Eine Rezension von Hans-Rainer John


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Ein Zweikampf, um den Planeten zu retten?

 

Tom Clancy: Operation Rainbow
Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Gatter.

Heyne Verlag, München 1999, 888 S.

 

Tom Clancy (51) gilt nach neun Bestsellern, die er vorgelegt hat, mit Recht als großer amerikanischer Erfolgsautor. Romane wie Gnadenlos (s. Berliner LeseZeichen 8/95) und Ehrenschuld boten tatsächlich auf jeweils über tausend Seiten literarisch versiert Spannung und Unterhaltung auf hohem intellektuellem Niveau. Stets entfaltete der Autor eine anspruchsvolle, weitverzweigte Handlung mit rasch wechselnden Schauplätzen, und er erzählte seine Geschichten logisch, eindringlich und überzeugend. Immer wieder verblüffte er mit einer sagenhaften, bis ins Detail gehenden Sachkenntnis auf den verschiedensten Gebieten, und immer war er an zentralen Konfliktherden dieser Erde dicht dran. Da konnte auch seine konservative, mitunter das Rassistische streifende Weltsicht wenig Abbruch tun.

Klar, daß dem zehnten Roman, Operation Rainbow, deshalb mit großen Erwartungen entgegengesehen wurde, zumal ihn der Verlag als „Superthriller, spannender, aktueller, schockierender als alles, was er bisher geschrieben hat“, angekündigt hat. Das Ergebnis der Lektüre ist aber leider enttäuschend. Der Plot ist diesmal überaus spekulativ, und er wird durch den Gang der Handlung kaum der Realität nahegerückt. Im Gegenteil, diesmal wirkt alles konstruiert, kaum mit Logik motiviert, es knirscht allerorten im Gebälk, Spannung entsteht vorwiegend dadurch, daß dem Leser Informationen vorenthalten werden (die Karten werden erst ziemlich spät aufgedeckt), in den europäischen Angelegenheiten zeigt sich der Autor nicht halb so bewandert wie in denen in Übersee, und die literarische Qualität läßt über weite Strecken zu wünschen übrig - starke Sprüche, schiefe Bilder, flotte Redensarten und abgeschmackte Sentenzen, die man auch anderenorts lesen kann, beherrschen das Feld. Ist der Autor ermüdet oder ausgebrannt?

Natürlich tobt auch in diesem Buch der Kampf der „Guten“ gegen die „Bösen“. Die Guten - das ist Rainbow, eine neugebildete Antiterror-Einheit der NATO, stationiert in England, dreißig Leute etwa unter Leitung John Clarks und seines Schwiegersohns Ding Chavez, Amerikaner, die schon in früheren Romanen Clancys als Angehörige einer Elitetruppe der Marine gefährliche Unternehmen in verschiedenen Ländern durchgestanden haben. Und die „Bösen“? Das sind John Brightling und seine Frau Carol. Carol ist wissenschaftliche Beraterin des amerikanischen Präsidenten. Mit ihren Vorschlägen zum Schutz des Ökosystems hat sie bei ihrem Chef wenig Chancen - die Konkurrenz der um ihre Profite fürchtenden Industriebosse ist zu stark. John dagegen ist Chef des weltweit führenden Pharmaunternehmens „Horicon Corporation“ und der Sicherheitsfirma „Global Security“, und er ist nicht nur ein wissenschaftliches Genie, sondern auch Milliardär, der zweitreichste Mann Amerikas nämlich. Carol und John sind Naturfreaks, die entsetzt sehen, wie verbrecherisch unbekümmert die Gesellschaft mit der Natur umgeht - Autos verpesten die Luft, Chemikalien wandern ins Grundwasser, Pestizide dezimieren die Tierwelt, Spraydosen zerstören die Ozonschicht ... Da sie keine Möglichkeit sehen, auf normalem Wege dafür zu sorgen, daß die Natur respektiert statt ausgebeutet, daß die Ökosphäre gerettet wird, sind sie bereit, auch über Leichen zu gehen. Sie wollen die Menschheit empfindlich reduzieren, ja eigentlich ausrotten bis auf eine kleine Elite von 3000 Überlebenden etwa, die - Berechnungen zufolge - im Laufe von tausend Jahren wieder auf eine Million anwachsen könnten...

Der Massenmord soll bei den (im Buch um zwei Jahre vorgezogenen) Olympischen Spielen in Sydney in Gang gesetzt werden, wo ein mikroskopisch kleiner Viruspartikel, der eine tödliche, sehr ansteckende Krankheit in der Art des Ebola-Fiebers auslöst, in das Nebelkühlsystem praktiziert werden soll. Sobald die Athleten und Touristen die Seuche in alle Länder der Erde geschleppt haben, wird „Horicon Corporation“ einen „Impfstoff“ auf den Markt werfen, der alle bis dahin noch nicht infizierten Menschen befassen und in der Folge dahinraffen soll. Der Plan setzt freilich voraus, daß „Global Security“ mit der Sicherheitsüberwachung der Olympischen Spiele betraut wird.

