Eine Rezension von Birgit Pietsch


Der Schlüssellochblick verrät nichts

Adele Mailer: Die letzte Party
Mein Leben mit Norman Mailer.
Aus dem Amerikanischen von Renate Weitbrecht.

Piper Verlag, München 1998, 407 S.

 

Adele lebt in New York und versucht, so einigermaßen als Malerin über die Runden zu kommen, als sie eines Abends den berühmten Schriftsteller Norman Mailer kennenlernt. Zwischen den beiden funkt es ganz heftig, später sollte es genauso heftig knallen. Doch dazwischen liegen erst einmal dreihundert Seiten, die bewältigt werden müssen. So lesen wir den spannenden Tagesablauf von Saubermachen, Ausgehen und Liebe, von Liebe, Ausgehen und Saubermachen. Ihren Psychiater bestellt Adele nach der Bekanntschaft mit Mailer vorerst nicht mehr, „da sie sich in Norman selbst gefunden hätte“. Ein großer Fehler, stellt sie mit dem Wissen um das Scheitern ihrer Beziehung fest. Sie hätte sich natürlich viel eingehender mit ihrem Verhältnis und Mailers narzißtisch-dominanter Persönlichkeit und seinem Alkoholkonsum beschäftigen sollen. Das hätte nicht nur einem New Yorker Psychiater ein gute Einnahmequelle gesichert, sondern uns auch möglicherweise ihr Buch erspart. Norman Mailer veröffentlichte seinen Antikriegsroman Die Nackten und die Toten 1948. Ein Bestseller nicht nur in Amerika, sondern weltweit. Ein Ausnahmetalent war entdeckt und ein Maßstab gesetzt für alle seine späteren Werke. Ein Maßstab, der sich als zu hoch erwies. Nie wieder sollte Mailer ein Buch von ähnlicher gedanklicher wie literarischer Qualität vorlegen, und nie wieder sollte er einen derartigen Erfolg haben. Wer nun glaubt, Adeles Buch würde zeigen, wie ein Künstler an den Ansprüchen, die sich aus seinem frühen Erfolg ergeben, fast zerbricht, sieht sich getäuscht. Die Schlüssellochperspektive vermittelt nur ein äußeres Bild und kann nichts darüber verraten, was im Inneren des Schriftstellers vorging. Offenbar nahm Adele das aus nächster Nähe auch wenig wahr. Was es für den Schriftsteller bedeutete, daß sein Nachfolgeroman Am Rande der Barbarei von den Rezensenten verrissen wurde, läßt sich nur erahnen. Von Adele erfahren wir dagegen, daß Norman keinen Knoblauch mag und sie sich außerstande sah, irgend etwas ohne Knoblauch zu kochen, außer vielleicht Hafergrütze. Als nächstes berichtet sie über Eier, die nicht lange genug gekocht wurden. Das kennen wir aber bereits von Loriot. Weiter erfahren wir, daß Mailer unentwegt und überall liest, und wenn er nicht liest, dann machte er sich ständig Notizen. Was natürlich für einen Schriftsteller ungewöhnlich und für seine Partnerin höchst störend ist.

Die Autorin glaubt, sie müsse Mailer geistig ebenbürtig sein. So läßt sie sich auch von ihm überreden, Marx’ „Kapital“ zu lesen – mit fürchterlichen Folgen: „Es war wie bei diesen ... Achterbahnfahrten. Nach zwei Kapiteln bekam ich Kopfschmerzen. Das war das Ende meiner Bekanntschaft mit Karl Marx.“ Meine Kopfschmerzen begannen zwar erst nach zehn Kapiteln, aber das Buch war dann auch wirklich das Ende meiner Bekanntschaft mit Adele Mailer.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11+12/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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