Eine Rezension von Bertram Winde


cover  

Bewußtsein und Quantenphysik

 

Roger Penrose: Das Große, das Kleine und der menschliche Geist
Aus dem Englischen von Renate Dohmen.

Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1998, 232 S.

 

Das Buch will Vorschläge zur Lösung eines uralten Problems, der Beziehung zwischen Bewußtsein und Materie, aus der Sicht der heute allgemein akzeptierten physikalischen Theorien unterbreiten. Um in Neuland vorzustoßen, müssen jedoch Annahmen gemacht werden, die zwangsläufig wegen unterschiedlicher philosophischer Positionen zu Kontroversen führen. Sie werden im Buch - und das ist das Anregende an ihm - konsequent und sachlich ausgetragen.

Diskussionen über sich aus der Elementarteilchen- und Astrophysik ergebende weltanschauliche Probleme finden offenbar gegenwärtig vor allem auch bei jungen Menschen wachsendes Interesse. Es ist daher nicht verwunderlich, daß Penroses Buch im englischen Sprachraum in kurzer Zeit zu einem Bestseller geworden ist und daß man das sicherlich auch für die gelungene deutsche Übersetzung erwarten kann. Mir scheint, mit vollem Recht!

Über neue Ideen, die nicht in unserem engeren Fachgebiet auftauchen, wird häufig mehr oder minder korrekt von Wissenschaftsjournalisten informiert. Erfreulicherweise wird aber die große Tradition von Faraday, Alexander von Humboldt, Helmholtz, Einstein, Eddington und Gamow, um nur einige der ganz Großen zu nennen, heute von auf ihrem Gebiet maßgebenden Wissenschaftlern fortgesetzt. Sie versuchen ihre meist sehr subtilen Überlegungen möglichst vielen Lesern mitzuteilen. Man denke nur an Hawkings Eine kurze Geschichte der Zeit. Roger Penrose, Mathematikprofessor an der Universität Oxford und Mitglied der Royal Society, der durch seine Arbeiten weltweit ausgewiesen ist, hat seine Ideen und Forschungsabsichten wiederholt einem großen Publikum vorgestellt.

Das neue Buch basiert auf zwei älteren Veröffentlichungen von ihm: Computerdenken (1989) und Schatten des Geistes (1994), die heftige Diskussionen hervorriefen. Jetzt hat er den wesentlichen Inhalt beider zusammengefaßt. Die ersten beiden Kapitel „Raumzeit und Kosmo logie“, „Die Geheimnisse der Quantenphysik“) behandeln die physikalische Welt und die mathematischen Regeln, die benutzt werden, um sie zu beschreiben. Mit eindrucksvollen Beispielen und originellen Bildern erfährt man, wie bemerkenswert genau diese Regeln sind und wie sonderbar sie uns manchmal vorkommen. Im dritten Kapitel („Physik und Geist“) wird über die geistige Welt gesprochen, insbesondere darüber, in welcher Beziehung sie zur physikalischen Welt stehen könnte. Penrose entwickelt eine kühne Vision, wie das Leib-Seele-Problem auf quantenphysikalischer Basis lösbar sein könnte, obwohl er natürlich zur Zeit noch keinen gangbaren Weg angeben kann.

Karl Popper hat vor Jahren neben der Welt der Physik und der des Geistes eine dritte Welt eingeführt, die er die Welt der Kultur nannte. Er betrachtete diese Welt als Resultat des Denkens und gelangte so zu einer Hierarchie von Welten. In diesem Bild ist die geistige Welt in gewisser Weise mit der physikalischen Welt verbunden (oder geht durch Emergenz aus ihr hervor?), und die Kultur ergibt sich auf die eine oder andere Weise aus dem Denken.

Penrose sieht die Dinge ein wenig anders. Statt die Kultur als aus unserem Denken hervorgehend zu erachten, wie es Popper tat, glaubt er vielmehr, daß die Welten auf noch zu erforschende Weise wechselseitig miteinander verbunden sind. Darüber hinaus ist seine „Welt 3“ nicht die Welt der Kultur, sondern die platonische Welt des Absoluten - insbesondere der absoluten mathematischen Wahrheit.

Große Teile des 3. Kapitels betreffen die Beziehung zwischen diesen verschiedenen Welten. Die Idee, daß unser Denken aus etwas Physikalischem hervorgeht, birgt nach Penroses Meinung ein grundlegendes Problem und ist etwas, worüber sich Philosophen aus gutem Grund erregen. Die Gegenstände, über die wir in der Physik reden, sind Materie, physikalische Dinge, massive Objekte, Teilchen, Raum, Zeit, Energie und so fort. Wie könnten unsere Gefühle, die Wahrnehmung der Farbe Rot oder das Empfinden von Glück etwas mit Physik zu tun haben? Er betrachte das als ein Geheimnis. Beispielsweise sind die Beziehungen von Mathematik und Physik Geheimnis 1. Nicht erst Einstein hat sich ja darüber gewundert, daß die Mathematik, ein Produkt menschlichen Denkens, so außerordentlich genau die außerhalb unseres Denkens und unabhängig von ihm existierende materielle Welt zu beschreiben erlaubt.