Um dieses Engagement zu befördern, muß zuvor der Welt die Gefahr des Terrorismus bewußt gemacht werden. Deshalb wird Genosse Popow, ein abgehalfterter KGB-Agent, angeheuert, der Terroristen gegen phantastische Geldbeträge rekrutiert und mit einem Bankraub in der Schweiz sowie mit der Entführung eines Millionärs in Österreich beauftragt. Da die Überfälle ziellos und dilettantisch erfolgen, werden die Täter mühelos von den Rainbow-Männern zusammengeschossen, wodurch die Truppe zu Ruhm und Ansehen kommt. Also muß Popow noch einmal ran und IRA-Anhänger mit Geld und Drogen aufstacheln, die Rainbow-Leute auf ihrem eigenen Stützpunkt in England zu überfallen, um sie außer Gefecht zu setzen oder zumindest schwer anzuschlagen. Natürlich erweisen sich die Rainbow-Männer wieder als die viel Besseren. Einige von ihnen sind ohnehin nach Sydney abgestellt (die Australier fahren lieber mehrgleisig), und da Popow inzwischen übergelaufen ist und „singt“, ist es ihnen ein leichtes, den Plan Brightlings zu hintertreiben. Der nun wieder, inzwischen in sein Geheimlabor im brasilianischen Urwald geflohen, wird von Rainbow dort gestellt und mit seinen Anhängern nackt und hilflos im Dschungel ausgesetzt und dem Tod überantwortet: „Sie wollten in Harmonie mit der Natur leben. Dann harmoniert mal schön.“

Leider wird das eigentliche Problem - die Gefährdung des Planeten durch die Frevel des Menschen an der Natur und das Gewinnstreben der Konzerne - vom Tisch gewischt, indem erstens Bemühungen der Brightlings, die Fehlentwicklung mit demokratischen Mitteln zu steuern, völlig unterbelichtet bleiben und beide nur als überkandidelte Naturfreaks und spleenige Fanatiker abgetan werden und zweitens die ganze Brightling-Mannschaft von Anfang an als krimineller, gewissenloser Abschaum disqualifiziert wird. Wie ein genialer Wissenschaftler andererseits auf Kosten der gesamten Menschheit auf die Selbstheilungskräfte der Natur setzen kann, wird auch nicht plausibel gemacht. Der Plan der Wiederherstellung eines Urzustands ist ja nicht nur anachronistisch und verbrecherisch, sondern auch unbedarft und naiv.

Logisch schwer nachvollziehbar sind auch Brightlings Anstrengungen, den Terrorismus mit Hilfe Popows „wiederzubeleben“. Gab es und gibt es nicht ohnehin genügend Aktivitäten in dieser Richtung auf der ganzen Welt, die uns ständig in Atem halten? Als Clancy den Roman schrieb, gab es mehr als 250 Tote und mehr als 5000 Schwerverletzte bei dem Attentat auf die USA-Botschaften in Kenia und Tansania. Genügt das nicht? Ist es da nötig, RAF-Gesinnungsgenossen von Baader-Meinhof („zeitlebens gläubige Jünger des Kommunismus“), „bekehrte Kommunisten aus der ehemaligen DDR, die sich fröhlich als Nazis gebärden“, sowie „Leute aus der ehemaligen Volksarmee und Skinheads, die im realen Sozialismus ausgebildet wurden“, zu bemühen, die sich fast irrwitzig und gänzlich ziellos einsetzen lassen (nur gegen Geld!) und natürlich abgeknallt werden wie tollwütige Hunde oder reißende Wölfe? Und das alles, damit „Global Security“ die Sicherheitsaufsicht über die Olympischen Spiele erhält? Auch den IRA-Anhängern - „unverbesserliche Marxisten, die die demokratisch gewählte Regierung in Dublin stürzen wollen, um ein Regime fortschrittlicher Sozialisten in Irland zu errichten“ - wird (gegen sechs Millionen Dollar und zehn Pfund Kokain) ein schier unglaubliches Unternehmen zugemutet: Sie sollen guerillamäßig die Frauen von Clark und Chavez in ihre Gewalt bringen und ein paar Rainbow-Leute niederschießen, die den Frauen vermutlich zu Hilfe kommen werden. Was soll’s? Der Einsatzfähigkeit von Rainbow hätte das auch im Falle des Gelingens kaum Abbruch getan, aber die Chancen waren in der Höhle des Löwen ohnehin gleich Null. Wieder knackt es im Getriebe der Handlung, aber noch ärgerlicher ist wohl die Unkenntnis der Verhältnisse in der BRD und in Irland bzw. die mangelnde Recherche, so daß diesmal der Anschein der Glaubwürdigkeit nicht gewahrt bleibt. Nun, für Clancy sind Marx und Engels eben die Urväter des Bösen auf dieser Welt schlechthin, und Marxisten sind für ihn Menschen ohne Gewissen und moralische Grundsätze. („Ideologen, die ein klares Ziel vor Augen haben, haben keine ethischen Grundsätze, bei denen sie zu packen sind, keine Moral im herkömmlichen Sinne.“) So kommt es, daß für den Autor zwar nicht alle Marxisten zugleich Terroristen, aber alle Terroristen zumeist Marxisten sind.

