Eine Rezension von Fritz Langner


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Eine bedeutende Umwälzung in unserem Wirtschaftsleben

 

Thilo Sarrazin: Der Euro
Chance oder Abenteuer?

Verlag J. H. W. Dietz Nachfolger, Bonn 1998, 319 S.

 

Seit dem 1. Januar 1999 ist die Europäische Währungsunion in Kraft. Es war die Geburtsstunde der neuen einheitlichen Währung, des Euro. Der bargeldlose Zahlungsverkehr kann bereits jetzt in Euro abgewickelt werden, d. h. die Teilnehmer am bargeldlosen Zahlungsverkehr können selbst entscheiden, ob sie, wie bisher, in der nationalen Währung zahlen oder bereits in EURO. Ab 1. Januar 2002 werden die Banknoten und Münzen des EURO in Umlauf gebracht, so daß auch die Barzahlungen in Euro möglich werden, zunächst für eine Übergangszeit bis spätestens zum 30. Juni 2002 gemeinsam mit der nationalen Währung (in Deutschlandd wird dieser Zeitraum bis zum 28. Februar begrenzt). Danach wird der Euro alleiniges gesetzliches Zahlungsmittel, und die nationalen Währungen verlieren ihre Gültigkeit. Diesen historischen Schritt in der Wirtschaft Europas vollzogen bisher 11 der 15 Mitgliedsländer der Europäischen Union. Griechenland hat die ökonomischen Voraussetzungen noch nicht erbracht, Großbritannien, Dänemark und Schweden haben die Entscheidung zur Teilnahme an der Währungsunion noch nicht getroffen. Diese Staaten werden voraussichtlich in den nächsten Jahren beitreten. Mit dem 1. Januar 1999 wurden die amtlichen Umrechnungskurse von Euro und nationalen Währungen der Teilnehmerstaaten unwiderruflich festgesetzt. Danach entspricht 1 Euro einem Betrag von exakt 1,95583 DM oder von 6,55957 Französischen Franc bzw. von 13,76003 Österreichischen Schillingen.

In der jüngsten Zeit gelangten zahlreiche Publikationen zum Euro auf den Markt. Thilo Sarrazin hebt sich mit seinem Buch Der Euro von vielen bisherigen Veröffentlichungen dahingehend ab, daß er nicht das bereits vielbeschriebene Szenario zur Einführung des Euro in den Mittelpunkt stellt, sondern die ökonomischen Streitfragen, die die einzelnen EU-Länder z. B. in bezug auf die Währungsstabilität, die Wachstums- und Beschäftigungsentwicklung berühren. Es ist ein Vorzug dieses Buches, daß er die Sicht und Denkweisen mehrerer Mitgliedsländer vorstellt und untersucht.

Die in 12 Abschnitte gegliederte Arbeit kann man in drei inhaltliche Komplexe fassen. Im ersten Komplex gibt der Autor eine kurze Darstellung der geld- und währungspolitischen Grundlagen, angefangen mit der Geschichte des Geldes und den Geldfunktionen. Da Sarrazin mit dem vorliegenden Buch „dem interessierten, aber nicht notwendigerweise einschlägig vorgebildeten Leser die Möglichkeit geben (will), sich eine eigene Meinung über die Europäische Währungsunion zu bilden“, halte ich diese theoretische Einführung schon für notwendig. Denn hier werden auch immer wieder diskutierte Fragen wie die Bindung des Geldes an das Gold (Goldstandard) bzw. seine Lösung von ihm, der Wechselkurs, sein Einfluß auf die Kosten, die Preise, den Außenhandel angesprochen und erläutert.

