Eine Rezension von Hans-Rainer John


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Ein gefälliges Familienbuch

 

Maeve Binchy: Ein Haus in Irland
Roman. Aus dem Englischen vom Kollektiv Druck-Reif.

Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München 1999, 672 S.

 

Es war einmal eine unbedarfte, leidlich ansehnliche Schreibkraft in einer Dubliner Immobilienagentur, die von kleinen Leuten abstammte und in einer Sozialsiedlung groß geworden war. Da trat eines Tages ein jungenhaft-schöner und charmanter neuer Mitarbeiter in die Firma ein. Unglaublicherweise interessierte er sich nicht für die viel schönere Rosemary, sondern für unser Aschenputtel. Beide wurden ein Paar, da war Ria 23 Jahre alt. Er, Danny, war tüchtig, lieb, hatte Erfolg, kam zu Geld. Sie kauften sich ein wunderschönes altes großes Haus. Ria mußte nun nicht mehr arbeiten gehen, dafür brachte sie zwei gesunde und muntere Kinder zur Welt. Alle waren glücklich und zufrieden.

An diesem Punkt ist die Erzählerin erst auf Seite 87 angekommen, mit der Erfolgsstory allein kann es also nicht sein Bewenden haben. Immerhin breitet sie noch über 150 Seiten lang das glückliche Leben in den folgenden anderthalb Jahrzehnten aus (Ria bäckt und bruzelt von morgens bis abends in ihrer großen Wohnküche, und die halbe Stadt geht dort ständig, gut bewirtet, aus und ein, nur ihr Mann ist öfters recht überarbeitet), bis endlich auf Seite 327 Danny mitteilt, daß er eine Geliebte hat, Bernadette, 22 Jahre alt, die einer Geburt entgegensieht, und daß er die Scheidung braucht, weil er sie heiraten will.

Natürlich fällt die völlig ahnungslose Ria aus allen Wolken und in tiefe Depressionen, aber nach weiteren fünfzig Seiten erreicht sie zufällig ein für den Immobilienhändler Danny bestimmter Anruf. Eine amerikanische Wissenschaftlerin wünscht für zwei Monate einen Haustausch. Ria, die Dublin erst einmal den Rücken kehren möchte, packt die Gelegenheit beim Schopfe und bietet ihr Haus, Dublin, Tara Road, an.

Damit beginnt eigentlich ein neues Buch, das nun in kurzatmigen Sequenzen zwischen Connecticut und Dublin hin und her hechtet und neben dem Leben Rias jetzt auch das von Marilyn verfolgt: zwei Frauen etwa gleichen Alters, aber sehr unterschiedlicher Lebensweise, von denen nun jede (wegen des anderen Hauses und der neuen Umwelt von Freunden, Verwandten und Bekannten) etwas von der Partnerin, der sie selbst nie begegnet ist, mitbekommt und - sich bereichernd und vervollkommnend - annimmt. Ria verblüfft in Amerika ihre Umwelt dank ihrer kommunikativen Natur (Marilyn lebte abgeschlossen und zurückgezogen), sie lernt mit dem Computer umzugehen und Geschäftssinn zu entfalten, das heißt, aus ihrem Koch- und Backtrieb Kapital zu schlagen, mit dem sie sich im Leben behaupten kann. Ihren Mann muß sie zwar verloren geben, aber ihr bleiben die Kinder und einige diskutable Bewerber um ihre Gunst. Marilyn lernt dagegen in Dublin mit der zudringlichen Freundes- und Verwandtenwelt Rias fertig zu werden, die ungewohnten Kontakte (mit den daraus resultierenden Belastungen) sogar zu genießen und mit Rias Kindern umzugehen. Dabei lösen sich auch die Probleme, die sie aus Amerika und von der Seite ihres Mannes weggetrieben haben: Schuldgefühle, die aus dem tödlichen Motorradunfall ihres Sohnes resultierten, werden sozusagen aufgelöst. Marilyn öffnet sich dem Leben wieder und kehrt zu ihrem Mann zurück.

