Eine Rezension von Volker Strebel


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Unteilbares Gewissen

 

Ludmila Rakusan: Václav und Dagmar Havel

Langen Müller Verlag, München 1999, 248 S.

 

Die tschechische Ausgabe dieses Buches war in der Tschechischen Republik innerhalb kürzester Zeit zum Verkaufsschlager geworden - ein Vorgang, der für sich spricht. Zum einen ist das Klatsch- und Tratschbedürfnis in Tschechien offenbar ungebrochen - von den Sumpfblüten eines unausrottbaren Voyeurismus wird in dieser Biographie ebenfalls berichtet -, zum anderen bewegt das Schicksal des ehemaligen Dissidenten und jetzigen Präsidenten nach wie vor die Gemüter des Landes. Dies ist um so bemerkenswerter, als die geballte Kraft der neuen wie alten Medienwelt in Tschechien sich mit besonderer Vorliebe auf vermeintliche wie tatsächliche Fehler des Dichterpräsidenten stürzt und lieber selbstgebastelte Beliebtheitskurven präsentiert als sachliche Analysen irgendwelcher Entscheidungen. Václav Havel hatte als Dissident den dornigen Pfad dessen auf sich genommen, dem ein „Leben in Wahrheit“ wichtiger war als Kompromisse mit einer Staatsmacht, deren Herrschaft nicht durch freie Wahlen zustande gekommen war. Anhand des Gemüsehändlers, der das verordnete Spruchband „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ unreflektiert und ohne innere Überzeugung in sein Schaufenster hängt, hatte Havel die Mechanismen einer totalitären Diktatur ausgeleuchtet. Weder Haft noch Schikanen im Alltag hatten Václav Havel von seiner Haltung abbringen können - daß er einst Präsident dieses Landes werden würde, wäre seinerzeit als absurder Traum gehandelt worden.

Die wiedererlangte Freiheit brachte auch dem tschechischen Volk alle Schattenseiten einer offenen Gesellschaft. Ein Spießbürgertum, das in der kommunistischen Zeit zwar mit geballter Faust in der Manteltasche in stumpfer Ergebenheit über die Runden gekommen war, konnte jetzt hemmungslos seiner Verkniffenheit freien Lauf lassen - die reißerischen Überschriften der Boulevardblätter widerspiegeln auf erschreckende Weise jenen moralischen Verfall, den eine gleichgeschaltete „Normalisierung“ in der Tschechoslowakei hervorgebracht hatte.

Das Lebenskonzept des Václav Havel wiederum war zu allen Zeiten von hedonistischen Aspekten gekennzeichnet, es war für den intellektuellen Analytiker und sensiblen Dichter zu keiner Zeit ein Widerspruch, die angenehmen Dinge des Lebens auch genießen zu können. Im Gegenteil - aus der Erfahrung des Schönen erwuchs bei Václav Havel die Achtung vor dem Leben. Havels authentische Existenz im Versuch, in Wahrheit zu leben, verliehen ihm geistige Wachheit und eine lebhafte Teilhabe an den Geschehnissen um ihn herum und in der Welt. Nicht nur wegen der bisher unbekannten Fotos ihres Mannes Josef Rakusan ist es ein Glücksfall, daß Lida Rakusan diese Doppelbiographie verfaßt hat. Beide hatten vor ihrer Emigration im Zuge des gewaltsamen Endes des Prager Frühlings am 21.August 1968 die Zeiten des kulturellen und politischen Aufbruchs selbst erlebt, ein Hintergrund, der auch für Václav Havel und seine spätere Frau Dása Veskrnová wichtig geworden war. Aus der kritischen Distanz des Exils konnte Ludmila Rakusan die Ereignisse in ihrer Heimat beobachten und als Mitarbeiterin beim Radio Free Europe verwerten. Im Laufe der Jahre waren aus ihrer Feder wertvolle Zeugnisse geflossen, die von Umsicht und innerer Anteilnahme zugleich zeugten. In wohltuender Weise regiert in Lida Rakusans Beschreibung von Václav Havels Werdegang sowie seiner Geschichte mit der berühmten Schauspielerin Dása Veskrnová Kenntnis statt Kitsch und Verständnis statt Verleumdung. Václav Havel hatte vor seiner erneuten Eheschließung nach Olgas Tod im Rundfunk über seine Absichten gesprochen: „Olga hat mir vor ihrem Tod nahegelegt, wieder zu heiraten. Damals habe ich das kategorisch abgelehnt und war fest entschlossen, bis an mein Lebensende alleine zu bleiben. Sie aber war davon überzeugt, daß ich nicht alleine leben kann und daß ich dies auch nicht sollte. Wie immer behielt sie recht.“

Václav Havel hat sich aus guten Gründen für Dása Veskrnová entschieden. Wer wollte da Olga widersprechen?


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11+12/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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