Eine Rezension von Herbert Mayer


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Der Führungsanspruch der USA bleibt

 

Robert L. Hutchings: Als der Kalte Krieg zu Ende war
Ein Bericht aus dem Innern der Macht.

Alexander Fest Verlag, Berlin 1999, 490 S.

 

Der Autor, heute Professor an der Princeton University, beschreibt den Umbruch der Jahre 1989-1992, mit dem der Kalte Krieg zu Ende ging. Er agierte in jenen Jahren im Nationalen Sicherheitsrat der USA als Leiter der Abteilung für Europäische Angelegenheiten. Im Beraterkreis um Präsident Bush und Außenminister Baker war er an der Konzipierung, Formulierung und Umsetzung der Außenpolitik beteiligt. Hutchings, der in den 80er Jahren stellvertretender Direktor von Radio Free Europe in München war, betrachtet die Regierungspolitik zwar nicht völlig unkritisch, doch dient seine Darstellung vor allem ihrer Apologetik und ihrer Würdigung. Kritisches betrifft nur Nebensächliches, so Tempo, Zeitpunkt oder Formen der Realisierung der US-Politik, aber nie ihre Grundrichtung und -ziele. Wer ein Offenlegen interner Auseinandersetzungen und Differenzen in der Bush-Administration erwartet, wird enttäuscht. Sie spielen in diesem Buch keine Rolle. Der Grund liegt wohl keineswegs darin, wie der Autor glauben machen will, „weil es einfach relativ wenige Meinungsunterschiede gab“. Das würde verwundern. Zumal wenn Hutchings betont, daß die Bush-Regierung in ihren „außenpolitischen Ansätzen konträr zur Politik der Reagan-Zeit“ gestanden habe, im Nationalen Sicherheitsrat den gesamten bisherigen Beraterstab auswechselte und alle Akten mit „den dazugehörigen Strategiepapieren und Analysen“ aus den Regalen entfernte, um „wieder bei Null“ anzufangen.

Der Autor legt keine Chronologie der behandelten Jahre vor, sondern geht problemorientiert vor. Schwerpunkte bilden die Haltung zur Sowjetunion, die deutsche Problematik und die Entwicklung in Osteuropa (er verwendet stets den Begriff „Ostmitteleuropa“). Durchgängig hebt er hervor, daß es in den Entwicklungen der Jahre zwischen 1989 und 1992 immer mehrere Lösungsmöglichkeiten gab, „niemals nur eine“. Auch wenn die USA vielfach nur reagiert haben, so seien sie einer „Grand Strategy“ gefolgt. Zu ihren Voraussetzungen und Zielen zählt Hutchings, von einer „entgegenkommenden Haltung“ des Westens wegzukommen, eine gemeinsame Strategie und den Zusammenhalt der westlichen Allianz zu sichern, an die Stelle der Gorbatschowschen Idee vom gemeinsamen europäischen Haus das Ende des Kalten Krieges zu setzen und der Entwicklung in Osteuropa die Priorität in internationalen Fragen zu geben. Um die Ziele zu erreichen, wären zuerst die Beziehungen zwischen den USA und der Sowjetunion „auf Eis gelegt“ worden. Daß die Grundprinzipien der US-Politik problematisch waren, räumt er offen ein, da sie „militärische Macht - vor allem unsere eigene - derart hoch ansiedelten, daß die politischen, wirtschaftlichen und anderen Attribute ... in den Hintergrund traten“. Zufrieden bilanziert Hutchings: „Die Befreiung Ostmitteleuropas ..., die Vereinigung Deutschlands und der Zusammenbruch des sowjetischen Kommunismus - all das war auf friedlichem Wege und zu den Bedingungen des Westens erreicht worden.“

Ungeschminkt legt Hutchings die Intentionen der Bush-Administration gegenüber der Sowjetunion dar. Sie habe nie eine strategische, auf Ausgleich beruhende Partnerschaft in Betracht gezogen, vielmehr sollte die Sowjetunion die westlichen Bedingungen für die Beendigung des Kalten Kriegs akzeptieren. Deshalb gehörte zu den ersten Entscheidungen der Bush-Regierung die „Rückkehr zum Prinzip der atomaren Abschreckung“, das Gorbatschows neuem Denken gegenübergestellt wurde. Es ging nicht darum, Gorbatschow und der Sowjetunion (sowohl in der internationalen Arena als auch in den Reformprozessen im Lande) zu helfen, sondern die Interessen der USA durchzusetzen. Unmißverständlich betont Hutchings, „natürlich war die Auflösung der Staatsunion unseres Feindes aus der Zeit des Kalten Krieges im amerikanischen Interesse“.

