Eine Rezension von Gerhard Keiderling


Klarheit über Berlins ersten Stadtkommandanten von 1945

Peter Jahn (Hrsg.): Bersarin, Nikolaj
Generaloberst - Berliner Stadtkommandant.

Elefanten Press, Berlin 1999, 128 S., 240 Abb. und Dokumente

 

Generaloberst Nikolaj Erastowitsch Bersarin (1904-1945) war vom 24. April bis 16. Juni 1945 der erste sowjetische Stadtkommandant. Seine 5. Stoßarmee der 1. Belorussischen Front drang in den letzten Kriegstagen beiderseits der Frankfurter Allee über den Alexanderplatz bis Unter den Linden vor und stand zur Stunde der Kapitulation der deutschen Garnison am 2. Mai 1945 auf der Ostseite des Brandenburger Tores. Von seinem Hauptquartier in Alt-Friedrichsfelde aus befehligte Bersarin die ersten Schritte zur Normalisierung des Lebens in der zerstörten Stadt. In der DDR wurde der Sowjetgeneral als Befreier vom Faschismus geehrt. Schon im Mai 1946 erhielten eine Straße und ein Platz in Berlin-Friedrichshain, 1959 eine Oberschule in Berlin-Weißensee, 1969 eine NVA-Kaserne und 1949 sogar ein Trabrennen in Karlshorst (Bersarin hatte die Wiedereröffnung der Pferderennbahn angeordnet) seinen Namen - bis zur Wende 1989. Danach begann die Aktion „Tilgung“. Schließlich wurde Bersarin - seit 1975 Ehrenbürger der Hauptstadt der DDR - auf Betreiben der CDU nicht in die Gesamtberliner Ehrenbürgerliste übernommen.

Es ist daher begrüßenswert, daß das Deutsch-Russische Museum Berlin-Karlshorst - Nachfolger des Museums der sowjetischen Streitkräfte von 1967 bis 1994 - im Herbst 1999 eine Sonderausstellung über den Heerführer veranstaltete (schon 1970 gab es in Ost-Berlin eine solche mit über 12 000 Besuchern) und den vorliegenden Bild-Text-Begleitband herausgab. Lutz Priess hat das Leben Bersarins, der als 14jährige Vollwaise 1918 in die Rote Armee eintrat und in ihr seine Heimat fand, recherchiert und viel Neues entdeckt. So entging Bersarin nur knapp der stalinistischen Säuberungswelle in der Armee Ende der dreißiger Jahre und galt bis Anfang 1945 in der Moskauer Führung als politisch unzuverlässig. Andreas Hallen würdigt die 54 Tage als Berliner Stadtkommandant in knapper Form. Leider läßt er viele - auch gedruckt vorliegende - Quellen ungenutzt, beruft sich meist auf Sekundärliteratur und bleibt dadurch in Details hinter dem Forschungsstand zurück. Der eigentliche Gewinn dieses Bandes sind die zahlreichen Fotos und Faksimiles von Dokumenten, die meisten davon bislang nicht bekannt.

Der Herausgeber konstatiert, das Resultat der Arbeit seines Museums sei „ein überwiegend positives Bild Bersarins“. Was hat man denn erwartet? Daß die CDU-Anwürfe, der General hätte an Kriegsgreueln gegenüber den „Baltendeutschen“ mitgewirkt, völlig haltlos waren, verwundert keinen. Für eine „Entzauberung von Legenden“ oder eine Neusetzung von „mythischen Akzenten in seiner Biographie“ bietet Bersarin ein denkbar ungeeignetes Objekt. Ihn andererseits vor dem Hintergrund einer „düsteren“ sowjetischen Besatzungspolitik als einen „Glücksfall für die überlebende Berliner Bevölkerung“ neu zu ikonisieren, ist nicht minder abwegig. Der Sowjetgeneral - den übrigens damals jeder Berliner dem Namen nach kannte - war ein Tatmensch, der die ihm übertragene Aufgabe mit Überzeugung und Engagement erfüllte. Solche Besatzungsoffiziere hatte es in der kritischen Zeit von April/Mai 1945 auch in anderen Städten und Zonen gegeben. Daß ausgerechnet Bersarin, dem deutsche Vertreter aus allen politischen Lagern im Frühsommer 1945 ihre Hochachtung bezeugten, überhaupt ins Gerede kam, hängt mit undifferenzierten Sichten aus der Zeit des Kalten Krieges und der Nach-Wende-Jahre zusammen. Die „neue historische Lesart“ der Ausstellung im Deutsch-Russischen Museum weckt die Hoffnung, daß die Wiederentdeckung Bersarins „als erster Stadtvater“ - wie es „Der Tagesspiegel“ vom 21.9.1999 formulierte - zu seiner späten Rehabilitierung führt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11+12/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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