Eine Rezension von Walter Unze


Im schriftlichen Gespräch

Achim von Arnim und Clemens Brentano: Freundschaftsbriefe
Band I und II.

Eichborn Verlag, Frankfurt/M. 1998, 963 S.

 

Im Zeitalter von Telefon, Fax und E-Mail besitzt der Brief alle Züge des Nostalgischen. Dient er hin und wieder noch als Übermittler von Informationen, so ist seine Rolle als schriftliches Gespräch, als Mittel der Diskussion o. ä. so gut wie ausgespielt. Dabei kann er eigentlich weder durch ein noch so langes Telefonat, ein Fax oder ein E-Mail ersetzt werden.

Das wird einem deutlich vor Augen geführt, wenn man sich einmal mit Briefen aus dem 18. oder 19. Jahrhundert befaßt, wobei ich nicht so sehr jene meine, die schon beim Abfassen für die Veröffentlichung bestimmt waren, sondern solche, die im ganz privaten Verkehr zwischen Freunden und Bekannten, zwischen wissenschaftlichen Partnern und Gegnern, zwischen Liebesleuten oder Erzfeinden gewechselt wurden.

Die Briefe, die in den Jahren 1801 bis 1829 zwischen Achim von Arnim (1781-1831) und Clemens Brentano (1778-1842) entstanden, gehören zu jener Kategorie ganz persönlicher Mitteilungen, in denen Sachinformationen, Klatsch und Tratsch, Stimmungsbilder und Dispute über Anschauungen, Ideen und die eigene poetische Produktion unvermittelt nebeneinander stehen, oft ineinander übergehen und so ein unverwechselbares Bild der beiden Persönlichkeiten, ihrer Denkweise, ihres Lebensumfeldes und ihrer Zeit abgeben.

Der Briefwechsel der beiden Freunde wird hier erstmals vollständig vorgelegt. Der Herausgeber Hartwig Schultz befaßt sich vornehmlich mit der Romantik und hat eine sehr informative und zugleich einfühlsame Einleitung unter dem Titel „Die ,Liederbrüder‘ und ihre ,Bresche in Göthens Litterairgeschichte‘“ verfaßt. Dafür nutzte er auch die Mitarbeit von Holger Schwinn, der in seiner Dissertation von 1997 die Beziehung der beiden Dichter untersucht hat. Er unterscheidet drei Phasen dieser Freundschaft: die Zeit von 1801 bis 1804, in der Achim von Arnims Reisejahre liegen; die Jahre von 1805 bis 1809, in der gemeinsame Arbeiten entstehen; schließlich die Zeit zwischen 1811 und 1816, in die die vergeblichen Versuche fallen, die Freundschaft neuerlich zu festigen. Für die Zeit danach bis zum Tod Arnims 1831 diagnostiziert Schwinn formelle Freundschaft und gegenseitige Entfremdung.

Schultz hebt in seiner Einleitung hervor, daß im Briefwechsel zwischen den beiden Freunden jene Aufbruchstimmung noch intensiv zu spüren sei, die bereits die Jenaer Romantik der Jahrhundertwende prägte. Die von Arnim und Brentano entwickelte Ästhetik charakterisiert der Herausgeber als eine „Wendung gegen das Klassische, gegen die etablierten, vom Vorbild der griechisch-römischen Antike geprägten Denkmodelle und Formen, auch gegen den ,musealen‘ Umgang mit der Antike“.

Im Mittelpunkt des Briefwechsels steht der Disput um ihre poetische Arbeit, vor allem natürlich die gemeinsame Arbeit an der Sammlung Des Knaben Wunderhorn. Immer wieder werden ganze Gedichte oder einzelne Passagen mitgeteilt und besprochen. Aber auch die Zeitumstände spielen eine wichtige Rolle in den Briefen, so, wenn Arnim im Juni 1803 an Brentano schreibt: „Es ist eine harte Zeit, sie führt eine gewaltige Mörserkeule und stösst die Menschheit klein und die Menschheit ist selber schon so klein“.

„Die Andere Bibliothek“, in der die Briefsammlung erschienen ist, bürgt für eine ausgezeichnete Ausstattung. Durch den Zweifarbendruck der Briefe kann man die beiden Adressaten schnell voneinander trennen. Selbstverständlich gibt es ein Register, so daß die wissenschaftliche Nutzung dieser schönen Bücher erleichtert wird.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11+12/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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