Eine Rezension von Sibille Tröml


„Oft bin ich ganz verzweifelt“ - Kurt Schwitters im Exil

Gerhard Schaub: Kurt Schwitters und die „andere Schweiz“
Unveröffentlichte Briefe aus dem Exil.

Fannei & Walz, Berlin 1998, 135 S.

 

Aus verschiedenen Gründen werden verschiedene Interessentengruppen zu diesem kleinen, handlichen Büchlein greifen: Kurt-Schwitters-Freunde und -Forscher wegen der in ihm enthaltenen, bisher unveröffentlichten Briefe, Schweiz-Interessenten wegen der im Titel enthaltenen „anderen Schweiz“ und Exilforscher wegen der Verbindung aus beidem. Auf ihre Kosten kommen werden alle drei, wenngleich „Spektakuläres“ nicht zu erwarten ist. Doch dies ist keineswegs ein Vorwurf, im Gegenteil.

In Zeiten der reißerischen Ankündigungen, die oftmals mehr versprechen, als sie zu halten vermögen, nimmt sich dieses mit Briefen, Essays, Fotos und Faksimiles versehene und zudem auch typographisch sehr ansprechend gestaltete Büchlein wohltuend ob seiner Ruhe aus. Daß diese Ruhe indes nichts mit der Verbreitung von Langeweile zu tun hat, liegt nicht allein an der formalen Gestaltung, sondern vor allem am Inhalt. Die insgesamt 17 Briefe (bzw. manchmal auch nur kurzen Postkarten) an das Basler Sammler-Ehepaar Annie und Oskar Müller-Widmann sind nämlich alles andere als bloße postalische Grüße aus geographisch unterschiedlichen Regionen. Entstanden zwischen dem 9.12.1934 und dem 17.12.1939, und zwar eben nicht nur im norwegischen Exil, sondern auch in Hannover und in Amsterdam, vermitteln sie in erster Linie ein immer bedrückender werdendes Bild von einer ums physische und psychische (Über-)Leben kämpfenden Künstlerexistenz in den Jahren des erst inneren und dann auch „äußeren“ Exils.

Organisatorische Fragen, Finanzsorgen, verbunden mit verzweifelten Bitten um den Abkauf von Kunstwerken, und eine in Norwegen stetig zunehmende Einsamkeit - das sind die zentralen, immer wiederkehrenden Themen in den Briefen. Gerade in Norwegen nämlich sah sich Kurt Schwitters (1887-1948) mit dem Problem konfrontiert, daß man dort „kein Verständnis für neue Dinge“ in Sachen Kunst hatte. Naturalistische Porträts und Landschaftsbilder fanden zwar gelegentliche Abnehmer, doch der moderne, revolutionäre Künstler war hier nicht gefragt. Zwar konnte er - anders als in Deutschland - dort arbeiten, nicht aber wirken, womit wiederum schon vieles, wenn nicht gar alles gesagt ist über die innere Befindlichkeit des „Kurt Merz Schwitters“. Vieles von dem, was gesagt wird, was sich dem Laien jedoch nicht ohne weiteres erschließt (genannte Personen, Orte, Aussagen) hat der Herausgeber der Briefe, der Trierer Schwitters-Forscher und Dada-Experte Gerhard Schaub, in kleinen Erläuterungen im Anschluß an die Briefe notiert. In dem darüber hinaus enthaltenen umfang- und kenntnisreichen Essay zum Thema „Kurt Schwitters, das Exil und die Schweiz“ erhalten der forschende Leser wie auch der lesende Forscher zudem noch zusätzlich Wissens-, Hinterdenkens- und gelegentlich auch Hinterfragenswertes.

So sieht Schaub Kurt Schwitters’ Zeit in Deutschland seit 1933 als inneres Exil, was es ihm denn auch erlaubt, jene Post aus Deutschland als „aus dem Exil“ zu deklarieren. Auch verwehrt er sich nachhaltig gegen die - wie er meint - „Legende“ bzw. gegen den „Trugschluß“ in der Forschung, „Schwitters habe sich damals bei seiner Ausreise zur ,endgültigen Emigration‘ entschlossen“. „Bei Schwitters war die Ausreise aus Deutschland“, so Schaub, „nicht das Resultat einer von langer Hand rational vorbereiteten oder einer von heute auf morgen unter einem bestimmten Anlaß getroffenen Entscheidung; die Exilierung war bei ihm ein relativ langwieriger und schmerzlicher Prozeß, ein allmählicher, durch zwei ihn unmittelbar betreffende Ereignisse beschleunigter Lernprozeß, der zugleich ein Entwicklungs- und Reifeprozeß war, den zu durchlaufen und zu durchleiden ihm die politischen Zeitumstände abverlangten.“ - Einmal mehr zeigt dieses Bändchen mit seinen Briefen und seinem Essay, daß man heutzutage zwar meint, das meiste über die Exiljahre 1933 bis 1945 insgesamt zu wissen, es aber, kommt man zu den konkreten Einzelschicksalen, auch heute noch nicht wenig streitbare Auffassungen gibt. Apropos „streitbar“. Was die im Buchtitel gleichfalls genannte „andere Schweiz“ betrifft, so ist es zum einen jene, die Kurt Schwitters bereits 1923 ein Visum abgelehnt hatte, zum anderen jene, die ihm nicht zuletzt durch die Hilfe des Sammler-Ehepaars Müller-Widmann Kraft und Auftrieb gab, um raus „aus dumpfer Resignation“ zu kommen.

All das aber kann und sollte man in Schaubs auch liebevoll zu nennendem Essay am besten ebenso selbst nachlesen wie alles andere in den hier vorliegenden Briefen Kurt Schwitters.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11+12/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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