Eine Rezension von Waldtraut Lewin


cover  

Leute kauft Kerzen, der „Millennium Bug“ kommt!

Mark Joseph: Y 2 K - Der letzte Tag
Roman.
Deutsch von Sabine Maier-Längsfeld

Franz Schneekluth Verlag, München 1999, 414 S.

 

Höchste Zeit, daß das Buch bei uns rauskommt, sonst ist es zu spät! Handelt es sich doch bei Y 2 K um „Year two Kilo“, wobei Kilo für tausend steht, also um den Jahreswechsel 2000, auch Millennium geheißen. Freilich, der letzte aller Tage wird es nicht.

Keine Panik. Immerhin. Nach Lektüre dieses Buches sollten Sie auf alle Fälle folgendes tun: Decken Sie sich mit genügend Kerzen und Streichhölzern ein, bunkern Sie ein paar Dutzend Liter Brauch- und Nutzwasser sowie die nötigsten Lebensmittel, kaufen Sie sich - in unseren kühlen Breitengraden - ein Kerosinöfchen nebst Brennstoff und vor allem, speichern Sie alles, was Sie auf der Festplatte Ihres PC haben, auf Diskette. Ach ja, und leeren Sie Ihr Konto, und tun Sie all Ihr Geld in den Strumpf. Dann können Sie getrost der Dinge harren, die da auf Sie zukommen.

„Wo alles Fiktion ist, kann es keine falschen Tatsachen geben“, bemerkt der Autor listig im Vorwort. Aber der Sachverstand und Kenntnisreichtum, mit dem er den Zusammenbruch unserer elektronisch gesteuerten Lebenswelten entwirft, ist schon sehr beunruhigend. Zeitweise kam ich mir vor wie einer der Radiohörer, die sich weiland durch Orson Welles’ Hörspiel über die Invasion der Außerirdischen bluffen ließen und scharenweise in Panik New York verließen. Da kann man mir hundertfach erklären, daß Regierungen und Kommunen und Bankhäuser und Handelsketten alles im Griff haben und auf den „Millennium Bug“ vorbereitet sind und die dummen Computer wissen, daß eine Zwei mit drei Nullen nicht einfach nur null bedeutet - Mark Joseph macht mir mit bestechender Logik klar, das ja immer das schwächste Glied der Kette der Auslöser der Katastrophe ist. Ein einziger veralteter Chip im Verkehrssystem der U-Bahn, und kein Rad dreht sich mehr, ein einziger vergessener Rechner irgendwo in einer Filiale in Honolulo, und McDonald’s ist weltweit im Aus. Aber wie ist das doch gleich wieder bei Asterix? „Ganz Gallien? Nein! Ein einziges kleines Dorf ...“ Nun, in diesem Fall ist das einzige kleine Dorf, wie sollte es bei einem Ami-Schmöker anders sein, selbstverständlich The Big Apple. Eine kleine Gruppe von Gutmenschen und Computerfreaks beschließt die Rettung New Yorks vorm „Millennium Bug“. Das Rezept ist hinreichend bekannt: Einer hat erkannt, um was es geht, und plant vorausschauend. Er sucht sich eine Truppe von Leuten am Rande der Legalität und auf der Kippe zwischen Genie und PC-Wahnsinn zusammen, und siehe da, sie schaffen es, daß, während ringsum auf der Welt die Lichter ausgehen, New York weiterhin strahlt. Zwar stürzen die Satelliten vom Himmel und die Armeen verlieren (wonniges Wunschbild!) ihre Kampfkraft, aber die bedeutendste Stadt der Welt hat weiter Wasser, Abwasser, Verkehr, Bankwesen, ja, sogar einen Kommunikationssatelliten hat das mächtige Häuflein zur Verfügung, den es gegen die entsprechende satte Knete an einen TV-Sender vermietet. Die Leutchen werden reich, wie es sich für Gute gehört, und eigentlich ist die Welt ein Stück besser, denn den armen Ländern, die noch nicht so technikabhängig sind, ist nun mal wieder ’ne Chance eingeräumt - Handarbeit gegen High-Tech, Pferdewagen gegen Benzinkutsche. Und nach einer bestimmten Zeit hat sich ohnehin alles „normalisiert“.

Das alles ist mit dem aus der amerikanischen Serienproduktion bekannten Sinn für Suspense und Action zusammengeschneidert; keine Seite, die einen nicht fesseln würde, keine Stelle des Buches, von der aus man nicht, schlägt man sie auf, auch weiterlesen kann und möchte. Die Figuren und ihre Beziehungen zueinander bewegen sich im Rahmen der landesüblichen Klischees, da gibt es nichts, was einen zu überraschen oder anzurühren vermag. Alles gekonnt, alles Handelsware der Güteklasse A. Natürlich hat das mit Kunst nur insofern zu tun, daß es gekonnt ist.

Inzwischen hat mir jemand, der was davon versteht, gesagt, daß das ohnehin alles Blödsinn ist. Man muß nur die ganzen dummen Computer bis zur endgültigen Regulierung einfach auf irgendein Jahr zurückstellen, das in der numerischen Struktur dem berüchtigten 2000 entspricht, und nix wird passieren. Hoffentlich wissen das auch alle, die dafür verantwortlich sind. Also ich denke, ein paar Kerzen einzulagern kann nie verkehrt sein...


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11+12/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite