Eine Rezension von Volker Strebel


Biermanns Berliner Bilderbogen

Wolf Biermann: Paradies uff Erden

Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 1999, 159 S.

 

Bilderbögen bestehen aus verschiedenen Stationen, illustrieren Geschichten, und bereits die Alliteration auf der Einbandseite verrät Biermanns Freude an solchem Spiel. Der politische Dichter Wolf Biermann hat zu allen seinen dichterischen Zeiten und politischen Wandlungen immer auch seine hedonistische Lebensfreude betont. An dieser Stelle zeigt sich eine weitere Verwandtschaft zu seinem Ahnen Heinrich Heine. Bereits zu Wolf Biermanns DDR-Zeiten, als er unter Stasiaufsicht und Publikationsverbot in der Ostberliner Chausseestraße 131 seine Balladen und Lieder schrieb, schien die Zerrissenheit Heinrich Heines Biermanns Verse zusammenzufügen. „Das kommt, weil ich mein Deutschland / So tief zerrissen seh / Ich lieg in der bessern Hälfte / Und habe doppelt Weh“, so schrieb sich Biermann vor über zwanzig Jahren sein politisches Seelenleid vom Halse, und gleich zu Beginn seines „Berliner Bilderbogens“, als Eingangslied, Selbstbeschwörung und Geleit, schließt Wolf Biermann in einer gewohnt kraftvollen Ballade mit dem Titel „Um Deutschland ist mir gar nicht bang“ in den Versen: „Heimweh nach früher hab ich keins / nach alten Kümmernissen / Deutschland Deutschland ist wieder eins / nur ich bin noch zerrissen.“

Deutschland - ein wiederkehrendes Thema bei Wolf Biermann, eine endlose Geschichte mit sehr konkreten Stationen. Und um wieder an Heinrich Heine zu erinnern, über den Biermann in seinem Lied „Die Rheinfahrt“ singt: „Der vaterlandslose Gesell in Paris / War jüdischer als mancher Jud, überdies / Viel deu... viel deu... viel deu... viel deu... / Viel deutscher als all diese Deutschen“ - Biermann thematisiert in dieser neuesten Sammlung sein eigenes Jude-Sein, als löste er ein, was er bereits vor über zwanzig Jahre in seinem „Gesang für meine Genossen“ angedeutet hatte: „- ach, in wortreichen Nächten, wie oft verschwieg ich / meine jüdische Angst, von der ich behaupte / daß ich sie habe - und von der ich fürchte / daß einst sie mich haben wird, diese Angst.“

Und Biermann kommt nicht „triefend“ einher, wie er sagen würde, mit seinen Fragen und Beobachtungen, sondern mitten im Leben, das heißt für Berlin zum Beispiel: am Wannsee. „Am Himmelfahrtstag bei frischem Wind / Gewitterstimmung mit Sonnenschein / Da fuhr ich vergnügt mit Kind und Kegel / Zum Wannsee ins Grüne, ins Blaue hinein ...“ Und wie ein Memento steht hinter Biermanns lebenslustiger Familie die Wannseevilla, in der die sogenannte „Endlösung der Judenfrage“ beschlossen wurde. Im Leben dagegen - Bootfahren mit den Kindern, Würstchen und Cola - das ausgelassene Grölen der Vatertagsausflügler. Auf das entsetzte Nachfragen eines seiner Kinder, das Fetzen dieser Gesänge verstanden hat, resümiert Biermann: „Das sind keine Nazis, mein Kind, that’s life! / Das sind halt die Lieder der Nachkriegsbrut / Mein Sohn, es ist nur ein Nebelstreif / Sie feiern ihrn Vatertag, meinen es gut / Sie trinken ihr Bier und mögen gern essen / Sie arbeiten schwer und singen mit Lust / Den Völkermord haben sie nicht vergessen / Denn sie haben ihn niemals gewußt.“

Biermanns Berliner Bilderbogen umfaßt eine weite Topographie vor allem des ehemaligen Ostberlins, wo Biermann die erste Hälfte seines Lebens verbrachte, nachdem er als sechzehnjähriger Jungkommunist seine Vaterstadt Hamburg verlassen hatte. Die Wiederkehr nach Berlin hatte er einem Ruf als Fellow in den Berliner Wissenschaftskolleg 1997/1998 zu verdanken. Bekannte Plätze und Orte, die Biermann bereits früher in seinen Liedern besungen hatte, kommen wieder zur Sprache: der Prenzlberg, die Chausseestraße, das Scheunenviertel, der Alex, der Mont Klamott. Ein Wiedersehen nach vielen Jahren, ein Blick in die eigene Vergangenheit. So sehr diese Begegnung den Blick verengt, so weitet sich in der Erinnerung auch das Gedächtnis. Alte Gesichter und Bekannte begegnen dem Leser und nicht nur „Berliner Originale“ wie der Kohlen-Otto, den Biermann-Leser aus vergangenen Jahren kennen. Es sind die Freunde und Genossen Robert Havemann und der kürzlich viel zu früh verstorbene Schriftsteller Jürgen Fuchs - alle auf ihre Weise Opfer eines Regimes, das den eigenen Anspruch auf einen sozialistischen Charakter mit Füßen trat. Mit Zorn und Verve hält Biermann daher nicht hinter dem Berg, wenn es zu verhindern gilt, die Erinnerung an diese Zeiten zu verwischen.

Eines jedoch bleibt für Wolf Biermann lebendig: die Anziehungskraft einer Stadt, die über unnachahmliche Bilderbögen verfügt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11+12/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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