Eine Rezension von Helmut Hirsch


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„Oder flogen die Hölzer wie Libellen an ...“

 

Carlfriedrich Claus/Albert Wigand: Traum-Grundriss
Erinnerung an eine Freundschaft. Briefe und Bilder.
Hrsg. von Roland März.

edition refugium, Neustrelitz 1998, 136 S.

 

Wenn von der Kunst in der DDR gesprochen wird, müssen unbedingt auch Albert Wigand (1890-1978) und Carlfriedrich Claus (1930-1998) genannt werden. Zwei Männer, deren Werk nie ins grellbelichtete Zeitgeist-Geklingel paßte oder passen wird. Zwei Stille, die nur der besonnene Wanderer durch die verzweigten Wege der Stille zu entdecken vermag. Die Freundschaft zwischen beiden Künstlern beginnt 1958 und endet mit Wigands Tod im Jahre 1978. Der um vierzig Jahre jüngere Claus eröffnet den Briefwechsel am 8. 9. 1960 sogleich mit begeisterten Worten. Noch wirkt die letzte Begegnung in Dresden als „Nach-Empfindung von Wärme“, als ein großer Eindruck, den Claus bei Betrachtung der Bild-Welt Albert Wigands erlebt hatte. Was es ist, weiß er nur knapp zu sagen: „Etwas Unsichtbares, Töne, Klänge, Laute.“ Das Wunder der Farbe, die Flächen, die Kompositionen, das alles wirkt heftig auf den jungen Claus. Und er bewundert den Bau dieser Arbeiten, sieht sie „ausbalanciert bzw. gespannt“. Legt im Gegenzug eigene „frühe Versuche“ bei, „Klang-Gebilde nannte ich damals diese Dinge“.

So beginnt eine Freundschaft, die hier nachzuvollziehen ist. Claus schreibt häufiger, die Begeisterung des „Jungen“ ist so groß, daß Wigand einmal fragt: „Sehen Ihre Dichteraugen nicht zuviel?“ Herausgeber und Verlag (die kleine und bisher kaum bekannte „edition refugium“ in Neustrelitz) machen es dem Leser und Betrachter auf ganz ungewöhnlich wunderbare Weise möglich, an dieser Künstler-Freundschaft teilzunehmen. Eine persönliche und künstlerische Wertschätzung zwischen grundverschiedenen Naturen, doch jeder erfährt durch den anderen etwas anderes von dieser Welt, erlebt die Wirkung seiner Bild-Welt im anderen. Carlfriedrich Claus hebt das geheime Zusammenwirken von Farbe und Raum, die „Architekturen aus herbstlichem Licht“ auf den Bildern und kleinen Blättern Wigands hervor. Daß es beide Künstler nie leicht hatten, wird in fast jedem Brief, in der kleinsten Notiz erkennbar. Aber nichts von Anpassung, keine Zerknirschung, kein Stillstand. Vielleicht elegische Töne bei Wigand, der später an einer psychischen Erkrankung zu leiden hat. „Ist der Traum überhaupt nicht das Beste?“ fragt er im Herbst 1964 Claus. Und der antwortet aus dem erzgebirgischen Annaberg-Buchholz: „Man darf nie das ruhen lassen, was nach Verwirklichung drängt, allen äußeren Hindernissen zum Trotz: allons! - Sehen Sie die gärenden lichtbrodelnden Figuren, die halbgeöffneten Türen, zu Räumen in uns, die darauf warten, von uns betreten, durch uns real zu werden?“ Was in den Briefen beschrieben wurde, kann hier betrachtet werden. Alle erwähnten Arbeiten beider Künstler sind wiedergegeben. Und nicht, wie üblich, in den Text gedruckt, sondern eingeklebt. Dadurch bekommen die Wiedergaben etwas ganz Intimes, eine Nähe, die auf den Betrachter anziehend auszustrahlen beginnt. Und es ist dieser Brief- und Ideen-Wechsel sowieso ein großes/kleines Buch der Strahlungen, der gegenseitigen Ermunterungen, der mitgeteilten Bild-Erlebnisse. Glückwunschkarten wechseln hin und her, und die kleinste Freude darüber wird sogleich mitgeteilt. Das Wunder der Wigandschen Farbgebilde erregt Claus immerzu, und er bemerkt: „Habe Kontakt mit dem Tastsinn.“ Denn dies ist nun genau auch das eigene Feld künstlerischer Praxis. Claus erklärte allen, die es wissen wollten, mit großer Anschaulichkeit die Fibrations-Texte und Gesprächs-Zeichnungen, seine Sprach-Blätter, die in der Kunst der DDR lange geheim, dann mehr und mehr öffentlich zu sehen waren. Heute Schätze der modernen Zeichenkunst, damals einem entbehrungsreichen Leben abgerungen. Und Wigand, später liebevoll-ironisch von Claus „verehrter Großvater Wigand“ genannt, hilft, wo er nur kann. Mal mit einem kleineren, dann auch mit einem größeren Schein oder mit Kaffee. Nie fehlt ein ermunterndes Wort: „Seien Sie nicht traurig über Geldverdienenmüssen“, schreibt Albert Wigand, weil Claus zeitweilig seinen Lebensunterhalt mit dem Kopieren von Noten bestreiten muß. „Sie werden es trotzdem schaffen. Denken Sie an Ihren Ruhm; genug Geld dabei, wäre fast zuviel.“

Die Bilder des alltäglichen Lebens sind oft grau, fehlen aber auch hier nicht. Daß die Beamten im Kulturministerium der DDR einer Kunst ohne äußeren Auftrag lange heftig mißtrauten, ist bekannt. Daß sie in einem Brief an Claus von „Zersetzung des humanistischen Gehalts der Kunst“ faselten, ist längst Geschichte. Aber wer es erlebt hat, weiß, daß dies auch an die Substanz gehen konnte.

Unverständnis und Mißkritik gibt es zu allen Zeiten. Wer Neues probiert, muß einfach damit rechnen. Um so mehr zählt die „Hilfe“ der Freunde, der Sammler, die Sicherheit geben, um „immer wieder über die kleinliche Gegenwart hinausschreiten“ zu können, wie Claus an Wigand schreibt. Manchmal fehlt bei Claus nicht nur das Geld, auch Papier ist knapp. Da wird die Antwort auf den freien Rand im Brief des Freundes geschrieben. So entstehen wunderbare Unikate. Auch köstlicher Spaß. Wenn Wigand ganz lapidar an Claus schreibt: „Muß ein wenig lächeln - der Junge tauscht mit dem Alten Gedichte aus. Ist’s nicht herrlich?“ Erfahrungen und Befürchtungen, „unerhörtes Erschrecken und Glück“ (Claus) und immer die Frage, woran arbeitete der andere gerade. Das Erinnern an die gemeinsamen Erlebnisse, das sind starke Passagen in diesem Briefwechsel. Aber auch die plötzlichen Alltagspflichten, die auf Claus zukommen, und wie er mit ihnen fertig wird.

Alle Sinne sind in Bewegung, sehen Bilder und fragen: „Oder flogen die Hölzer wie Libellen an, stehen sie nicht, schwirrend, still? Bebend. Bebt die Fläche nicht unter ihrem unsichtbaren transparenten Flügelschlag?“ (Claus)


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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