Eine Rezension von Christian Berger


Geheimnisvolles Geheimnis

Jackie Kay: Die Trompeterin
Aus dem Englischen von Susanne Goga-Klinkenberg.

Argon Verlag, Berlin 1999, 239 S.

 

Dem Geheimnis bleibt genug Geheimnisvolles. Auch, nachdem das Geheimnis gelüftet ist. Nachdem die Medien es breitlatschten. Nachdem also bekannt gemacht wurde, daß der berühmte, gerade verstorbene Jazztrompeter Joss Moody vor sieben Jahrzehnten als Josephine Moore geboren wurde. Was bedeutet: Der Trompeter war eine Trompeterin. Welch eine Sensation in der Jazzgeschichte, die eine Domäne der Männer ist. Die Sensation ist nicht das Thema, das die Autorin des Romans Die Trompeterin interessierte. Die Schriftstellerin Jackie Kay ist auch nicht daran interessiert, die Story einer spektakulären Geschlechtsumwandlung zu schildern.

Der Fall Joss Moody ist interessanter. Ist vielschichtiger. Ist komplizierter. Joss hat eine Ehe geführt: Tadellos, fast vierzig Jahre. Gemeinsam hat das Paar Joss und Millie den Adoptivsohn Colman großgezogen. Wie das? Weil zwei Lesben sich liebten? Wie zwei Lesben sich besser nicht hätten lieben können? Wenn Wahrheit doch so einfach schlichte Wahrheit wäre. Das ist sie nicht. „Unser Geheimnis war harmlos“, resümiert Millie. Und sie bekennt: „Ich fühle mich nicht, als hätte ich eine Lüge gelebt.“ Joss Moody war ihr Mann. War der Vater für Colman. Doch wer war Joss Moody, auf dessen Totenschein die Geschlechtsidentität männlich durch weiblich ersetzt werden muß? Wer will das wirklich wissen? Außer einer Journalistin, die eitel vom Buch-Geld-Ruhm träumt? Wer weiß wirklich etwas über Josephine-Joss? Die im Roman unter der Rubrik „Leute“ auftauchenden Personen? Alle wissen was. Alle wissen nicht genug.

Jackie Kay hat nicht die Biographie der Josephine Moore geschrieben, die Joss Moody wurde. Die Romanautorin respektiert die Tatsache, daß mit einem Menschen die Wahrheit begraben wird, die die Wahrheit seines Lebens ist. Zur Hinterlassenschaft der Toten gehören Lebende, die sich undeutlich erinnern und ungenau deuten. Joss Moody war ein Trompeter, ein Ehemann, ein Vater - für die Musik, die Frau, den Sohn. Er hat’s den Jungs der Jazzszene „mal gezeigt“ - wie den Ehemännern, den Vätern. Wenn das sein Leben und seine Lebensabsicht war, war er erfolgreich. Was war dann die Lüge seines Lebens? Die Wahrheit des Lebens ist häufig etwas anderes als das, was uns wahr scheint und als Wahrheit deklariert wird. Unsinn ist es zu behaupten, Kay wurde von einer „wahren Geschichte“ inspiriert. Die Schriftstellerin hat eine fiktive, ungewöhnliche Geschichte geschrieben, die geheimnisvoll bleibt. Dem Geheimnisvollen wollen nur die Sensationslüsternen nachspüren, die kein Gespür für das Ungewöhnliche haben. Jackie Kay hat aus einem seltenen Stoff einen seltenen Roman gemacht. Das ist alles. Das ist mehr als sonst.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11+12/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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