Eine Rezension von Eberhard Fromm


Im Urteil seiner Zeitgenossen

Moses Mendelssohn: Gesammelte Schriften
Band 23: Dokumente II. Die frühen Mendelssohn-Biographien

Friedrich Frommann Verlag/Günther Holzboog, Stuttgart/Bad Cannstatt 1998, 444 S.

 

Die Jubiläumsausgabe der Schriften des jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn (1728-1786) hat eine ganz eigene Geschichte. Zwar ist es nicht ungewöhnlich, daß sich die Herausgabe Gesammelter Werke eines Denkers, Dichters oder Wissenschaftlers über Jahrzehnte erstreckt. Zumeist liegt das am erforderlichen Zeitaufwand für die Recherchen, die Bearbeitung usw. Doch bei Mendelssohn spielt die deutsche Geschichte mit dem Holocaust die bestimmende Rolle, daß die 1929 begonnene Ausgabe erst 1972 fortgesetzt werden konnte. Zwischen 1929 und 1938 waren sieben Bände erschienen, wobei von dem 1938 erschienenen Band 14 fast die ganze Auflage vernichtet worden ist. Als Herausgeber waren Ismar Elbogen, Julius Guttmann und Eugen Mittwoch tätig. Seit 1972 betreute Alexander Altmann als Herausgeber die Werkausgabe. Nach seinem Tode 1987 übernahm Eva J. Engel diese Aufgabe.

Leben und Werk von Moses Mendelssohn sind untrennbar mit der Berliner Aufklärung verbunden. Und so unterschiedlich und widersprüchlich die Urteile über diese deutsche Spätaufklärung waren und sind, so wechselvoll die Meinungen sich von den Zeitgenossen über die deutsche Klassik und Romantik bis in die Gegenwart hin und her bewegten, so unterschiedlich und wechselvoll waren und sind auch die Positionen zum Schaffen Mendelssohns.

Es ist daher sehr verdienstvoll, wenn im Rahmen der Gesammelten Schriften die frühen Mendelssohn-Biographien publiziert werden, die zwischen 1759 und 1827 erschienen sind. Der interessierte Leser kann sich damit ein umfängliches Bild über die Wertung Mendelssohns durch seine Zeitgenossen machen, zumindest bei jenen, die sich etwas ausführlicher mit seiner Person und seinem Werk befaßt haben.

Aufgenommen wurden 44 Positionen, mit denen alle Autoren erfaßt worden sind, die sich in dem angegebenen Zeitraum explizit zu Mendelssohn geäußert haben. Allerdings werden nur 24 Texte vorgestellt, während bei den übrigen 20 Autoren - neben einer kurzen Information zur Person - der Titel der Arbeit und die jeweiligen Quellen angegeben sind. Da es sich hier um wörtliche Übernahmen handelt, werden dem Leser viele Doppelungen erspart. Ein kleiner Nebeneffekt dieser Arbeitsweise des Herausgebers besteht in der Erkenntnis, daß schon damals einer vom anderen abgeschrieben hat.

In der Einleitung geht der Bearbeiter des Bandes, Michael Albrecht, orientierend auf jeden einzelnen Beitrag ein. Dabei charakterisiert er das Anliegen deutlich als eine Dokumentation über das Bild, das sich Zeitgenossen und die unmittelbare Nachwelt von Mendelssohn gemacht hatten. Dagegen steht die sachliche Information über Leben und Werk nicht im Mittelpunkt; da wird auf die großen Arbeiten von Meyer Kayserling und vor allem von Alexander Altmann verwiesen. Damit kann auch auf eine umfängliche Erläuterung von Aussagen, auf Korrekturen u.ä. in einem aufgeblähten Apparat verzichtet werden. Allerdings hätte man sich zu einer Frage eine klare Aussage gewünscht, nämlich zum Geburtsdatum des Philosophen. Die hier veröffentlichten Autoren und auch Albrecht gehen vom 6. September 1729 aus, auch in einer Fußnote, in der knapp auf Ungenauigkeiten bei diesem Datum hingewiesen (vgl. S. 10) und auch ein Beitrag von Eva Engel-Holland genannt wird. Dort hatte die jetzige Herausgeberin der Gesammelten Werke bereits 1991 darauf hingewiesen, daß Moses Mendelssohn am 17. August 1728 geboren wurde. (Vgl. auch Berlinische Monatsschrift, Heft 1/1995, S. 32)

Der Band wird mit einem Brief von Friedrich Nicolai aus dem Jahre 1759 und einem Brief von Moses Medelssohn aus dem Jahre 1774 eröffnet. Nach den Nachrufen und Ehrungen aus dem Todesjahr 1786 von Friedrich Nicolai, Johann Erich Biester und Simon Höchheimer folgt ein Text von Karl Philipp Moritz, von dem Michael Albrecht sagt: „Das Mendelssohn-Bild, das der große Psychologe Moritz zeichnet, gehört zweifellos zum Besten, was die frühen Biographien uns noch heute über Mendelssohn sagen können.“ (S. XIII) Ähnlich hoch einzuschätzen ist auch die Arbeit Ueber Moses Mendelssohn des Comte de Mirabeau aus dem Jahre 1787. Hier wird insbesondere die Toleranz des Berliner Weisen gewürdigt: „Die Toleranz, welche er vertheidigt hatte, herrschte in seinem Herzen, wie in seinen Werken; in seinen philosophischen Meinungen, wie in seinen religiösen Gesinnungen; und die philosophische Toleranz ist vielleicht mit eine der seltensten.“ (S. 92)

Kernstück des Bandes ist aber wohl die Mendelssohn-Biographie von Isaak Abraham Euchel aus dem Jahre 1788, die erstmals aus dem Hebräischen übersetzt wurde und die immerhin über 150 Seiten umfaßt. Der Übersetzer Reuven Michael hat dem Text eine ausführliche Information über das Leben und Wirken dieses hebräischen Aufklärers angefügt.

Von den frühen Wandlungen in den Wertungen Mendelssohns zeugen eine Reihe von Texten seit den neunziger Jahren. Bei Salomon Maimon (1793) wird Mendelssohn als großer Philosoph gewürdigt, der zwar keine neuen Systeme erfunden, aber vor allem das Wolff-Leibnizsche System verbessert habe (vg. S. 314). Im Brockhaus-Artikel von 1798 heißt es dann schon, daß Mendelssohn kein Originalphilosoph gewesen sei, sondern daß er der Wolffischen Philosophie und der Ästhetik Baumgartens gefolgt sei (vgl. S. 325). Diese Wertung fehlt in der 2. Auflage von 1815, wird später jedoch in abgewandelter Gestalt wieder aufgenommen.

Seine unmittelbaren Zeitgenossen wußten, was sie an Mendelssohn hatten, daß er „der Stolz und die Zierde“ Berlins war (so Biester, S. 20) und brachten das - wie Moritz, S. 41 auf die knappe Aussage, „daß er der Sokrates seines Zeitalters war“.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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