Eine Rezension von Heinrich Buchholzer


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Ein Hammer des Verderbens

Ken Follett: Die Kinder von Eden
Roman.
Aus dem Englischen von Wolfgang Neuhaus und Till R. Lohmeyer.

Gustav Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach 1999, 528 S.

 

Rund zwei Jahre nach der deutschen Übersetzung seines überaus erfolgreichen „Dritten Zwillings“ - siehe LeseZeichen 1/1998 - bietet Ken Follett den Interessenten gepflegter und spannender Unterhaltungsliteratur wiederum Bestes. „Der Hammer von Eden“ heißt das Original (London und New York 1998). Das ist treffender als die eher beschauliche Assoziation, die sich prima facie mit der vorliegenden Ausgabe verbindet. Verlage neigen dazu oder sehen sich veranlaßt, für ein übersetztes Werk einen neuen Titel zu erfinden, und der stellt oft keine Verbesserung oder auch nur Gleichwertiges dar, wie sich vielfach belegen läßt. So wurde im LeseZeichen 9/1999 auf die Verschlimmbesserung von P. D. James’ A Certain Justice in Was gut und böse ist hingewiesen. In beiden Fällen allerdings darf sich der Leser auf seine Kenntnis der Autorin und des Autors verlassen, deren Fähigkeiten zur Produktion von Bestsellern nachgewiesen sind.

Der Hammer ist Synonym für einen seismischen Vibrator, ein fahrbares schweres Gerät, mit dem durch Schläge auf die Erdoberfläche geologische Erkundungen durchgeführt werden, beispielsweise bei der Suche nach Erdölvorkommen. Die Kinder von Eden sind eine Gruppe Aussteiger, von der Zivilisation gebrannte oder wegen krimineller Taten gebrandmarkte Frauen und Männer. Sie leben seit Jahrzehnten in einem abgelegenen Tal in Kalifornien, bilden eine Kommune, haben schon Kinder in diese kleine Welt gesetzt, betreiben Weinbau an den sonnigen Hängen des Tals, können sich nach schweren Jahren des Anfangs nun selbst recht gut ernähren.

In diesem auf Selbstversorgung und Abkehr von Profit orientierten Garten Eden geht es nach biblischen Sitten zu, sexuell etwas freizügig, ansonsten genügsam und gesetzestreu, wobei der Anführer das Gesetz ist und nicht die weit entfernte Polizei, die von den Winzern keine Ahnung hat. Eine harmlose Gruppe also, die sich im Laufe der Jahre durch weitere Aussteiger und Gesetzesflüchter vergrößert hat, eine Art Sekte ohne ideologische oder sonstige Ambitionen - außer dem einen dringenden Wunsch: Sie wollen in Ruhe gelassen werden. Ken Follett beschreibt die Idylle fast liebevoll und sehr anschaulich.

Als es aber mit der Ruhe vorbei ist, weil das Tal für ein Wasserkraftwerk überflutet werden soll, um dem unersättlichen Energieverbrauch der Kalifornier nachzukommen, organisiert der Anführer eine terroristische Aktion. Ziel ist es, den Staudammbau in letzter Minute zu verhindern. Der Mann, der seit fünfundzwanzig Jahren in dem sonnigen Tal lebt, droht dem Gouverneur von Kalifornien, einer bebengefährdeten Region, mit Erdstößen. Die will er, was zunächst unglaubwürdig erscheint, künstlich erzeugen. Dazu hat er den Vibrator gestohlen, dessen Existenz er natürlich verschweigt. Als die Erpressung des Gouverneurs scheitert, das FBI sich auf die Spur der Kinder von Eden setzt, führt dieser zu allem entschlossene Mann tatsächlich zwei Beben herbei, das zweite mit Todesopfern in einer Kleinstadt. Nächstes Ziel ist San Francisco. Der bewegliche Vibrator, auf einem mächtigen Lastwagen getarnt installiert, wird zum Hammer des Verderbens.

