Eine Rezension von Karl-Heinz Arnold


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Wieder ein Blick voraus

 

Horst Ehmke: Der Euro-Coup
Kriminalroman.

Eichborn Verlag, Frankfurt/M. 1999, 298 S.

 

Im Berliner LeseZeichen, Heft 10/1998, wurde Horst Ehmkes Global Players vorgestellt: „Das Buch ist ein Erstling. Bisher traute sich in Deutschland noch kein Bundesminister a. D., einen Kriminalroman zu schreiben. Man durfte gespannt sein. Horst Ehmke hat sich nicht blamiert. Im Gegenteil.“ Nun also, nach einem Jahr, im selben Verlag der zweite Streich. Wiederum gelungen. Gleicher Stil, eine saloppe Schreibe und doch diszipliniert. Ähnliches Thema, fast eine Fortsetzung, wir begegnen alten Bekannten aus Global Players. Dennoch ein anderes Buch, mit mehr politischem Tiefgang, aber keineswegs auf Kosten der Lesbarkeit.

Ehmke hat die Handlung ins Jahr 2004 vorverlegt. Der Euro ist eingeführt. Die Briten üben sich noch in Zurückhaltung, sind bis dato beim Pfund geblieben, der wiedergewählte Premier Tony Blair konnte sich gegen die konservativen Feinde des Euro nicht durchsetzen. Auch der Beitritt osteuropäischer Staaten zur Europäischen Union steht noch aus, die damit verbundenen Probleme wurden unterschätzt, weissagt der Autor. Glaubwürdige Prognosen.

Überhaupt versucht Ehmke, dem Leser das Europa vorzustellen, wie es in einem halben Jahrzehnt aussehen könnte. Der Blick voraus, den er mit Global Players begonnen hat, wird fortgeschrieben. Der SPD-Kanzler ist an der Spitze der Berliner Regierung geblieben (auf das im vorhergehenden Buch angedeutete Auseinanderbrechen der rot-grünen Koalition kommt Ehmke nicht zurück). Der Bundeskanzler hat seinem damaligen Innenminister jüngst auf den Sessel des Präsidenten der EU-Kommission geholfen. Dieser Kommissionspräsident nun, der uns schon bekannte Karl Stockmann, ist die in Brüssel residierende und agierende Hauptperson des Buches. So hat der Autor Gelegenheit, uns ein wenig in die EU-Welt einzuführen und Brüssel vorzustellen, wie er es sieht - durchaus kritisch, aber mit vorzüglicher Gastronomie. Wenn die Mächtigen und gut Dotierten speisen, zeigt Ehmke vollends seine Kenntnis der feinen Lebensart.

Und ernsthaft ventiliert er die „finale Europafrage“, wie es sein Held Stockmann formuliert, nämlich die Frage nach dem Ziel der europäischen Integration, nach der endgültigen politischen Gestalt, die Europa schließlich annehmen soll: „Die einen fordern einen Staatenbund, andere einen Bundesstaat, wieder andere ein Mittelding.“ Der Autor läßt sein Geschöpf Stockmann, den deutschen Kommissionspräsidenten, sagen, die EU existiere überhaupt nur, weil das Zeitalter der souveränen Nationalstaaten zu Ende gehe. Die Anwendung der Begriffe aus dieser Ära auf die post-nationalstaatliche Union könne also nur zu Fehlkonstruktionen führen. Salomonisches Fazit: „Man muß die politische Einheit Europas fest im Auge behalten, die jeweils nächsten Aufgaben aber pragmatisch, mit common sense, angehen. Nicht selten sind Praxis und Geschichte klüger als die Systembastler.“ Der Pragmatiker Ehmke hat gesprochen. Das Thema Rußland und Europa - das bekanntlich bis zum Ural reicht - wird nicht behandelt. Da dürfte eine Prognose der leichten Hand wohl auch schwierig sein.

Mit solchen Elementen des Überlegens und Erwägens offener Fragen sowie künftiger Entwicklungen erhebt sich das Buch deutlich über das Genre Kriminalroman. Immer wieder läßt der Autor seine politischen Ansichten einfließen, jedenfalls ist er so zu verstehen. Bei spielsweise zum Euro: „Die Euro-Länder hatten, statt mit der Integration von Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik zu beginnen, die einheitliche Währung vorgezogen. Hinter diesem Schritt stand nicht zuletzt die Hoffnung, mit der Währungsunion die politische Union zu erzwingen. Nach Meinung der Kritiker hatten sie damit das Pferd vom Schwanz aufgezäumt. Aber das war Schnee von gestern. Jetzt gab es die Währungsunion, man mußte sie zum Erfolg führen.“ Der Pragmatiker hat gesprochen.

