Eine Rezension von Christel Berger


Begegnungen mit Grete Weil

Grete Weil: Erlebnis einer Reise
Drei Begegnungen.

Verlag Nagel & Kimche, Zürich 1999, 154 S.

 

In diesem Jahr starb Grete Weil dreiundneunzigjährig. Der Verlag Nagel & Kimche offeriert ein neues Buch von ihr: drei Erzählungen, die „Begegnungen“ genannt werden; Texte, in denen sie uns so begegnet, wie sie war und wie sie geworden ist. Da es zu ihren Lebzeiten zu lange gedauert hat, ehe die Schriftstellerin Grete Weil von Verlagen entdeckt wurde und sich durchgesetzt hat, ist es gut, wenn Verlage dafür Sorge tragen, daß ihre Bücher mit ihrem Tod nicht verschwinden.

„Erlebnis einer Reise“ heißt die erste Begegnung - 1932 abgeschlossen, noch nie veröffentlicht, die Geschichte einer prickelnden Dreierbeziehung mit allem Drum und Dran: jungen, schönen Menschen, der Exotik einer Bergwelt, Verwirrung und Rausch, Unfall, Krankenhaus und immer wieder der makellos schöne Körper des Jungen Johnny. Maria und Peter, die Erwachsenen, haben kaum eine Chance, sich der Ausstrahlung des Schönen zu entziehen. Eine Geschichte, wie sie damals im Freundeskreis nicht nur um Klaus Mann „in“ war. Grete Weil gehörte dazu, aber mir fällt auf, daß diese sehr junge Künstlerin schon damals nicht nur die erotische Anziehungskraft und die Verwirrung der Gefühle interessierten. Die Sicht der Frau ist komplexer, Ordnung bedeutet auch Verantwortung und ist zumindest für ihre Heldin nichts Verächtliches. Vielleicht hätte Grete Weil, die seit ihrer Kindheit schreiben wollte und schrieb, Geschichten dieser Art bis an ihr Lebensende geschrieben. Daß es nicht so war, hat mit ihren Erlebnissen in diesem Jahrhundert zu tun: Die Jüdin aus begütertem Haus emigriert noch rechtzeitig nach Holland, baut sich eine Existenz als Fotografin auf, eine erste Flucht nach dem Überfall der Deutschen mißlingt. 1941 wird ihr Mann Edgar verhaftet, und kurz darauf erhält sie die Todesnachricht aus Mauthausen. Grete Weil überlebt, sie will und wird Zeugnis ablegen, ihre „Krankheit heißt Auschwitz“. Alle ihre Texte - egal, ob sie während der Nazizeit oder später in Deutschland, Holland, Amerika oder Mexiko spielen - sind geprägt davon. Grete Weil ist scharfsichtig und skeptisch geworden, aber stets eine gescheite, tief empfindende und genau hinsehende und formulierende Frau. So auch in den zwei letzten Erzählungen des Bandes: Einem Aufenthalt in Harlem, wo die weiße Touristin - Deutsche und Jüdin - erlebt, wie schwer, ja unmöglich es ist, sich zu verständigen. Oder in Mexiko, wo ein Reiseführer einem SS-Mann aus der Schoewburg in Amsterdam ähnelt. Dort mußten sich die Juden melden, wurden eingesperrt und auf Transport geschickt. Wieder ist die Erinnerung da und viele Fragen: Wie verhält man sich nach 25 Jahren? Was soll eine Anzeige bei der Polizei, wo es doch eigentlich um einen selbst geht?

Die Texte beeindrucken auch, weil sie zeigen, was die ganz junge Schriftstellerin mit der leiderfahrenen älteren noch verbindet und was hinzugekommen ist. Neben der Weisheit und dem „Lebensthema“ vor allem auch handwerkliches Können. Wie das Stakkato der Sätze in „Floria Halleluja“ die Atmosphäre New Yorks und die Stimmung der unternehmungslustigen Touristin wiedergibt, wie das Unternehmen umschlägt und die hämmernden Sätze nun die Not begleiten - das ist gekonnt gemacht.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11+12/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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