Die in Dublin geborene, inzwischen wohl gut 60 Jahre alte Maeve Binchy - sie war Lehrerin, ehe sie als Kolumnistin zur „Irish Times“ ging - wurde besonders mit Der grüne See und Die irische Signora zur Bestseller-Autorin, man apostrophiert sie auch als die irische Rosamunde Pilcher. Was sie hier vorlegt, ist ein gutgeschriebenes, warmherziges Familienbuch, das in seiner Gefälligkeit seinen Weg zum Leser machen wird: Es unterhält auf angenehme Weise, ohne aufzuregen, im zweiten Teil besser als im ersten. Larmoyanz und Sentimentalität halten sich in Grenzen, mit zahlreichen Details wird viel vom irischen Alltag und Volkscharakter widergespiegelt (das amerikanische Leben dagegen hat die Autorin wohl nur aus der Ferne kennengelernt, da bleibt sie allgemein). Sie engagiert sich für Frauen wie Ria und Marilyn (die sich nur leider allzuschnell zum Verwechseln ähnlich werden). Männer, die fremdgehen oder übermäßig trinken, und Frauen, die sich mit verheirateten Männern einlassen, verfolgt sie mit ihrer Antipathie. Sie verwehrt ihnen einfach jene Gerechtigkeit, die sie als Autorin allen von ihr geschaffenen Figuren wohl gleichermaßen zuteil werden lassen müßte.

Bernadette oder Polly werden einfach nicht plastisch, Rosemary wird nur abgewertet, und was Danny veranlaßt haben mag, nicht nur mit Bernadette, sondern auch mit Rosemary und einigen anderen Damen anzubändeln, kommt nicht zur Sprache. Schon Annie, die 15jährige Tochter Rias, muß ihre jugendlichen Verehrer ausdrücklich auf Distanz verpflichten - das alles macht das Buch so bieder, so betont moralisch. Die Kinder klingen übrigens ziemlich altklug, wenig jugendgemäß - die älteren Figuren gelingen der Autorin überhaupt durchgehend besser und glaubhafter als die jüngeren, ein Problem offenbar von Schriftstellern dieses Alters.

Störend ist auch die Penetranz der Wiederholung dessen, worauf es der Autorin ankommt (dem Leser wird, was wichtig ist, sozusagen eingehämmert). Eine Schwäche ist auch die geringe Sorgfalt, Ereignisse zu motivieren, eine gewisse Unbedenklichkeit also beim Fabulieren. Da fliegt Danny rasch mal von Dublin zu Ria nach Connecticut und Greg von Hawai nach Dublin zu Marilyn, ohne daß es einen zwingenden Grund gibt - kehren doch beide Damen ohnehin binnen zehn Tagen zu ihren Männern zurück. Oder: Der gerissene Immobilienhändler McCarthy droht, an seinen Spekulationen zugrunde zu gehen, die Insolvenz ist bereits aktenkundig, da zieht seine von ihm bisher stets vernachlässigte und zurückgesetzte Ehefrau Mona überraschend den rettenden Geldsegen aus ihrer Reservetasche- unerfindlich, wie sie ein solches Vermögen ohne sein Wissen hat auf die Seite bringen können. Oder: daß Danny seinen Job, Ria ihr irisches Haus verliert, wird zwar als bedauerlich empfunden, stürzt aber niemanden in existentielle Nöte, denn Ria wird mit ihren Koch- und Backkünsten Geld verdienen (als ob es so einfach wäre, sich damit heutzutage über Wasser zu halten).

Wie ist das zu erklären? Ich denke, Maeve Binchy hält um den Preis des Realismus ihren Glauben an eine heile Welt aufrecht, die nur ein wenig unserer Aufmerksamkeit und Zuwendung bedarf, damit alles wieder in Ordnung kommt. Möglich wird das auch vermöge einer Glasglocke, unter der ihre Geschichte abläuft: Die Figuren beschäftigen sich nämlich alle nur mit sich selbst und miteinander. Was es sonst noch in der Welt - außerhalb ihres engen Zirkels - zum gleichen Zeitpunkt gibt an Glück und Elend, ist ihnen keinen Gedanken wert.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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