Und gegen diese Unionswährung, den Euro, formiert sich im Jahr 2004 eine internationale, im wesentlichen von den USA aus operierende Mafia. Ihr geht es allein um spekulativen Profit; der Autor läßt nicht den Verdacht aufkommen, es könnte sich bei dieser Attacke um antieuropäische politische Kreise der USA handeln. Um Milliarden Dollar einzusacken, wird eine gigantische Währungsspekulation vorbereitet, zunächst gegen den Euro, dann - als die Mafia-Bosse einen Pflock zurückstecken müssen - gegen das englische Pfund, und dieser Angriff wird tatsächlich gefahren. Er mißlingt, weil die EU-Länder dem Pfund zur Hilfe kommen. Als Dank, zugleich die Bedingung der Hilfe akzeptierend, erklärt London sich bereit, in den Euro-Klub einzutreten. Alles wird gut.

Auch bei der Ausformung dieser tragenden Idee des Buches, die als spannende Kriminalstory daherkommt, bringt der Autor seine Ansichten zu politischen Grundfragen heutiger Zeit und künftiger Entwicklung ein. Er betont mehrfach sein Mißfallen darüber, daß eine Meute von Währungsspekulanten weltweit unter dem Mäntelchen der Legalität agieren darf. Als ein bereits real existierendes Beispiel nennt er die Spekulation von 1992 gegen das Pfund. Ehmke wendet sich mehrfach und mit Schärfe gegen solche Spekulanten, die, wie er feststellt, ungestraft ganze Volkswirtschaften ruinieren dürfen.

Die nationalstaatliche Politik habe nicht mit den weltweiten Veränderungen in der Finanzwelt Schritt gehalten, sie sei angesichts solcher Angriffe „überwiegend hilflos“. Daß die Währungsspekulanten ungestört agieren können, ist für Ehmke - so sehen es „manche Ökonomen“, läßt er seine Hauptperson sagen - eine Perversion des Freiheitsverständnisses. Für einen Kriminalroman ungewöhnliche Aussagen, deswegen aber nicht weniger richtig. Jedenfalls ist es die längst fällige gerechte Strafe, wenn den Mafiosi im Zusammenwirken von europäischen und US-Kriminalisten die Handschellen angelegt werden. Im übrigen verlieren sie die in die Spekulation investierten Milliarden. Ende gut, alles gut.

Nicht zuletzt zeichnet sich das Buch dadurch aus, daß es einen kurzen und dem Laien verständlichen „Lehrgang“ zu den wichtigsten Vorgängen auf den Devisenmärkten bietet. Der Autor packt ihn geschickt und gefällig in eine Bettgeschichte ein: Die kurzzeitige Geliebte des Kommissionspräsidenten Stockmann arbeitet bei der Europäischen Zentralbank und kann daher den Präsidenten auch mittels ihrer fachlichen Kenntnisse befriedigen.

Es sei dahingestellt, ob dieser didaktische Kunstgriff des Autors ausreicht - man muß sich wohl darüber hinaus ernsthaft für europäische Politik, Währungsprobleme und Geldgeschäfte interessieren, um Ehmkes Strickmustern in allen Details folgen zu können. Schuldig bleibt er dem Leser lediglich die Auskunft, in welcher Sprache die Leute am Hauptspielort Brüssel kommunizieren, wie also der deutsche Kommissionspräsident mit der französischen Finanzfachfrau im Bett und beim Frühstück parliert. Etwa englisch, obwohl das Vereinigte Königreich noch gar nicht im Euro-Klub ist?

Ehmke schreibt, wie er ist - überlegt, bedachtsam, ohne Hektik, selbstsicher. Man folgt mühelos - bis auf die Stellen, die eine gewisse Aufmerksamkeit erfordern, weil es ums große Geld geht - seiner gut gebauten Geschichte. So gewinnt das Buch wie schon das erste eine Qualität, die ein volkstümliches Prädikat verdient: Es liest sich weg. Dieses also war des Autors zweiter Streich. Und der dritte folgt sogleich? Man weiß es noch nicht, würde es aber durchaus goutieren.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11+12/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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