Eine Rezension von Sibille Tröml


Leben, Lesen, Leiden, Lektorieren

Eberhard Fahlke (Hrsg.): Max Frisch/Uwe Johnson
Ein Briefwechsel.

Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 1999, 432 S.

 

Nachdem im vergangenen Jahr der Briefwechsel zwischen Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt erstmals veröffentlicht wurde, liegt nun also auch der Briefwechsel zwischen Max Frisch und Uwe Johnson der Öffentlichkeit erstmals vollständig vor. Und gleich auf den ersten Blick will es scheinen, als könnte der Unterschied nicht größer sein: schmal der eine, umfangreich der andere. Auch beim (vergleichenden) Durchblättern offenbart sich Unterschiedliches: War der von Peter Rüedi herausgegebene Frisch-Dürrenmatt-Briefwechsel mit Fotos und Faksimiles versehen, so ist der von Eberhard Fahlke edierte Band ohne derartige optische Anreicherungen. Dafür enthält er des öfteren und gleich auf der jeweiligen Seite erklärende Fußnoten, die in Anzahl und Umfang gelegentlich recht groß sind.

Gerade diese verschiedenartige editorische Herangehensweise aber weist auf eine unterschiedlich intendierte Leserschicht hin. War es im Band des Dürrenmatt-Forschers Rüedi auch und vor allem der „allgemeine“, sprich der interessierte Leser, zu dem sich freilich auch der forschende Literaturwissenschaftler gesellt, so ist es im Band des Johnson-Forschers Fahlke geradewegs umgekehrt. Max Frisch/Uwe Johnson - Ein Briefwechsel ist alles in allem ein Band für Fachinteressenten. Frisch- bzw. Johnson-Freunde und -Kenner werden ihn freilich auch lesen (können, dürfen, sollen), doch mag sich mit der Zeit vielleicht eine gewisse Beschwerlichkeit einschleichen. Einige mögen den Umfang des Briefwechsels hierfür als Grund nennen, einige die den Lesefluß hemmenden (weil der Lektüre wegen verlockenden) inhaltsreichen Fußnoten, einige davon sind gar die zwischen 1964 und 1983 geschriebenen Briefe selbst.

Sicher, man erfährt in ihnen viel (oftmals Hintergründiges) über Literatur, Literaten und Verleger (v. a. über Siegfried Unseld und Helen Wolff), über Privates und auch über Zeitgeschichtliches. Allein der Ton, der Stil mag nicht jederzeit jedermanns Geschmack treffen. Johnson-Freunde freilich kommen stetig auf ihre Kosten, denn dessen Briefe an den „[l]iebe[n] Herr Frisch“ sind Uwe Johnson pur. Max Frischs Briefe dagegen an den „[l]iebe[n] Uwe“ wirken - vergleicht man sie mit den wenigen Briefen an Friedrich Dürrenmatt - nicht selten unterkühlt-sachlich. Darüber hinweg täuscht auch nicht jene „altväterlich“ wirkende Herzlichkeit, die erst ab Mitte der 70er Jahre des öfteren einhergeht mit fürsorglicher Aufrichtigkeit und Vertrautheit. Vielleicht war diese bis zum Tode Uwe Johnsons anhaltende Art der Zuwendung ja eine Frage des fortgeschrittenen Alters von Max Frisch, vielleicht eine der wachsenden Vereinsamung von Uwe Johnson, höchstwahrscheinlich war es eine Kombination aus beidem. Auf jeden Fall aber hing die von Frischs wie von Johnsons Seite nie aufgegebene Distanz auch damit zusammen, daß der Ältere dem Jüngeren nicht selten die Rolle eines Lektors auferlegt hatte und dieser sich - wohl nicht ungern (?) - „wiederholt in der Manier“ eines ebensolchen äußerte. Dieses Rollenverhältnis und Rollenverständnis trug als unmittelbare und im Band dokumentierte Frucht Johnsons Lektorierung des Frischchen Tagebuch 1966 bis 1970, sie findet sich aber auch in zahllosen Anfragen des Schweizers und in Kommentaren des Mecklenburgers. Auffallend ist indes, daß Frisch sich im Gegensatz dazu nicht über die literarischen Arbeiten seines Briefpartners äußerte, selbst wenn dieser ihm „[z]um Beweis“ für eigenes Arbeiten noch geradezu entwurfsfrische Blätter anbeilegte.

Über dieses und andere Phänomene aber kann sich der Leser in Fahlkes kenntnisreichem Nachwort detailliert und sachkundig belesen. Er wird dabei sicher eigene Eindrücke und Gedanken wiederfinden, aber auch Anstöße zum Überdenken finden. Daß die Lektüre dieses Bandes für Johnson- und Frisch-Kenner ein „Muß“ ist, braucht an dieser Stelle sicher nicht betont zu werden. Gesagt sei es trotzdem, weil ein wesentlicher Wert der 432 Seiten in eben dieser Bedeutung liegt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11+12/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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