Auch die Zustimmung zur deutschen Einheit war von reinen machtpolitischen Interessen der USA bestimmt. „Unsere Diplomatie in dieser Zeit war vollständig darauf ausgerichtet, die amerikanischen - nicht die deutschen - Interessen zu verteidigen.“ Entgegen späteren Legenden zeigt Hutchings, daß nicht nur in Großbritannien und Frankreich Vorbehalte gegenüber der Wiedervereinigung bestanden. Die Beziehungen der USA zur Bundesrepublik waren keineswegs so harmonisch und identisch, wie es einige Politiker gern darstellten und darstellen.

Entscheidend für die USA war, unter welchen Bedingungen die Vereinigung Deutschlands erfolgte und „welche Art Deutschland“ aus dieser hervorging. Nachdem die Tschechoslowakei, Polen und Ungarn der Einbeziehung eines vereinten Deutschlands in die NATO keinen Widerstand mehr entgegensetzten, habe es für die 2+4-Verhandlungen nur noch mit dem DDR-Ministerpräsidenten L. Maizière und DDR-Außenminister M. Meckel Schwierigkeiten gegeben. „Natürlich taten Kohl und Genscher alles, um die ostdeutschen Abweichler zu bekehren, und scheuten auch nicht davor zurück, sie massiv unter Druck zu setzen“, bekundet Hutchings. Insgesamt schätzt er ein: „Der Beitrag der Vereinigten Staaten zur Vereinigung Deutschlands wird mit Sicherheit als eines der erfolgreichsten diplomatischen Unterfangen in die Geschichte der amerikanischen Staatskunst eingehen. Fast alle unserer Ziele wurden erreicht.“ Dazu gehörten vor allem die Voll-Mitgliedschaft Deutschlands in der NATO und die (politische, wirtschaftliche und militärische) Präsenz der USA in Europa.

In der Interpretation von Hutching hatte der Kalte Krieg seine Ursache allein in der „sowjetischen Beherrschung Ostmitteleuropas“, einen US-amerikanischen Anteil am Kalten Krieg gibt es bei ihm nicht. Kalter Krieg und sowjetische Bedrohung, so der Autor, wären zu Synonymen geworden. Da der Kalte Krieg in Osteuropa begonnen habe, habe er dort auch enden müssen. Den Zusammenbruch des kommunistischen Systems in Osteuropa haben die USA zwar nicht herbeigeführt, doch „starken und manchmal entscheidenden Einfluß“ ausgeübt. Dazu habe die US-Administration die Sowjetunion „beruhigen“ müssen. Bush und Baker hätten daher immer wieder erklärt, „daß die Entwicklung in Ostmitteleuropa die legitimen sowjetischen Sicherheitsinteressen nicht gefährde. Dabei war es wirklich schwierig, Wahrheit und Taktik bei dieser Zusicherung auseinanderzuhalten.“ An mehreren Stellen tritt klar hervor: Wirtschaftshilfe aus den USA und anderen westlichen Ländern gab es für osteuropäische Länder nur bei entsprechendem politischem Wohlverhalten und Gegenleistungen. Der Autor läßt keinen Zweifel, daß es den USA in Osteuropa nicht um irgendeine Art von Auslandshilfe ging, sondern um strategische Prioritäten. Nicht ganz uninteressant ist, man vergleiche zeitgenössische Erklärungen, seine Randbemerkung über Ungarn, als es für DDR-Bürger die Grenzen öffnete: „Als Belohnung wurde der ständige MFN-Status für Ungarn von den USA bestätigt und ein Milliardenkredit aus Bonn gewährt.“

Der Eindruck des Buches ist ernüchternd. Hutchings verdeutlicht Sendungsbewußtsein, Großmachtdenken und Weltherrschaftsanspruch der USA. Entlarvend oft, welche Ziele, Formen und Methoden die USA selbst gegenüber ihren Bündnispartnern verfolgten. Den USA ging es, geht es und wird es weiterhin stets um den eigenen Führungsanspruch gehen, auch in einer als neu deklarierten Weltordnung. Aus dieser Sicht logisch ist Hutchings abschließende Bemerkung: „Die Führungsrolle der Vereinigten Staaten ist in dieser neuen Ära ebenso unerläßlich, wie sie es in der alten war.“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11+12/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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