Seine Meisterschaft beweist der Autor diesmal auf dreifache Weise. Erstens fasziniert die Wahl der ungewöhnlichen Prämisse. Auf solche Idee kommt nicht jedermann: Follett geht davon aus, daß an sensiblen Bruchstellen der Erdkruste, wo bereits Beben stattgefunden haben, durch rhythmische Schläge mit einer schweren Stahlplatte erneut Erdstöße erzeugt werden können. Er überläßt es dem Leser, dies - wie der Gouverneur und seine Leute - für ein Hirngespinst zu halten oder immerhin für eine Hypothese oder sogar für eine wissenschaftlich fundierte Theorie. Den ersten „tatsächlichen“ Nachweis für eine solche Möglichkeit liefert der Roman, und er hat ein Argument für sich - denkbar ist ein solcher Hammer-Effekt. Allerdings war bisher niemand so verbrecherisch, den Beweis der Machbarkeit in der wirklichen Welt zu liefern. Aber was besagt diese Einschränkung schon. Bekanntlich wurden zum Beweis der Machbarkeit (und um die Folgen studieren zu können) nacheinander zwei Atombomben auf dichtestbesiedelte japanische Städte geworfen. Was ist dagegen ein künstlich erzeugtes Erdbeben, das eine winzige kalifornische Stadt zerstört!

Zweitens gelingt es Follett, die durchaus unterschiedlichen Motivationen des Anführers der Eden-Kinder und seiner Helfer ebenso glaubwürdig zu zeichnen, wie er die Vibrator-Hypothese bis ins Detail mit Realisierbarkeit versieht. Überhaupt ist die Darstellung aller handelnden Personen sehr überzeugend, auch und insbesondere die der Gegenspielerin des Haupttäters. In Gestalt dieser FBI-Agentin begegnen wir einer jungen Frau, für die Follett keines der gängigen Klischees verwendet. Sie darf sogar Angst haben, höllische Angst, und sie darf an ihrem professionellen Können zweifeln. Und sie wird von zwei Vorgesetzten gehörig kujoniert - Mobbing im FBI, wer hätte das gedacht!

Es ist ein Vorzug dieses Buches, daß der Autor zwar mehr als ein Dutzend Figuren auftreten läßt, die er jeweils mit hinreichenden Konturen versieht, aber den eigentlichen Konflikt ganz klar auf zwei Leute konzentriert, auf den Anführer der Eden-Kinder und die FBI-Frau. Dies hat einen wichtigen dramaturgischen Vorteil: Die weiteren Figuren führen kein selbständiges Dasein, sondern sind einer der beiden Hauptpersonen zugeordnet, können vom Leser stets in ihrer Beziehung zu einer Hauptperson wahrgenommen werden. Dadurch bekommt die Handlung klare Umrisse und größtmögliche Übersichtlichkeit.

Drittens schließlich unterlegt Follett auch seinen jüngsten Roman mit einem ethischen Grundproblem. Hier ist es die Frage nach Möglichkeiten und Grenzen der Selbstverwirklichung von Individuen in einer bestimmten Gesellschaft, der spezifischen US-amerikanischen. Dadurch gewinnt das Buch eine gewichtige Substanz, wird aus der Masse beliebiger Nervenkitzelromane herausgehoben, obwohl es namentlich im furiosen Schlußteil wahrlich nicht an Spannung fehlt. Übrigens fällt auf, daß der Autor, dessen gesellschaftskritische Grundhaltung unverkennbar ist, sich mit seiner Handlung wiederum - wie jüngst beim „Dritten Zwilling“ - in die Vereinigten Staaten begibt, so, als wolle er sich nicht mit seiner Heimat anlegen, dem Vereinigten Königreich (wo seine Frau im Unterhaus sitzt). Aber das kann ja noch kommen. Dies ist wohl kaum der letzte Volltreffer des vierzigjährigen Follett.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11+12/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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