Eine Rezension von Kathrin Chod


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Leben und Lesen

 

Golo Mann: Erinnerungen und Gedanken
Lehrjahre in Frankreich.
Herausgegeben von Hans-Martin Gauger und Wolfgang Mertz.

S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 1999, 288. S.

 

Einen autobiographischen Entwicklungsroman kündigen die Herausgeber an. Daß dieses Buch erst fünf Jahre nach dem Tod seines Autors erscheint, deutet auf einige Schwierigkeiten hin. Zum einen waren es gesundheitliche Probleme, die den damals 77jährigen Golo Mann daran hinderten, zügig seinen zweiten Erinnerungsband zu vollenden, zum anderen auch offenkundige Probleme, bestimmte Lebensabschnitte zu reflektieren. 1986 begonnen, sollte das Buch an Eine Jugend in Deutschland, den ersten Band seines Memoirenwerkes Erinnerungen und Gedanken anknüpfen. Das Ergebnis ist weder ein Roman, noch ein chronologisches Erinnerungsbuch. Vielmehr eine Sammlung, eben von Erinnerungen und Gedanken: Erinnerungen aus heutiger Sicht über sein Leben nach der Emigration in Frankreich und der Schweiz, seine Zeit als Lehrer in Saint-Cloud und Rennes, Reflexionen zur französischen Innen- und Außenpolitik unmittelbar vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, Beiträge zur französischen Geschichtsschreibung sowie zur französischen Literatur und als Abschluß die Tagebuchaufzeichnungen über seine Internierung 1940. Ein Buch, das problematische, vom Autor nie bewältigte Stationen ausspart, so das Scheitern in Prag, wo es ihm mißlingt, sich als tschechischer Staatsbürger eine neue Existenz zu schaffen.

Frankreich, das sollte für Golo Mann - damals Anfang Dreißig - die Station werden, die entscheidend auf seinem Weg der Selbstbehauptung und Emanzipation vom übermächtigen Vater wurde. Er beginnt seine Erinnerungen mit eher Anekdotischem aus Sanary-surmer, wo sich 1933 viele prominente Emigranten einfinden. Aus seinen für den Text verwendeten Tagebucheintragungen spricht Verachtung gegenüber Mitemigranten. Boshafte Spitzen gegen Feuchtwanger („wir nannten ihn das ,Äffchen‘“) und Arnold Zweig („ein eitler, mittelgescheiter, geschwätziger Mann“). Hinzu kommen Irritation und Ohnmacht eines Konservativen nach der Festigung von Hitlers Herrschaft in Deutschland, tiefe Verunsicherung, da der Flüchtling sich doch als wahrer Deutscher fühlt. So konstatiert er einmal seinen damaligen Widerwillen gegenüber politischen Gesprächen, ein andermal, seinen „Drang, ein wenig für die Öffentlichkeit zu politisieren“. Golo Mann glaubt auch nach mehr als vierzig Jahren, daß die Emigranten politisch völlig einflußlos waren, in ihren Gastländern niemals gehört wurden und auf den Gang der Nachkriegsgeschichte ohne Wirkung blieben. Noch unmittelbarer als die Erinnerungen wirken die abschließenden Tagebuchaufzeichnungen aus dem Internierungslager: „Erfahrene sagen, daß es schlimmer sei als Dachau; das ist natürlich Unsinn. Wahr scheint mir nur dies: Die Deutschen organisieren die Grausamkeit sauber und genau; die Franzosen können, ohne viel darüber nachzudenken, Schlamperei und Unfähigkeit bis zum Grausamen treiben.“ Obwohl Golo Mann sich um einen distanzierten Blick bemüht, ahnt man seine Bestürzung. Er begibt sich aus der sicheren Schweiz nach Frankreich, in das Land, das ihm zur zweiten Heimat wurde, um an der Seite der Franzosen gegen Deutschland zu kämpfen, und wird als feindlicher Ausländer interniert.

Golo Manns beeindruckendste Arbeiten waren für mich ohne Zweifel biographische Werke (Wallenstein) und seine Betrachtungen zur Literatur (gesammelt in Wir alle sind, was wir gelesen). So hinterlassen auch in diesem Band seine Ausführungen zu Dichtern und Denkern bei mir den nachhaltigsten Eindruck. Da gibt es zu Carl Schmitt einen glänzenden Exkurs: „Schmitt, kurz gesagt, war einer von denen, die ihre Intelligenz und Bildung gebrauchten, nicht um Nutzen, sondern um Schaden zu stiften, ein im ernstesten Sinn des Wortes schadenfroher Mensch; immer bereit, das Gutwillige, was vorhanden, wenn auch zur Zeit schwach war, die soziale Demokratie, zu verhöhnen, dem Schlechten, wenn es mächtig war oder zu werden versprach, geschwollene juridische Theorie nachzuliefern und den persönlichen Vorteil davon zu haben, Titel und Würden.“ Obwohl sich Golo Mann in erster Linie als Beobachter sieht, macht er auch in den Darstellungen zur französischen Literatur und Geschichtsschreibung aus seinen Vorlieben keinen Hehl. („Man kann Rousseau lieben oder Voltaire; beide zusammen, das geht nicht. Für mich ist’s Voltaire.“) Wahrscheinlich gelingt es Golo Mann gerade durch diese persönliche Verbundenheit, seine Leser zu animieren, die vorgestellten Werke zu lesen bzw. wiederzulesen. Was hätte er mehr erreichen können?


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11+12/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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