Inzwischen haben im Roman die Australier - obwohl sie selbst über einen effizienten Nationalen Sicherheitsdienst und über die Sydney-Polizei verfügen - sowohl „Global Security“ als auch „Rainbow“ zur Sicherheit der Olympischen Spiele verpflichtet. Eine Arbeitsteilung aber gibt es nicht, die Herren werden einander nicht mal vorgestellt. Jeder läuft ohne Programm blindlings herum, wie es ihm paßt, und als Chavez den Kanister mit den gefährlichen Viren sicherstellt, fällt es nicht mal jemandem auf. Wo nur ist Clancys immer bewunderte Sachkenntnis geblieben?

Aber auch die „Guten“, die Rainbow-Leute, werden dem Leser diesmal nicht recht sympathisch. Zugegeben, die Männer üben ein hartes Handwerk aus, sie müssen perfekt sein bezüglich körperlicher Fitneß und waffentechnischer Kompetenz und hochgerüstet mit aller erdenklichen Technik. Aber müssen es solche martialischen, großsprecherischen Killer sein, solche menschlichen Kampfmaschinen, „zweibeinige Raubtiere,“ wie es einmal heißt, „die sich nur daheim bei Frau und Kind als sanfte Kater geben“? („Gefühlvoll und voll Leidenschaft schmolz Chavez dahin, wenn er Regung im Mutterleib spürte.“) Sie sind nartürlich „rank und schlank und angriffslustig“ und wollen den Feind „abmurksen“, „niedermähen“, „abknallen“, ihm „sauber ein 10-mm-Projektil ins Auge jagen, daß das Gehirn weggepustet wird und die Hautfetzen fliegen“. Notfalls wird dem Gegner auch durch eine Kugel das ganze Gesicht abrasiert, das ergibt dann leider kein Foto mehr, das zur Identifizierung der Leiche dienen kann. („Tja. Einige Durchschüsse können den Gesichtsausdruck ganz schön verändern, Mann, feixte Chavez.“) Die Truppe ist auf rasches Töten des Feindes programmiert, aber nicht auf Aufräumen der unappetitlichen Reste: „Um das Einsammeln der Leichen sollen sich die Polizeikollegen kümmern.“ Natürlich bewundert man sich gegenseitig (einer wird als der führende Rainbow-Killer apostrophiert), und nach den Einsätzen -wenn der Chef eine Runde ausgibt - prahlt man mit Anekdoten. Chavez meint: „Die Stimmung war noch nie so gut. Kommt mir vor, als könnten wir die Welt erobern, wenn wir die Jungs richtig einsetzen.“ Und Clark, der Chef, „hätte fast heulen mögen, weil er die Ehre hatte, solche tapferen Männer zu befehligen, sie in das Getümmel zu schicken. Es waren seine Männer.“ Nein, ganz glücklich sein kann man mit solchen Helden nicht, aber vielleicht spiegelt der Autor hier doch die Realität wider, nur eben kritisch meint er es gewiß nicht. Er steht dahinter, ganz und gar.

Nun, die Welt wird im Roman zwar nicht erobert, aber nach Brasilien wird eine AWAC geschickt, und später dringen dort auch noch die Rainbow-Leute ein - ohne Genehmigung oder zumindest Information der zuständigen Regierung, eben in Rambo-Manier. Ein starkes Stück, zumal es wie selbstverständlich geschieht. Eine letzte Kraftprobe, ein voller Sieg. So will Clancy Amerika sehen: erfolgreich, effizient und unschlagbar. Die Wirklichkeit sieht jedoch mitunter anders aus. Am Jahrestag des Anschlags auf die USA-Botschaften in Afrika erschien in Kenia eine Anzeige mit dem Titel „Die Suche nach Gerechtigkeit“, den Fotos von acht Verdächtigen und der hilflosen Aufforderung, sich in der amerikanischen Botschaft zu melden, sollte jemand diese Männer erkennen. Keiner der Täter wurde mit Sicherheit identifiziert, geschweige gefaßt.

Zusammenfassend muß man zu Operation Rainbow sagen: Es ist nicht nur der Plot, der diesmal nicht überzeugt, es ist auch die Unlogik, die Glätte und Beliebigkeit, mit der er exekutiert wird. Man kann nur auf das nächste Buch von Clancy hoffen, denn diesmal ist wenig Grund zur Begeisterung.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11+12/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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