Eine Rezension von Daniela Ziegler


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Arbeit oder nicht Arbeit ...

 

Ilse Ermen/Florence Maurice (Hrsg.): Jung, dynamisch, erfolglos
Ein literarischer Bewerbungsratgeber.

Reclam Verlag Leipzig, Leipzig 1999, 187 S.

 

Vor vielen, vielen Jahren habe ich mich als Schülerin in einem Besinnungsaufsatz mit dem Thema „Arbeit - Broterwerb oder Berufung?“ nach zehnseitiger Argumentation für die Arbeit aus Berufung entschieden - wen wundert’s. Schule und Realität klaffen auseinander, was nicht nur Lehrern und Eltern, sondern auch Schülern bekannt ist. Damals wie heute.

Arbeit: „Wie auch immer das Wort interpretiert wird, es kann wohl kaum gesagt werden, daß sein Gegenstand etwas wie Berufung oder Selbstverwirklichung für mehr als eine glückliche Minderheit ist - die Nicht-Arbeit aber eine empfindliche Existenzbedrohung.“ (Nachwort der Herausgeberinnen) Wie wahr, wie wahr.

Normalerweise spricht man nicht über Arbeitslosigkeit. Arbeitslos zu sein ist ein Tabu. Schließlich ist der Arbeitslose selber schuld. Vorsätze, mit der eigenen Arbeitslosigkeit offensiv umzugehen, scheitern an der angstvollen Reaktion der Umwelt.

Um so erfreulicher ist es, daß die Herausgeberinnen Ilse Ermen und Florence Maurice Texte zu Stellensuche, zu schriftlicher Bewerbung, Vorstellungsgespräch, Absage und Probezeit zusammengetragen haben, und zwar nicht nur ernste, sondern Gott sei Dank auch humoristische, die dem Leser die Lachtränen der Mit-Betroffenheit in die Augen treiben. Ob aus der Sicht des anspruchsvollen Arbeitsscheuen (Javier Tomeo) oder aus der des Verzweifelten (Henry Miller), ob nur von außen betrachtet oder selbst erlebt, die Palette der berühmten Leidensgenossen reicht von Erich Kästner bis Guy de Maupassant, von Thomas Mann bis zu Marie Luise Fleisser.

Man verstummt als Arbeitsloser immer mehr. Mit wem soll man auch reden. Ödön von Horváths Protagonist hat das Glück, vor dem Arbeitsamt mit einer jungen Frau ins Gespräch zu kommen: „Er lächelte und sagte, er freue sich sehr, daß er sie nun kennengelernt habe, sonst hätte er noch das Reden verlernt. Sie sagte, man könne doch nicht das Reden verlernen.“

Wie bekannt manches dem Leser mit einschlägigen Erfahrungen erscheint:

„Die Hälfte des Geldes geht regelmäßig für Bewerbungsschreiben drauf. Porto braucht man. Rückporto braucht man. Die Zeugnisse muß ich mir jede Woche zwanzigmal abschreiben und beglaubigen lassen. Kein Mensch schickt die Papiere zurück. Nicht einmal Antwort erhält man. Die Bürofritzen legen sich vermutlich mit meinem Rückporto Briefmarkensammlungen an.“ (Erich Kästner)

Oder zu Auskünften des Arbeitsamtes: „... daß die Auskünfte immer stimmen, kann kein Mensch behaupten.“ (Erich Kästner)

Ohne einen vom Arbeitsamt geförderten Kurs zu Bewerbungsstrategien belegt zu haben, wußte Charles Bukowski, daß es gut ist, mehrere Eisen im Feuer zu haben. Sein Protagonist blufft auf Teufel komm raus: „Ich war eigentlich eh nicht drauf eingestellt, den Job hier anzunehmen. Hab halt mal reingeschaut, weil es so in der Nähe ist. Sie haben ja meine Telefonnummer auf dem Formular.“

Eine richtige Entdeckung stellt Napoleon Seyfarth, der als Psychologiestudent bei der Post mentale Flexibilität beweist, mit dem Textauszug „Beamter auf Lebenszeit“ dar:

„Und war ich nicht hier in der Auskunft in meinem eigentlichen Metier tätig? Ich übte ja auch eine beratende Tätigkeit aus. Die Leute riefen mit einem Problem an, und ich konnte ihr Problem lösen. Und zwar mit hundertprozentigem Beratungserfolg. Was ja bei einer psychologischen Tätigkeit fast nie der Fall ist.“

Schließlich wird der Autor wegen guter Führung zum Beamtenlehrgang zugelassen:

„Es begann eine Zeit des langen Leidens. Der Beamtenlehrgang. Sechs Monate lang wurde ich von Leuten unterrichtet, denen ich ab und zu die Grundsätze des Verfassungsrechts beibringen mußte. ... Bei der Beamtenprüfung mußte ich den Prüfer nur einmal korrigieren, als er Schwierigkeiten mit der Unterscheidung von Exekutive und Legislative hatte.“

Na, wer sagt’s denn! Es geht doch!

Arbeit soll ja idealerweise Spaß machen. Auf die Frage von Chef oder Kollegen: „Macht Ihnen Ihre Arbeit Spaß?“, hat mit Sicherheit noch keiner fertiggebracht zu antworten: „Muß Arbeit Spaß machen?“ oder: „Nein. Macht sie nicht. Finde ich auch nicht nötig.“

Eins ist sicher: Auf jeden Fall macht dieses Buch Spaß. Was man sich nicht entgehen lassen sollte, weder derjenige, der noch eine Arbeit hat, noch der, der im Moment keine hat.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11+12/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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