch mehr: „In diesem Buch geht es mir um die Gefahren, die sich für die Stabilität der demokratischen Ordnung aus einer unzureichenden Reaktion auf weltwirtschaftliche Entwicklungen ergeben können.“

Zu Beginn wird für die Gegenwart die schwerste Wirtschafts- und Sozialkrise der Bundesrepublik seit Kriegsende diagnostiziert. Sodann wird nach den Ursachen der „deutschen Regulierungswut“, der Verschlossenheit der Deutschen gegenüber Neuerungen und Reformen gefragt. In einer kleinen Mentalitätsgeschichte wird eine Art „Staatssozialismus“ von Bismarck bis Kohl untersucht: „Der deutsche Sozialstaat ist nichts anderes als eine Sozialgemeinschaft. Sie hat ihre Wurzel in der Bismarckschen Sozialversicherung, wurde durch die Sozialpolitik des Kaiserreiches und der Weimarer Republik kontinuierlich gefördert und fand ihre Überhöhung in der ,Volksgemeinschaft‘ des Nationalsozialismus. In der DDR wurde sie als ,kollektivistisches System‘ fortgeführt, in der Bundesrepublik Ende der fünfziger Jahre als ‘Wohlfahrtsstaat’ wiederaufgenommen und seither perfektioniert.“ Der typische Slogan für diese Haltung - „Keine Experimente!“ - könne keineswegs auf die Ära Adenauers beschränkt bleiben.

Diese Entwicklung wird als Ausformung einer geschlossenen Gesellschaft verstanden, wie sie eben nicht nur unter Diktaturen entstehen kann. Als ein besonders deutliches Signal für die Herrschaft der Freunde der geschlossenen Gesellschaft quer durch die bundesdeutsche Gesellschaft wird die deutsche Einheit dargestellt. Die damit gegebene einmalige historische Chance einer tiefgreifenden strukturellen Modernisierung des ganzen Landes sei kläglich vertan worden. Die Autorin weist auch die Behauptung zurück, die gegenwärtige Krise sei durch die Belastungen der deutschen Einheit entstanden. Detailliert zeigt sie die vielen Fehler, die hier begangen wurden, wobei sie ausführlich auf das Problem der Währungsunion eingeht. Der Abschnitt „Die Wirtschafts- und Währungsunion - ,Augen zu und durch!‘“ liest sich wie ein Lehrstück bewußt mißgestalteter deutscher Einheit. Aber nicht allein die wirtschaftlichen und finanziellen Fehlgriffe spielen in der Analyse eine Rolle. Als einen, wenn nicht d e n vermeidbaren Grund- und Hauptfehler der Wiedervereinigung wird „die Abwicklung der Ehre der ehemaligen DDR-Bürger“ benannt.

Durchgängig wird darauf verwiesen, daß diese Art von Sozialstaat in Deutschland ein „Schönwettermodell“ darstelle, das zwar in Zeiten wirtschaftlicher Blüte funktioniere, in Krisenzeiten jedoch schnell zu Handlungsunfähigkeit und Legitimationsverlust führe. Das habe nicht nur Weimar gezeigt; auch für die Gegenwart müsse man noch von einer „zerbrechlichen Demokratie“ sprechen.

Im abschließenden Ausblick auf die kommenden Zeiten wendet sich die Autorin gegen ängstliche Schwarzmalerei im Zusammenhang mit der Globalisierung. Diese Entwicklung bietet nach ihrer Ansicht große Chancen für alle offenen Gesellschaften. Als Beispiele für gegenwärtige Reformmodelle berichtet sie von Schweden, den Niederlanden, Großbritannien, Neuseeland und natürlich von den USA.

Das Buch ist Politikern aller Parteien, die heute um jeden Reformansatz feilschen, dringend zu empfehlen. Denn das Schlußplädoyer der sachkundigen Autorin ist sicher keine bloße rhetorische Floskel: „Wenn wir unsere Vollkasko-Mentalität nicht in Risikobereitschaft, unsere Bedenkenträgerkultur nicht in Innovations- und Leistungskultur verwandeln, dann haben wir verloren.“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11+12/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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