Kann man denn das Bewußtsein überhaupt im Sinne von wissenschaftlichen Erklärungen erörtern? Penrose ist der Meinung, daß dies sehr wohl angebracht ist. Insbesondere nimmt er die Verbindung zwischen physikalischer und geistiger Welt sehr ernst. Mit anderen Worten seien wir dazu aufgefordert, die geistige Welt mit Begriffen der physikalischen Welt zu erfassen.

In weiteren werden einige Charakteristika der physikalischen und der geistigen Welt zusammengefaßt. Auf der einen Seite stehen Aspekte der physikalischen Welt - die so verstanden wird, daß sie von exakten mathematischen und physikalischen Gesetzen regiert wird, wie in den ersten beiden Kapiteln diskutiert. „Auf der anderen Seite steht das Bewußtsein, das zur geistigen Welt gehört; auch Begriffe wie ,Seele‘, ,Geist‘, ,Religion‘ und dergleichen werden im allgemeinen dort eingeordnet. Heutzutage schätzt man es, alles mögliche wissenschaftlich zu erklären. Überdies setzt sich immer mehr die Meinung durch, daß im Prinzip jede wissenschaftliche Beschreibung auf den Computer gebracht werden kann; mit anderen Worten, hat man erst einmal eine mathematische Beschreibung von etwas, sollte es im Prinzip möglich sein, einen Computer damit zu betrauen.“ Gegen diese Meinung erhebt Penrose im Verlaufe des 3. Kapitels heftigste Einwände - ungeachtet der grundsätzlich physikalischen Ausrichtung seiner Gedankengänge.

Er gibt als Eigenschaften der physikalischen Gesetze an, daß sie berechenbar sind und Vorhersagen erlauben - diese Eigenschaften haben etwas mit der Frage zu tun, ob sich unsere physikalischen Gesetze durch Determinismus auszeichnen und ob wir einen Computer benutzen können, um die Wirkung dieser Gesetze zu simulieren.

Was die geistige Welt betrifft, gibt es auf der einen Seite die Auffassung, daß geistige Dinge wie beispielsweise Emotionen, Ästhetik, Kreativität, Inspiration und Kunst wohl kaum aus einer Art berechenbarer Beschreibung hervorgehen können. Das andere Extrem besteht darin zu sagen: „Das Gehirn ist auch nur ein Computer. Wir sind nur noch nicht in der Lage, es vollständig zu simulieren.“ Penrose schlägt nun vor, quantentheoretische Vorstellungen in die Gehirnforschung einzubeziehen, und erhofft sich dadurch wesentliche Fortschritte. „Es ist wichtig, Rätsel und Geheimnisse zu erkennen, wenn sie sich zeigen. Aber nur weil etwas Rätselhaftes vor sich geht, bedeutet das nicht, daß wir nie in der Lage sein werden, es zu verstehen.“

Die von der Physik gesuchte Theorie für alles, die Weltformel, sollte nach Penroses Meinung schließlich auch einmal das Bewußtsein - Penrose hält den Begriff Verstehen für präziser - einschließen. Das findet natürlich den Widerspruch der drei Kontrahenten mit recht unterschiedlichen Gegenargumenten. Ihre Einwände werden im vierten bis sechsten Kapitel entwickelt.

Da ist einmal der Philosoph Abner Shimony, der vor allem bewundert, wie Penrose der Hilbertschen Maxime folgt: „Wir müssen wissen, wir werden wissen.“ Er geht mit Penrose in drei Grundthesen konform:

- Das Wesen des Geistes kann mit wissenschaftlichen Methoden behandelt werden

- Die Konzepte der Quantenmechanik sind dafür von Bedeutung

- Der Quantenformalismus muß modifiziert werden, um das ernste Problem der Verwirklichung von Möglichkeiten aus der Welt zu schaffen.

Shimony zweifelt jedoch viele Details der Überlegungen von Penrose an. Ausführlich legt er seine Auffassung über das Wesen des Geistes dar.

Die Philosophin Nancy Cartwright wirft die Frage auf, warum das Problem gerade vom physikalischen Standpunkt lösbar sein sollte. Sie zöge eher einen Zugang von der Biologie in Erwägung, deren Gesetze sich ebenso wie die der Chemie letztlich als nicht auf Physik zurückführbar erweisen würden. Demgegenüber vertritt der Physiker Steffen Hawking, der durch seine glänzende Darstellung moderner kosmogonischer Probleme in „eine kurze Geschichte der Zeit, die Suche nach der Urkraft des Universums“ (1988) auch bei uns bekannt wurde und übrigens verschiedene Arbeiten gemeinsam mit seinem Studienfreund Penrose veröffentlichte, einen schamlos reduktionistischen Standpunkt. Er hält aber Penroses Vorschläge für falsch, weil „Bewußtsein keine Eigenschaft (ist), die man von außen messen kann“.

Im siebenten Kapitel erwidert Penrose auf die recht unterschiedlichen Einwände. So liegt ein lebendiges, allerdings nicht immer leicht zu lesendes Buch vor, das jedem, der an kühnen Spekulationen Freude hat und oft recht abstrakte Überlegungen nicht scheut, eine vergnügliche und sehr anregende Lektüre verspricht.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite