Eine Rezension von Gerhard Keiderling


Opfer stalinistischer Parteijustiz

Verfolgt und entrechtet
Die Ausschaltung Christlicher Demokraten unter sowjetischer Besatzung und SED-Herrschaft 1945-1961.
Eine biographische Dokumentation.
Herausgegeben von Günter Buchstab. Bearbeitet von Brigitte Kaff und Franz-Josef Kos.

Droste Verlag, Düsseldorf 1998, 561 Seiten.

 

Die vorliegende Dokumentation der Konrad-Adenauer-Stiftung e. V., Sankt Augustin, erfaßt 2 283 Kurzbiographien von CDU-Mitgliedern in der SBZ/DDR, die im Zeitraum von 1945 bis 1961 aus unterschiedlichen Gründen in die Fänge der politischen Justiz der SMAD und der DDR-Organe gerieten. Angaben zu weiteren 700 politischen Häftlingen liegen unvollständig vor. Die Öffnung der einschlägigen Archive nach 1989 ermöglichte es, die statistischen Unterlagen des Deutschland-/Ostbüros der Exil-CDU zu ergänzen und diese Einzelschicksale biographisch zu belegen. Der Untertitel der Dokumentation „Ausschaltung Christlicher Demokraten“ ist nicht ganz zutreffend, denn die CDU verblieb als eine „Blockpartei“ im Herrschaftssystem der DDR. Wer sich damals dem rigiden Kurs der Gleichschaltung und der Sowjetisierung widersetzte, mußte mit Repressalien der verschiedensten Art rechnen. Auch Sozial- und Liberaldemokraten und sogar SED-Genossen gerieten in das Räderwerk einer Willkürjustiz. Doch in dem hier betrachteten Zeitraum wurde von allen „(klein-)bürgerlichen Parteien“ die CDU am argwöhnischsten observiert, am strengsten kontrolliert und am härtesten diszipliniert. Seit den freien Wahlen im Herbst 1946, bei denen sich die CDU trotz Behinderung als antikommunistische Alternative behauptete, wurde sie - nicht zuletzt wegen ihrer Beziehungen zur Schwester-Union im Westen - von den Sowjets und von der SED je nach politischer Lage mal hofiert und mal attackiert.

Die Einleitung zur Dokumentation hebt mehrere Verfolgungs- und Verhaftungswellen hervor: 1945-1946 Repressalien im Zusammenhang mit Bodenreform und ersten freien Wahlen, 1947-1950 Prozesse gegen Studenten und CDU-Jugendvertreter, 1948-1950 Ausschaltung der „Kaiser-Anhänger“ und der Opponenten gegen die DDR-Gründung, 1950-1953 Verhaftungen und Schauprozesse gegen „reaktionäre Elemente“ und „Feinde des sozialistischen Aufbaus“, nach 1952 Kampf gegen die „Agentenzentrale Ostbüro der CDU“.

Insgesamt 146 CDU-Mitglieder wurden wegen Kontakten zum Ostbüro verhaftet (weitere 329 wegen sonstiger „Westkontakte“). Während sowjetische Militärtribunale (die letzten nachweisbaren Urteile erfolgten 1954) die Kontakte zum Ostbüro einmal mit lebenslänglich und sechzehnmal mit 25 Jahren Arbeitslager straften, fällten DDR-Gerichte dreimal die Todesstrafe und verhängten vierzehnmal eine Haftstrafe von mehr als 10 Jahren und vierundvierzigmal zwischen 5 und 10 Jahren. War das CDU-Ostbüro ein Zentrum der Spionage und Diversion, wie es damals der Osten behauptete, oder nur ein Popanz im Dienste der politischen Willkürjustiz? Ein Forschungsbericht zu diesem Thema, wie ihn die SPD zu ihrem Ostbüro bereits vorgelegt hat, wäre wünschenswert.

Die statistische Auswertung der Dokumentation erbringt bedrückende Daten: Mehr als die Hälfte der Verhaftungen aus politischen Gründen erfolgte in den Jahren 1950-1953. 27 Prozent der Verurteilungen nahmen sowjetische Militärtribunale nach dem Russischen Strafgesetzbuch vor. 131 Personen wurden in sowjetische Arbeitslager deportiert, die meisten nach Workuta. Neben politischen Vorwürfen nahmen sogenannte Wirtschaftsverbrechen nach 1952 einen breiten Raum ein. Selbst parteilose Familienangehörige, Freunde und Bekannte gerieten in den Verhaftungsstrudel. Der Anteil der Frauen unter den politischen Häftlingen lag bei 8,8 Prozent. Verständlich, daß 86,5 Prozent der in diesem Buch dokumentierten Häftlinge nach ihrer Freilassung durch Flucht, legale Ausreise oder späteren Freikauf in die BRD gingen. Wenngleich die vorliegende Dokumentation keine gesicherten Angaben über die Gesamtzahl der CDU-Häftlinge im Zeitraum 1945-1961 machen kann, so ist doch ein großer Aderlaß der Union aufgrund des Terrors ersichtlich. Eine schreckliche Bilanz der „Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus“ in der DDR!


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11+12/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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