Eine Rezension von Rudolf Kirchner


Alte Hüte

Wolfgang Schäuble: Und sie bewegt sich doch

Siedler Verlag, Berlin 1998, 253 S.

 

Als der CDU-Politiker Wolfgang Schäuble dieses Buch schrieb, war Helmut Kohl noch Bundeskanzler und Parteivorsitzender der CDU, die Sozialdemokraten und Grünen befanden sich noch in der Opposition, und Schäuble selbst führte die große CDU-Fraktion im Deutschen Bundestag an.

Wenn man das Buch heute zur Hand nimmt, besteht der wohl interessanteste Aspekt darin zu prüfen, was von dem Gechriebenen denn noch unter den neuen Bedingungen Bestand hat. Denn nun ist Wolfgang Schäuble Parteivorsitzender der CDU und führt seine Partei aus der Opposition im Deutschen Bundestag gegen die Regierungskoalition von SPD und Grünen. Der Autor will in seinem Buch nicht parteipolitische Auseinandersetzung betreiben, sondern Antworten geben und Richtungen weisen, wie sie für das neue Jahrhundert von Bedeutung sind. Dabei spricht er davon, daß wir seit dem „Epochenwechsel von 1989“ in einem „post-totalitären Zeitalter“ leben (vgl. S. 57).

In sechs Kapiteln bewegt sich die Fragestellung von einer Positionsbestimmung („Und sie bewegt sich doch - Die Überwindung des Status quo“) bis hin zu Strategievorschlägen für das zukünftige Europa. Der Autor meint, daß die bundesdeutsche Bevölkerung durchaus „aufbruchbereit“ für neue Zeiten sei. Allerdings spricht er in anderem Zusammenhang auch von Symptomen einer tief empfundenen Orientierungskrise. Und er eröffnet bereits frühzeitig seine Attacken gegen den Wohlfahrtsstaat, dem er vorwirft, den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft beträchtlich abgebaut zu haben.

Bei seinen Vorschlägen für eine Neugestaltung der Politik kommt er immer wieder auf eine Rückbesinnung auf Unverzichtbares zu sprechen, wobei der Hinweis auf ein notwendiges Wertegerüst im Mittelpunkt steht. Als Kernforderung formuliert er: „Wir brauchen Reformen, die den Prinzipien der Subsidiarität und der Eigenverantwortung folgen, Reformen, die Rahmen setzen, innerhalb derer sich Freiheit neu entfalten kann.“ In dieser Allgemeinheit werden viele der Überlegungen und Vorschläge von Schäuble vorgetragen, so daß man nicht selten den Eindruck von viel Wortgeklingel gewinnt. So erklärt er zum Beispiel, daß er Arbeit und Beschäftigung für alle durchaus für erreichbar halte (vgl. S. 126), um wenige Seiten später aufzulösen, daß er darunter „eine akzeptable Beschäftigungschance“ versteht, die auch Teilzeit oder gemeinnützige Tätigkeit bedeuten könne (vgl. S. 153).

Breiten Raum nehmen die Vorstellungen zu Europa ein. Sie reichen von einer Zustimmung zum Euro über Fragen der Sicherheit und der Osterweiterung der Europäischen Union bis hin zur Empfehlung, die Subsidiarität zur Richtschnur europäischen Handelns zu machen.

Im Buch wird eingangs kritisch zur Fähigkeit und zum Niveau der politischen Diskussion von Grundfragen Stellung bezogen und eine bessere Debattierkultur in Deutschland gefordert. Dem kann man nur zustimmen. Allerdings liefert der Autor auf diesem Gebiet auch nichts Vorbildliches, denn immer, wenn es um die Sozialdemokraten bzw. die (damalige) Opposition geht, analysiert er nicht deren Argumente, sondern schmettert sie einfach ab, zum Beispiel als „besondere Schurkenstücke politischer Rattenfängerei“ (vgl. S. 158). Auch daß Schäuble auf die üblichen Seitenhiebe auf die Intellektuellen nicht verzichten kann (vgl. S. 27, 244 f.), ist schon verwunderlich und bei dem Vordenker der CDU eigentlich ein wenig befremdlich.

So legt man das Buch unbefriedigt aus der Hand. Die aufgeworfenen Probleme sind alle nicht neu, die angebotenen Lösungen auch nicht und noch dazu sehr allgemein. Hält man frühere Veröffentlichungen und auch parlamentarische u. a. Auftritte des Autors dagegen, kommt man zu dem Schluß: Wolfgang Schäuble kann es eigentlich besser ...


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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