Eine Rezension von Alfred Büngen


Warum war der Mond nicht aus grünem Käse

Alexander Amberg: Seni-Tours Inc. One-Way-Ticket

Klaus Bielefeld Verlag, Friedland 1998, 123 S.

 

Eine Kurzgeschichten-Sammlung zu veröffentlichen, keine Selbstverständlichkeit auf dem mehr oder weniger gesättigten Buchmarkt der Bundesrepublik. Der kleine, aufstrebende Klaus Bielefeld Verlag hat es mit 12 Geschichten von Alexander Amberg gewagt.

Der Leser läßt sich auf ein nicht alltägliches Lesevergnügen einer überzeugenden Mischung aus Krimi, Horror, Zynismus und Realität ein. Bereits die Titelgeschichte „Seni-Tours ...“ klärt die Nähe der von Amberg entworfenen Phantasien und der Wirklichkeit. In gesellschaftlichem Auftrag entsorgt man Senioren auf einer letzten, ihnen preisgünstig angebotenen Tour. Organhandel, Trennungs- und Kindheitsängste, Angst vor dem Fremden sind einige der anderen Anlässe Ambergscher Fiktionen. Die von ihm erzählte kriminelle Brutalität und einzelne Horrorvisionen wirken dabei niemals aufgesetzt, künstlich. Die Unmenschlichkeit der realen Handlung besitzt ihren Antrieb nicht in der schriftstellerischen Phantasie, das wirkliche Leben birgt diese Elemente bereits in sich. So wird die „dunkle Tür“ im Rücken von Sadja, einer der Geschichtenfiguren, zum verständlichen Symbol, die geschilderte „Enge“ läßt auch beim Leser „Angstgefühle ... aufsteigen“. Der Autor wird mit seinen Geschichten zum Mittler zwischen Leser und dem Grauen der Wirklichkeit. „Hexen gibt es nur im Märchen“, die Angstvisionen des Alltags hingegen sind real. Deutlich gezeichnet im übrigen auch die Einsamkeit der Figuren, die jeder Leser zu kennen glaubt. Niemand, der ihnen im Dialog, in gemeinsamer Handlung ihre Ängste abnimmt, in Ansätzen allenfalls noch der Freund in der Kindheit, mit dem gemeinsam die Angst vor dem Fremden, dem Unbekannten erlebt wird.

Dieses Gespür Ambergs für die Nähe des alltäglichen „Wahnsinns“ und für das isolierte Individuum in der heutigen Gesellschaft, verbunden mit seinem sehr flüssigen Schreibstil, ergeben zwölf Lesevergnügungen mit Folgen. Nicht zu Unrecht warnt der Verlag den Leser vor der Lektüre: „... ein leichter Schauer, der sich einstellt, wenn man das Licht ausmacht.“ Also das Gefühl, das sich für jeden einstellt, der sich mit der Wirklichkeit noch befassen will, denn „der Mond“ ist nun einmal nicht aus „grünem Käse“.

Gute, unterhaltende Literatur muß keinesfalls Realitätsflucht sein, erneut liegt dafür mit Ambergs „Seni-Tours ...“ ein überzeugender Beweis vor. Angesichts dieser Sammlung stellt der Kritiker sich wieder einmal die Frage, weshalb die Kurzgeschichte in Deutschland noch immer ein Außenseiterdasein führt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11+12/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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