Eine Rezension von Horst Wagner


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Eine philosophische Komödie?

Steven Lukes: Die Beste aller Welten
Professor Caritats Reise durch die Utopien.
Roman. Aus dem Englischen von Sebastian Wohlfeil.

Rotbuch Verlag, Hamburg 1999, 315 S.

 

Jostein Gardners Sofies Welt hatte als Roman über die Geschichte der Philosophie bekanntlich einen ungeahnten Erfolg - bis hin zum interaktiven Computerspiel. Solche Massenwirksamkeit geistig-aufklärerischen Tiefgangs kann nur begrüßt werden in Zeiten, da ansonsten esoterische Spekulationen im Nostradamusstil und die flachen „Sorge dich nicht - lebe“-Ratgeber à la Carnegie in Blüte stehen. Auf den ersten Blick scheint es, als habe sich Steven Lukes, Professor für Politologie und Sozialwissenschaften in Florenz, einfach auf Gardners Spuren begeben und einen Roman über die Geschichte der Utopien geschrieben. Aber Lukes geht seinen Gegenstand wesentlich kritischer an. Herausgekommen ist weniger eine populär-didaktische Beschreibung, sondern mehr eine Karikatur verschiedener Ideologien und Utopien. Dabei legt er uns die Schlußfolgerung nahe, daß jede einseitige und erst recht jede erzwungene Verwirklichung von Ideen scheitern muß.

Im englischen Originaltitel heißt das Buch „Die kuriose Aufklärung des Professors Caritat“, und der Verlag nennt es im Klappentext eine brillante philosophische Komödie. In der Tat erleben wir eine turbulente Aufeinanderfolge komischer - aber auch bedrückender - Situationen, ein Feuerwerk von Gedankenblitzen, als deren Schleuderer Jonathan Swift und John Stuart Mill, Rousseau und Voltaire, Kant, Marx und andere Geistesgrößen leibhaftig auftreten oder unschwer zu entschlüsseln sind. Zentrale Figur ist ein gewisser Nicholas Caritat, Philosophie-Professor und Spezialist für das Zeitalter der Aufklärung. Das Buch beginnt mit seiner Verhaftung in Militaria, einem diktatorischen Staatswesen, in dem Ordnung und Sicherheit oberste Prämissen sind, Fortschrittsoptimismus als schweres Delikt gilt und das Militär ansonsten keine Gründe für Verhaftungen braucht. Von einer Guerilla-Gruppe aus dem Gefängnis befreit und von ihr beauftragt, die beste aller Welten zu finden, begibt sich Professor Caritat zunächst nach Utilitaria. In diesem Land wird alles, auch der Mensch, unter dem Aspekt größtmöglicher Effizienz betrachtet, weshalb Fachleute alle Entscheidungen treffen, das Medikament Frustizid Schmerz und Leid ausschaltet und ein „Lebewohl-Ministerium“ darüber entscheidet, wer wann „aus dem Gesamtbild zu entfernen“ ist, weil er nicht mehr recht nützlich sein kann. Dieses Schicksal bleibt dem Professor erspart, und er reist alsdann nach Kommunitaria, das ihm von einem Priester als beste aller Welten empfohlen wird. Auf den ersten Blick scheint es auch so zu sein. Leben hier doch 34 ethnische Gemeinschaften und 17 Religionen in einer Art multikultureller Gesellschaft zusammen. Aber bald muß unser Weltreisender feststellen, daß innerhalb dieser Gemeinschaften Traditionalismus und Eigensinn blühen. Er gerät in Bedrängnis, weil er eine satirische Rock-Oper verteidigt, die von maßgeblichen Kommunitariern als Beleidigung ihrer Lebensweise angesehen wird. Schließlich wird er auch noch wegen sexueller Belästigung angeklagt, hat er sich doch mehr für die attraktive Dozentin des Forschungsbereiches „Geschlecht und Geschlechterverhältnisse“ interessiert als für die vier Fraktionen des Feminismus.

Nachdem ihn in Kommunitaria oppositionelle Studenten aufgeklärt haben: „Menschen, die nicht in die offizielle Geschichte passen, bekommen hier die Hölle heiß gemacht“, verläßt er dieses Land. Nächstes Ziel: Proletaria, das so heißt, weil es „durch den Kampf des Proletariats errungen wurde“. Hier wirkt alles sehr idyllisch. Staat, Geld und Markt sind abgeschafft, die Menschen sind nicht mehr an eine bestimmte Tätigkeit gebunden, sondern können morgens fischen, mittags Viehzucht treiben und abends kritisieren. Letzteres allerdings nur auf anerkannter Gedankengrundlage. Im Namen dieser treten Karl und Fritz (Marx und Engels lassen grüßen) persönlich auf, und die Idylle gerät vollends zur Karikatur: ein Wunschbild, an dessen Nichtrealisierbarkeit eigentlich kein Zweifel bestehen dürfte. Ganz anders Libertaria, die vorläufig letzte Station des Professors Caritat. Sie erscheint nicht mehr als Utopie, sondern wirkt - freilich mit Zuspitzungen - sehr gegenwärtig. Vollzieht sich hier doch „eine wundervolle Explosion der Freiheit, der Freiheit zu kaufen und zu verkaufen und vor allem zu besitzen“. So wird die Werbung als Produzent aller Wünsche empfohlen und die Spekulation mit Termingeschäften und Optionen als neue Form des philosophischen Idealismus, weil auch hier reale Werte durch Abstraktionen ersetzt sind.

Ist Professor Caritat am Ende seiner Reise - sozusagen „am Ende der Geschichte“ - angekommen? Hat sich für ihn die Suche nach der besten aller Welten als Illusion erwiesen? Muß er einräumen, daß Libertaria zwar nicht die beste, aber die am wenigsten schlimme Welt ist, die er kennenlernte. Immerhin kann er hier ohne Furcht vor Verhaftung oder Denunziation leben, frei „von der Berechnung wohlmeinender Planer“ und „vom Druck der Vorstellungen anderer, wie man leben müsse“. Aber er begibt sich weiter auf die Suche nach einer „Ordnung des gesellschaftlichen Friedens“, der „sozialen Vorsorge“, in der Menschen „die Bäume gegen Planierraupen“ und „einen Raum der Freiheit gegen die Fanatiker des Privatbesitzes“ verteidigen. Doch er bekennt auch, daß er wohl nicht die Kraft haben wird, sich denen anzuschließen, die widerstehen, „in einem Staat, der nichts für gemeinschaftliches Handeln übrig hat“. Zwar kein optimistischer, aber doch ein realistischer Schluß, wie ich meine. Eigentlich müßte man der „Reise durch die Utopien“ einen ähnlichen Erfolg wünschen wie Gardners „Sofie“. Aber ob Stevens Roman in seiner Bissigkeit, gerade in bezug auf Heutiges, so recht nach dem Geschmack derer ist, die gute Bücher erst zu Bestsellern machen?


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11+12/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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