Eine Rezension von Helmut Caspar


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Skurrile Fundstücke aus Honeckers Schublade

Henrik Eberle/Denise Wesenberg (Hrsg.): Einverstanden, E. H.
Parteiinterne Hausmitteilungen, Briefe, Akten und Intrigen aus der Honecker-Zeit.

Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 1999, 344 S.

 

Als 1985 der Berliner Parteichef Konrad Naumann unter ziemlich ehrenrührigen Umständen von seinem Posten verjagt wurde, schrieb er, ganz geknickt, einen Brief an seinen ehemaligen Chef Erich Honecker mit der Bitte um Nachsicht und dem Postskriptum, er habe seine Waffe und den Waffenschein abgegeben. „Deine prinzipielle Kritik und die aller Genossen des Politbüros ist richtig und hat mich tief getroffen - und ich habe noch keine Fassung wiedergefunden“, so der nach internen Angriffen auf den ersten Mann im Staat gefeuerte Funktionär, dem man, nun seiner Macht beraubt, Trinkfreudigkeit, Machtbewußtsein und sexuelle Ausschweifungen nachsagte. Solange ein Mann wie Naumann nicht aneckte, war er für jede Kritik tabu, erst als er Vorstellungen zur Erneuerung der SED formulierte, die postwendend auf dem Tisch des Staats- und Parteichefs landeten, konnte man an seinem Ansehen kratzen. Naumanns vom Politbüro abverlangte Entschuldigungsbrief ist abgedruckt in einer Sammlung von Schriftstücken, die entweder an Honecker gerichtet waren oder ihn auf Umwegen erreichten und häufig mit der Floskel „Einverstanden, E. H.“ abgezeichnet waren. Dazu kommen zahlreiche Aktenstücke, die nur die Ebene der SED-Kreis- und -Bezirksleitungen erreichten, wegen ihres brisanten Inhalts jedoch an die Staatssicherheit und andere Organe zur „Bearbeitung“ weitergegeben wurden. Nach welchem System die Herausgeber ihre Auswahl getroffen haben, ist nicht ganz leicht zu erkennen, denn sie zogen, wenn man so sagen will, aus Honeckers Schublade Skurriles und Ernstes hervor, Prinzipielles und absolut abseitigen Alltagskram wie der Dank einer Funktionärin für eine ihr verliehene Auszeichnung oder die Warnung vor allzu üppigem Kalenderdruck, da Papier knapp ist.

Zehn Jahre nach dem Untergang des Arbeiter-und-Bauern-Staats bleibt einem beim Lesen dieses mit sparsamen Kommentaren versehenen Sammelbandes das Lachen im Halse stecken. Man wundert sich nur, womit der Staats- und Parteichef und seine engsten Mitarbeiter ihre Zeit totschlugen. So muß sich der Generalsekretär gleich eingangs mit der von Politbüromitglied Albert Norden an ihn herangetragenen Frage befassen, warum beim Berliner Marx-Engels-Denkmal der eine steht und der andere sitzt und ob das „die normale Haltung eines Geistesriesen“ ist. Er befaßt sich, mal zustimmend, mal ablehnend reagierend, mit Anträgen prominenter Künstler, in den Westen ausreisen oder dort wenigstens eine Zeitlang schauspielern und ausstellen zu dürfen. Auf den Tisch kommen Petitionen, aus Sonderkontingenten ein Westauto gestellt zu bekommen; ein Karl-May-Museum wird genehmigt; Lindensetzlinge werden auf höchste Weisung im Gegenzug zu Kirschbaumsetzlingen nach Japan geschickt. Da gibt es den Vorschlag, über das Rostocker Neptun-Hotel eine Fernsehreportage zu bringen, weil der Service ausnahmsweise mal ordentlich war, und eine Liste von Kandidaten zur Auszeichnung mit der Hufelandmedaille. Hinzu kommen Grundsatzentscheidungen wie die Kandidatur von Anna Seghers für den Literaturnobelpreis, die Bitte, den Schriftsteller Volker Braun mit dem Nationalpreis der DDR (Dotation 100 000 Mark) auszuzeichnen, oder auch die Bereitstellung von Stoffen für neue Ehrenbanner des ZK. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Viel ernster sind anonyme Drohungen sowie namentlich unterzeichnete Beschwerdebriefe über eine mangelhafte Versorgung mit Wohnungen, Lebensmitteln und die berühmt-berüchtigten „1000 kleinen Dinge“. Gelegentlich erreichten diese Briefe auch den Generalsekretär, der sie mit und ohne Randbemerkungen an die zuständigen Dienststellen zurückreichte, die ihrerseits „Gespräche“ mit den Absendern führten, ohne ihnen allerdings Hilfe zusagen zu können. Manche Schreiben ließen sich im Verständnis der damaligen Funktionäre nicht beantworten und landeten in der Ablage.

Nach welchem System die aus dem mitteldeutschen Raum stammenden und in Halle tätigen Herausgeber beim Zusammentragen der unheimlichen Lachhaftigkeiten vorgingen, ist nicht zu erkennen. Vieles stammt aus Leipziger und Merseburger Parteiarchiven, Vorgänge an der Küste oder auch rund um Berlin, besonders wichtig wegen der dauernden Ost-West-Konfrontation und der Mauerproblematik, bleiben leider ausgeblendet. Auch über die Machenschaften der Staatssicherheit und entlang der deutsch-deutschen Grenze, die ja auch Honecker vorgelegen haben und mit „Einverstanden, E. H.“ abgezeichnet wurden, findet man kaum etwas, gelegentlich blickt man in die Abgründe der Kader- und Medienpolitik.

Im Nachwort listen die Autoren noch einmal auch unter Bezug auf die von ihnen edierten Dokumente die Ursachen für den Untergang der DDR auf, behaupten von Honecker gar, er sei lasch und überfordert gewesen und habe aus Underdogs Mächtige gemacht und sich ansonsten als Außen- und Friedenspolitiker profiliert. Ob das in dieser Verkürzung stimmt, muß bezweifelt werden. Unerörtert ist, warum sich dieser Kleinbürger als mächtigster Mann im Staate halten konnte und wieso es ihm gelang, auch international als Politiker zu glänzen. Auch angesichts der Lektüre der vielen Beschwerden und Zustandsschilderungen aus der Bevölkerung sowie der Hinweise häufig auch aus der regimetreuen Ecke, die das Buch bietet, werden alle diejenigen Lügen gestraft, die behaupten, bis zum Schluß den Ernst der Lage nicht überblickt zu haben.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11+12/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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