Eine Rezension von Bernd Grabowski


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Eine an Körperverletzung grenzende Zumutung

 

Bodo Morshäuser: Liebeserklärung an eine häßliche Stadt.
Berliner Gefühle

Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Frankfurt/M. 1998, 155 S.

 

Ein Buch voller Widersprüche, Ungereimtheiten, Übertreibungen, Belanglosem und unfreiwilliger Komik. Das Widersprüchliche beginnt schon bei der Information, das Manuskript sei im Sommer 1998 geschrieben worden, aber die Tagespresse habe zwei der insgesamt 15 Beiträge bereits 1996 bzw. 1997 leicht gekürzt abgedruckt. Widersprüchlich wirkt zunächst auch der Titel: Liebeserklärung an eine häßliche Stadt. Doch dann besinnt man sich: Liebe setzt nicht zwingend Schönheit der Geliebten voraus. Außerdem sind „schön“ und „häßlich“ höchst subjektive Wertungen. Vielleicht möchte der Autor den Leser zum Widerspruch reizen. Berlin, so behauptet Bodo Morshäuser, sei „düster und trostlos, so kaputt und leer“. Doch die „meisten Ostbezirke sind umgekrempelt und modernisiert, einige Westbezirke sind bloß verschönert worden“. Wer es jetzt noch nicht verstanden hat, wird es gleich begreifen: „Das Stadtbild ist, wie es ist.“ Aha! Und dann will ein ganzes Kapitel dem Leser einreden, daß man über Berlin sagen könne, was man wolle, es stimme immer, irgendeine Behauptung sei so richtig wie ihr Gegenteil. Alles klar? Alles klar!

Der Autor, 1953 in Berlin geboren, seit Jahren in Charlottenburg als Publizist, Erzähler und Romancier lebend, gibt sich mit seinen Detailschilderungen den Anschein, als kenne er seine Heimatstadt sehr genau. Stutzig wird man jedoch, wenn er von den Bewohnern seines Charlottenburger „Hinterhinterhofes“ fünf näher vorstellt: den wohlhabenden Päderasten, dem man nichts beweisen kann, den 40jährigen Nachtmenschen, der sich bei den 20jährigen in bestimmten Clubs herumtreibt, den Mann mit dem Haschisch, den unauffälligen Jugoslawen, der die Familie seines Erzfeindes in Kroatien abschlachtet, sowie die Katze Serafina, die mit den Krähen im Streit liegt. Stellen sie etwa typische Charlottenburger, typische Berliner dar? Jedenfalls sind alle meine Nachbarn ganz anders als jene Hinter-hinterhöfler; lediglich die Katze bei mir nebenan ähnelt Serafina.

Morshäuser räumt ein, daß er die „widerrechtliche“ und „angebliche Hauptstadt der DDR“ nur gelegentlich als Tourist kennengelernt hat. Dennoch kommt er zu einem tiefgründigen Urteil über das damalige Leben dort. Westberlin, meint er, wäre zu Zeiten der Mauer zwar häßlich gewesen, „aber Ostberlin war häßlich und unerträglich, Ostberlin war ein mörderischer Witz, eine Posse, Anmaßung und Zumutung, und dies alles unter Lebensgefahr“. Gefährlich sei „Hitlers Schatten“ gewesen, der Ostberlin nicht weniger als Westberlin bedeckt habe. Und die Häßlichkeit Ostberlins hätte ihre Ursache in dem dort herrschenden „Schweinesystem“ gehabt. Solches System nämlich „strahlt einfach schweinisch nach innen und aus dem einzelnen dann ebenso heraus“. Der „Staatsterror“ habe nicht einmal partiell etwas Schönes in diesem Teil Berlins zugelassen. Denn „was auf dem Staatsterrorboden gedieh, war aus dem Staatsterror hervorgegangen und führte zum glücklicherweise nicht endlosen, sondern endlichen Staatsterror zurück“.

„Schweinesystem“ und „Staatsterror“ hätten solch Horrorszenarium verursacht, wie es der Autor bei Trips in die andere Stadthälfte erleben mußte. „Wenn ich früher von Bad Westberlin rüberging“, erinnert er sich mit Grauen, „wurde mir körperlich übel angesichts des dortigen Farbenspektrums von Dunkelgrün bis Hellbraun. Allein Ostberlin zu riechen, also in Ostberlin Karbol und Zweitaktergemisch atmen zu müssen, das war eine an Körperverletzung grenzende Zumutung! Ostberlin wurde zum widerwärtigsten Fleck Dritte Welt, den ich kannte.“ Wie schrecklich waren dann erst die Leiden der Einheimischen: „Die Körperhaltung dieser Stadtbewohner war einheitlich leicht nach vorn gebeugt, oft gebückt, der Kopf wurde hängen gelassen, als sei er längst abgegeben worden. Zu lachen war dekadent. Leere Straßen. Polizisten. Prunkvolle leere Alleen. Schlangestehen. Polizisten.“ Verständlich, daß Morshäuser verwundert und verwirrt ist, wenn ihm heute Ostberliner sagen, sie seien „ein frohes, so sinnliches wie genußfähiges, alle Nischen nutzendes Völkchen gewesen“. Und andere behaupten sogar, „man sei in Ostberlin in aller Ruhe seiner Arbeit nachgegangen, habe ein unbeschwertes Privatleben geführt, habe viele Kontakte gehabt und pflegen können, und nie habe es eine soziale Not gegeben“. Aber der Autor weiß es natürlich besser (siehe oben!).

Etwas an dem Buch ist durchaus lobenswert: die Entscheidung des Verlages, in den Text fünf Schwarzweißfotos einzustreuen, die Unda Hörner in Paris aufgenommen hat. Es handelt sich um Grafiken von Miss Tic, die, z. T. unscharf wiedergegeben, mit unübersetzten (nicht ganz fehlerfreien) französischen Sätzen versehen sind, keine Bildunterschriften aufweisen und einen erkennbaren Berlinbezug vermissen lassen - kurz: Sie stellen hinsichtlich ihrer Qualität und ihrer lieblosen Behandlung eine adäquate Ergänzung zu den Texten dar. Ahnt man diesen Zusammenhang, dann warnt schon ein kurzer Blick auf die Illustrationen vor dem langen Lesen dieses Buches.

Wer nicht über die ernsthaft vorgetragenen Sentenzen Morshäusers lachen kann, der mag sie als „eine an Körperverletzung grenzende Zumutung“ empfinden.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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