Eine Rezension von Karl-Heinz Arnold


Wichtiges zu einem dunklen Kapitel Berliner Geschichte

Simone Ladwig-Winters: Anwalt ohne Recht
Das Schicksal jüdischer Rechtsanwälte in Berlin nach 1933.
Herausgegeben von der Rechtsanwaltskammer Berlin.

be.bra Verlag, Berlin 1998, 239 S.

 

Dieses Buch hat ein ungewöhnliches Format: 22,5 x 24,5 cm. Es umfaßt einen beschreibenden Textteil und eine umfangreiche Dokumentation. Der Inhalt des sorgfältig hergestellten Bandes ist vollends ungewöhnlich. Dies aus mehreren Gründen. Der erste Grund: Erst rund sechs Jahrzehnte nach der Vertreibung der letzten jüdischen Rechtsanwälte aus Berlin durch die Nazis ist es gelungen, eine Übersicht fast aller nach 1933 antisemitisch verfolgten Anwälte vorzulegen. Der Vorstand der Anwaltskammer Tel Aviv hatte 1995 während eines Besuchs bei der Berliner Kammer - der Berufsvereinigung aller zugelassenen Anwälte der Sadt - angeregt, wenigstens eine Liste mit den Namen und einigen weiteren Hinweisen zusammenzustellen. Daraus ist ein Buch geworden.

Im Vorwort erläutert Bernhard Dombek, Präsident der Anwaltskammer Berlin, daß es tatsächlich erst des Anstoßes aus der Hauptstadt Israels bedurfte, eine nahezu vollständige Liste der verfolgten jüdischen Berufskollegen mit biographischen Daten und zum Teil darüber hinausgehenden Angaben in Aufrag zu geben. Er schreibt, der Vorstand der Berliner Kammer habe es als beschämend empfunden, daß eine solche Liste bis dato nicht existierte. Diejenigen, die sich vor Jahren mit der Frage beschäftigten, hätten die Auskunft gegeben, die benötigten Akten seien verbrannt, man könne nur einzelne Namen dokumentieren.

Nun, ganz so verhielt es sich nicht. Die Autorin Simone Ladwig-Winters, selbst studierte Juristin und promovierte Politologin, hat es nämlich geschafft, von 1785 jüdischen Anwälten des Jahres 1933 die Namen und für 1227 von ihnen Angaben zum weiteren Schicksal zu ermitteln, wenn auch vieles davon nur unvollständig sein konnte. Eine bedeutende Leistung. Es gab 1835 jüdische Anwälte in der Reichshauptstadt (3890 Anwälte waren es insgesamt). Die Liste der Verfolgten ist also nahezu vollständig, stellt Bernhard Dombeck fest. „Das läßt unsere Scham darüber, daß sie so spät erstellt wurde, geringer werden.“

Das Buch ist also aus einem zweiten Grund ungewöhnlich. Rund 150 Seiten enthalten die angeblich nicht beschaffbaren Namen und, soweit es darstellbar war, weitere Lebensdaten, meist kurz, die wenigsten mit einer ausführlichen Vita sowie Foto. Dieser Teil ist im Grunde eine Liste, in den Angaben zu den einzelnen Namen mehr oder (zumeist) weniger umfangreich. Zweifellos hat es einer enormen Arbeit bedurft, dies alles zu recherchieren und zu ordnen. Vieles mußte buchstäblich aus aller Welt gesammelt werden. Daraus erklärt sich die umfangreiche Danksagung. Doch weder der Fleiß noch die Akribie, mit denen die Aufgabe bewältigt wurde, sind ungewöhnlich, dergleichen gehört sich für eine seriöse wissenschaftliche Arbeit. Vielmehr sind es, so Bernhard Dombek treffend, „Betroffenheit und Trauer über das menschliche Leid, das aus dieser Dokumentation spricht“ - sie ist gleichsam eine gedruckte Stele, ein Mahnmal besonderer Art.