Der zweite Komplex behandelt die Geschichte der europäischen Integration und die ökonomischen Voraussetzungen für die Teilnahme an der Europäischen Währungsunion. Hier wird als Einstieg die Frage nach der Motivation, nach dem Trieb zur Europäischen Währungsunion gestellt. Der Autor beleuchtet dieses Problem aus deutscher und französischer Sicht. Dabei wird die ganze Spannweite zwischen politischen und ökonomischen Beweggründen deutlich. Sehr informativ ist für den Leser die Darstellung der Aufgaben und Zuständigkeiten der Europäischen Zentralbank und des Europäischen Zentralbanksystems. Dies ist deshalb von großer Bedeutung, weil in der Hand des Europäischen Zentralbankrates alle grundsätzlichen Entscheidungen der Geldpolitik der Gemeinschaft liegen. So hat allein die Europäische Zentralbank das Recht, die Ausgabe von Banknoten und Münzen zu genehmigen. Das heißt, sie regelt die umlaufende Geldmenge der Gemeinschaft und beeinflußt damit wesentlich die Preisstabilität in allen Teilnehmerländern an der Europäischen Währungsunion. Gerade in bezug auf die Beherrschung dieser höchst wichtigen Frage äußern Politiker und Wirtschaftsexperten der Länder nicht geringe Zweifel. In diesem Komplex greift der Autor auch in die Diskussion über die Konvergenzkriterien ein. Sein Herangehen unterscheidet sich von dem vieler anderer Autoren. Es geht ihm nicht um eine einfache Beschreibung dieser Kriterien, sondern vielmehr um die Betrachtung der ökonomischen Zusammenhänge zwischen ihnen. Durch umfangreiches Datenmaterial untersetzt er seine Analyse. Dabei würdigt er die riesigen Anstrengungen der Länder an der Erfüllung der Konvergenzkriterien, was ihnen (bis auf Griechenland) auch gelang. Das wird besonders an der Inflationsrate deutlich. Sie betrug für die EU-Länder (15) für den Zeitraum 1971-1980 im Durchschnitt 10,6 %, für 1981-1990 6,5 %, für 1997 2,2 % und für den Zeitraum Februar 1997-Januar 1998, der für den Beitritt in die Europäische Währungsunion entscheidend war, 1,6 %. Wie hier am Beispiel der Preisstabilität verbindet der Autor auch die Behandlung der anderen Konvergenzkriterien, nämlich die Staatsverschuldung, die Zinssätze für langfristige Kredite und die Währungsstabilität mit interessanten ökonomischen Argumenten.

Abschließend zum zweiten Komplex äußert sich der Autor zum künftigen Platz des Euro im Weltwährungssystem. Er verweist hier auf folgenden wesentlichen Aspekt. Auf Grund des nunmehr größeren Euro-Blockes werden die Wechselkursschwankungen zwischen dem Euro und den beiden anderen in der Weltwirtschaft dominierenden Währungen Dollar und Yen wahrscheinlich geringer ausfallen als z. B. im Falle der D-Mark. Das hat vor allem für die Unternehmen große Bedeutung, die mit dem Außenhandel im Raum außerhalb der EU stark verflochten sind (höhere Sicherheit in der Planung und Kalkulation).

Der dritte Komplex umfaßt Probleme der ökonomischen und sozialen Wirkungen und der Finanzpolitik in der EU. Zunächst wird die Frage nach der gegenseitigen Bedingtheit von Währungsunion und politischer Union gestellt. Sarrazin zitiert hierzu verschiedene Autoritäten aus Politik und Wirtschaft, wie den bisherigen Bundesbankpräsidenten Tietmeyer, und beleuchtet die divergierenden Auffassungen. Es ist dem Autor zuzustimmen, wenn er den Argumenten folgt, die eine dauerhafte Funktionsweise der Währungsunion ohne eine politische Union für nicht möglich halten, da die Senkung der Arbeitslosigkeit, die Steuerung der Lohnpolitik, rechtliche Verfahrensweisen ohne ein Zusammenwirken von politischer und Währungsunion nicht verwirklicht werden können.

Von generellem Interesse ist natürlich die Frage nach dem Einfluß der Währungsunion auf das Wachstum und die Beschäftigung, eine der brennendsten Fragen der Gegenwart. Impulse für das Wirtschaftswachstum ergeben sich nach Auffassung des Autors aus der Transparenz von Lohn- und Kostenunterschieden zwischen den Ländern bei einheitlicher Währung und sich daraus verschärfender Konkurrenz im gesamten Gebiet der Europäischen Währungsunion. Die andere Seite ist aber, daß die verschärfte Konkurrenz auch zu einem Arbeitsplatzabbau führen und die Zahl der Insolvenzen zunehmen kann. Es stehen sich also aus der Sicht der Wirkung der Europäischen Währungsunion zwei gegenläufige Tendenzen gegenüber, welche dominierend sein wird, ist heute schwer einschätzbar.

Sarrazin spricht sich grundsätzlich für eine Verbindung der Europäischen Währungsunion mit einer Sozialunion aus. Er verneint aber die Frage eindeutig, „wenn sie darauf abzielt, die Arbeitsbedingungen und das Niveau der verschiedenen Sozialleistungen ohne Rücksicht auf Unterschiede bei Beschäftigung, Produktivität, Staatsfinanzen und Abgabenbelastung einander anzugleichen und die Gemeinschaft gegen Konkurrenz von außen abzuschirmen“.

Die Fülle der angesprochenen und gewerteten Probleme rund um den Euro macht das vorliegende Buch zu einer wichtigen Lektüre, um das Verständnis für eine der bedeutendsten Umwälzungen in unserem Wirtschaftsleben zu schärfen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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