Eine Rezension von Eberhard Fromm


Zwischen Sterben und Tod

Kay Blumenthal-Barby: Tausend Türen hat der Tod
Gesammeltes zum Sterben in Europa.

trafo verlag, Berlin 1997, 159 S.

 

Um es vorwegzunehmen: Der Autor ist ein Spezialist, der sich mit der Thematik in vielen Arbeiten auseinandergesetzt hat. Das merkt man auch dieser interessanten Sammlung überall an. Es gibt viele Informationen, Problemstellungen, Themenkomplexe, wenig bekannte Details aus dem Bereich des Sterbens und des Umgangs mit dem Tod. In sechs Kapiteln werden Fragen des Sterbens in Vergangenheit und Gegenwart, der Sterbeaufklärung sowie des Umgangs mit dem Tod behandelt.

Und hier beginnt das Problem für den Leser. In dem Geleitwort der Krankenschwester Marianne Arndt wird völlig zu Recht darauf verwiesen, daß die Beschäftigung mit den Sterbenden wichtiger ist als die mit dem Tod. Und der Autor schließt sich dieser Sicht an, wenn er eingangs erklärt, daß es sich beim Sterben „um das entscheidendste Ereignis in unserem Leben“ handelt. Nachdrücklich belegt er, wie tabuisiert dieses Problem immer noch ist, wie wenig Wissen auf diesem Gebiet - selbst unter Medizinern - vorhanden ist und warum deshalb die Aufklärung über das Sterben so dringend notwendig bleibt.

Gerade deshalb aber ist es unverständlich, warum der Autor in der zweiten Hälfte seines Buches das Thema wechselt und sich mit dem toten Kind, der Bestattung, dem Beileid u. ä. Fragen des Umgangs mit dem Tod befaßt und seine Sicht zum Sterben als letztem Lebensprozeß nicht fortsetzt. Dabei kommt es zu unnötigen Wiederholungen - so wenn auf den Seiten 89/90 noch einmal „einleitende Reflexionen zum Sterben heute im Allgemeinen und zum toten Kind“ abgehandelt werden. Die Ausführungen zu den Bestattungsmöglichkeiten und Friedhöfen oder über den Inhalt von Kondolenzschreiben - bis hin zum allgemeinen „Korrespondierverhalten“ - sind zwar nicht uninteressant, aber sie führen vom erklärten Anliegen - dem sterbenden Menschen - weg und behandeln den toten Menschen und Probleme der Hinterbliebenen. Man hätte sich gewünscht, daß tatsächlich „Gesammeltes zum Sterben in Europa“ im Mittelpunkt des ganzen Buches gestanden hätte, gerade weil es auf diesem Gebiet einen solchen Nachholebedarf gibt.

Der Autor geht auf die Frage des Sterbens unter einem systematischen Aspekt (vermeidbares und unvermeidbares Sterben) ein und setzt sich mit dem „lange hinziehenden Sterben“ und dem Verlängern des Sterbens mit Hilfe der Intensivmedizin auseinander. In diesem Zusammenhang sind die Ausführungen zur Patientenverfügung von Interesse, in der als Vorsorge festgehalten werden sollte, welche Maßnahmen der Wiederbelebung und Lebenserhaltung der Patient wünscht bzw. ablehnt.

Blumenthal-Barby zeigt, wie wenig die Bedürfnisse von Sterbenden bekannt sind und dementsprechend auch nicht berücksichtigt werden, und kommt zu dem Schluß, daß in Deutschland die Sterbeaufklärung noch ganz am Anfang stehe. Mehrfach weist er darauf hin, daß es noch keine einhellige Meinung über den Sterbeprozeß, insbesondere über den Beginn des Sterbens, gibt. Hier hätte man sich gewünscht, daß ein paar der gängigsten Meinungen vorgestellt worden wären. So bleibt man bei der etwas mageren Erkenntnis, daß es dazu keine einheitliche Auffassung gibt.

Anhand von Statistiken wird belegt, daß nur etwa 15 Prozent der Menschen plötzlich und unerwartet sterben. Für die übergroße Mehrheit ist Sterben also ein längerer Prozeß, den jeder als seinen letzten L e b e n s abschnitt erfährt. Gerade deshalb kommt der Leidenslinderung, aber auch dem Inhalt von Lebensqualität, in dieser Zeit so große Bedeutung zu. Dazu gehören das Umfeld des Sterbenden, die medizinische und soziale Betreuung, die Entwicklung der Hospizbewegung. Über diese Seite - die Lebensqualität des Sterbenden- gibt das Buch leider wenig Auskunft. „Viel ließe sich noch zur letzten Begegnung mit einem Sterbenden sagen“, heißt es richtig. Doch dann erfährt man nur: „Das Wichtigste ist aber wohl, daß sie stattfindet.“ Doch da beginnt ja erst das eigentliche Problem. Die Menschen sind auf diese Begegnung nicht vorbereitet, weder der Sterbende noch die Angehörigen und Freunde. Entweder behandelt man den Sterbenden wie einen Kranken, dem man Genesung wünscht, oder man scheut sich vor der Begegnung, weil man nicht weiß, was man sagen soll. So sind denn Sterbende meist die einsamsten Menschen. Hier hätte man sich inhaltliche Vorstellungen gewünscht; dafür hätte man sich beispielsweise die Seiten über das Testament, die Erben und die Erbschaft schenken können.

Kay Blumenthal-Barby ist, wie gesagt, ein erfahrener Autor, der Bücher geschrieben hat wie Betreuung Sterbender, Leben im Schatten des Todes, Lexikon der letzten Dinge. Hier hat ihn sein vielseitiges Wissen um Sterben und Tod vielleicht dazu verführt, kein durchkomponiertes Buch zum Sterben vorzulegen, sondern mehr eine Sammlung vieler Fragen, wie sie sich zwischen Sterben und Tod stellen. Lesens- und empfehlenswert ist es allemal, denn es bleibt leider immer noch die Erkenntnis: „In Deutschland stirbt es sich besonders schwer.“ Und dagegen sollte jeder etwas tun.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11+12/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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