Eine Rezension von Helmut Caspar


Von der Hohenzollernburg zur Kaiserresidenz

Helmut Engel: Schauplatz Staatsmitte
Schloß und Schloßbezirk in Berlin.
Mit einem Vorwort von Christoph Stölzl.

Jovis Verlagsbüro, Berlin 1998, 176 S. mit zahlr. Abb.

 

Das Berliner Schloß, dessen sich der Chef der obersten Denkmalbehörde der Hauptstadt in diesem außerordentlich kenntnisreich geschriebenen und hervorragend illustrierten Band mit großer Ausführlichkeit annimmt, hat nicht aufgehört zu existieren. Im Bewußtsein der Berliner überlebte es den kommunistischen Bildersturm von 1950, fand in den frühen neunziger Jahren als bemalte Installation bewundernde Betrachter, kann seit einiger Zeit auch als Computeranimation von allen Seiten in der Infobox am Potsdamer Platz besichtigt werden. Ob der Hohenzollernbau je seine Wiedergeburt erlebt und wenn ja, in welcher Qualität, weiß niemand im Moment zu sagen. Denn allen Plänen steht der Palast der Republik im Wege, der gerade von Asbest befreit wird. Die Zeichen für das Schloß stehen nicht schlecht, Berlin lebt im Rekonstruktionsfieber, derweil die Mittel weiterhin knapp sind, noch existierende, häufig lädierte Denkmäler der Architektur, Kunst und Technik am Leben zu erhalten.

Helmut Engel hält sich aus der Diskussion um einen möglichen Schloßwiederaufbau heraus, läßt seine Darlegungen mit dem Fall der Mauer vor zehn Jahren enden. Auch der Generaldirektor des Deutschen Historischen Museums, Christoph Stölzl, gibt im Vorwort keine Empfehlung, rät aber künftigen Bauherren, „auch das Abwesende ernst zu nehmen“. Das wird bereits getan, etwa bei den 1999 in Gang gekommenen Planungen zum Wiederaufbau der Bauakademie oder des Kommandantenhauses Unter den Linden 1, zwischen Kronprinzenpalais und Spree, dem Zeughaus gegenüber gelegen. Engel stellt eingangs vorsichtig fest, daß die mit der Schließung des Palastes der Republik von „Kombattanten, Geschichtsfreunden und Stadtplanern sowie Investoren“ ausgelösten Erörterungen und Projekte durchaus den Eindruck erwecken, „daß sie in vielen Aspekten vertiefungsbedürftig sind“. Ihm sei es darum gegangen, „das Schloß nicht nur unter stadträumlichen Gesichtspunkten zu betrachten, als untergegangenes Kunstwerk oder gar als des lieben Königs schöne Wohnung zu kennzeichnen, sondern die Aufmerksamkeit auf die naturgemäß sehr schwierig zu bestimmende geschichtliche Bedeutung zu lenken, was nur unvollkommen geschehen konnte“. Sein Buch versteht der Autor als Beitrag für die laufende Diskussion um das Schloß und seine mögliche Wiedergeburt, verbunden mit breitgelagerter Information über das, was in seinem Umkreis gestanden hat und heute noch steht. So lädt Engel den Leser ein zu einem imaginären Rundgang durch das spätmittelalterliche Berlin sowie des 16. und folgender Jahrhunderte. Er zeigt dabei, daß die „Staatsmitte“ nicht immer mit dem Berliner Schloß identisch war. Regiert wurde auch anderswo - in Potsdam, Charlottenburg, unterm Soldatenkönig gelegentlich sogar im fernen Wusterhausen.

Von Herrscher zu Herrscher gehend, schildert der Autor das Werden der Residenz, zeigt, daß die Berliner im 15. Jahrhundert ihre Not mit den Hohenzollern hatten, die sich zwischen Berlin und Cölln als aus Franken kommende neue Herren breitmachten und sich dort im Barock auch in Marmor und Bronze als keinen Widerspruch duldende Sieger verewigen ließen. Man muß den fortlaufenden Text zusammen mit den ausführlichen Bilderläuterungen lesen, um ein lebendiges Bild vom Aussehen und Ausbau der brandenburgisch-preußischen, ab 1871 auch der kaiserlichen Hauptstadt zu gewinnen, die übrigens in ihrer älteren Zeit stärker von Wasserzügen und Kanälen zerschnitten war, als man es heute noch wahrnimmt. Deutlich wird, daß viele Planungen zur Ausschmückung Berlins, zur Besetzung mit Regierungs-, Museums- und Kulturbauten, Denkmälern und auch die Grablege für die Herrscherfamilie nicht realisiert werden. Manches war nur für den Augenblick bestimmt, so aus vergänglichem Material gefertigte Ehrenpforten, durch die Fürstlichkeiten mit hohen Gästen in die Stadt gelangten. Keinen Ewigkeitswert hatte die brutale Umgestaltung des Lustgartens zum Aufmarschplatz für NS-Kundgebungen. Daß der Platz vor Schinkels Altem Museum in Analogie zur Form des 19.Jahrhunderts begrünt wurde und an Stelle des nach 1945 vernichteten Reiterdenkmals Friedrich Wilhelms III. einen Springbrunnen erhielt, ist ein längst fälliger Akt der Wiedergutmachung.

Ganz zum Schluß des Buches erfährt der Leser Einzelheiten über Planungen zur Neugestaltung der zu großen Teilen zerstörten Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg. Da war das als „Symbol des völligen Verfalls jener feudalistischen und imperialistischen Macht, die es einst hatte entstehen lassen“ denunzierte, laut Gutachten jedoch wiederaufbaufähige Schloß, um dessen Erhalt sich namhafte Bau- und Kunsthistoriker aus Ost und West vergeblich bemüht hatten, schon auf Weisung der SED-Führung einem Aufmarschplatz mit Ehrentribüne gewichen. Es lohnt sich, die Modelle und Pläne zu studieren, auf denen sich ein stalinistischen Kulturpalästen abgekupfertes Hochhaus als neuer Regierungssitz erheben sollte, zu beiden Seiten durch künstliche Seen flankiert. Ein Glück, wird man sagen, daß die junge DDR nicht die Puste und vielleicht auch nicht den Mut hatte, diese Visionen zu verwirklichen. Mit ihnen zu leben wäre ungleich schwieriger, als es ohnehin schon mit dem Palast der Republik der Fall ist.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11+12/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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