Beim Buchstaben G in der langen Liste lesen wir über Justizrat Simon Gruenbaum, einen der 1835 jüdischen Anwälte in Berlin, geboren 13.6.1864 in Riesenburg, gestorben 26.10.1942 in Theresienstadt: „An der Spandauer Brücke 9 Kanzlei mit Notariat vor Okt.1933 aufgeben (muß heißen aufgegeben, einer der wenigen Druckfehler, KHA); keine weiteren Angaben bis zur Vermögenserklärung vom 8.9.1942. Sammellager Große Hamburger Str. 26; Deportation mit dem 61. Alterstransport (10.9.1942) nach Theresienstadt, dort wenige Wochen später umgekommen.“ Das war die mörderische Wirklichkeit des Dritten Reichs, dargestellt in einigen Druckzeilen, mit wenigen Worten, die in ihrer lapidaren Diktion erschüttern und der Phantasie Raum geben.

So wird auch verständlich, wenn im Vorwort die Rede ist von der „Wut auf unsere Kollegen nicht-jüdischer Abstammung, von denen uns kein Wort des Protestes angesichts des Schicksals der jüdischen Kollegen überliefert ist“. Eine nachvollziehbare, aber wohl nicht jedermann bequeme Emotion. Bleibt in diesem Zusammenhang anzumerken, daß nach 1945 erst spät, im November 1988, eine Gedenkveranstaltung der Anwaltskammer in Westberlin zur Vertreibung der jüdischen Juristen stattfand. Dieses Auftragswerk nun ist ein sehr politisches und menschlich bewegendes Zeichen des Gedenkens in dem größtmöglichen personellen Rahmen, spät, aber auf diese Weise nicht zu spät.

Mit so manchem Namen begegnet uns Berliner Geschichte in Kurzform. Beispielsweise lesen wir über Justizrat Ludwig Chodziesner, geboren 28.8.1861 in Obersitzko, umgekommen 13.9.1943 in Theresienstadt: „C. wurde als Strafverteidiger bekannt, so in dem Prozeß gegen den Grafen Philip von zu Eulenburg, einem einflußreichen Politiker und Vertrauten des Kaisers (Wilhelm II., KHA); C. war auch an dem Sensationsprozeß gegen die gräfliche Familie Kwilecki beteiligt; später im Adlon-Prozeß und dem Scheidungsprozeß des Grafen von der Schulenburg.“

Es spricht für ein Stück Fairneß der Autorin und ihrer Auftraggeberin, daß unter dem Namen Chodziesner auch eine nicht-jüdische Berliner Juristin erwähnt wird, die mit dem jüdischen Arzt Georg Benjamin verheiratet war: 1942 „wurde C. aufgefordert, sich auf den Transport nach Theresienstadt vorzubereiten. Beim Packen half ihm die Ehefrau Georg Benjamins, Hilde, nach 1933 als Rechtsanwältin wegen kommunistischer Betätigung mit Berufsverbot belegt, spätere Justizministerin der DDR.“

Drittens schließlich ist der Textteil des Buches ungewöhnlich informativ und gut geschrieben. Er stellt die notwendige Ergänzung der biographischen Liste dar und hält hohen wissenschaftlichen Anforderungen stand. Dieser Teil, der Liste vorangestellt, umfaßt drei Abschnitte, die in sich untergliedert sind: Jurisprudenz in der Weimarer Republik; Die Ausgrenzung nach der Machtübergabe; Das weitere Schicksal der jüdischen Anwälte.

Die Autorin, Berlinerin des Jahrgangs 1955, die im be.bra Verlag bereits die Geschichte des Warenhauses Wertheim veröffentlicht hat, und die Anwaltskammer als Auftraggeberin leisten mit Anwalt ohne Recht einen bedeutenden Beitrag zu einem wichtigen, dunklen, mahnenden Kapitel der Berliner Geschichte.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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