Eine Rezension von Gerhard Keiderling


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Neues vom Berliner Blockadealltag 1948/49

 

Volker Koop: Tagebuch der Berliner Blockade
Von Schwarzmarkt und Rollkommandos, Bergbau und Bienenzucht.

Bouvier Verlag, Bonn 1998, 241 S.

 

Zum 50. Jahrestag von Blockade und Luftbrücke sind zahlreiche Publikationen erschienen. Der Autor dieses Bandes hat im selben Verlag schon eine umfangreiche Arbeit unter dem Titel Kein Kampf um Berlin? vorgelegt (Berliner LeseZeichen 11/12 1998). Sein neues Buch kann daher in gutem Sinne als ein Nebenprodukt angesehen werden. In Form eines Kalendariums wird beschrieben, was an den 322 Blockadetagen zwischen dem 24. Juni 1948 und dem 12. Mai 1949 geschah. Das Schwergewicht liegt natürlich auf den blockierten Westsektoren (Westberlin), aber auch der sowjetisch besetzte Ostsektor (Ostberlin) findet Betrachtung. Der Autor rechnet letzteres sich als Verdienst an, weil „die Situation der Menschen im Ostteil der Stadt [...] in früheren Veröffentlichungen keine Rolle spielte“. Er hätte korrekterweise hinzufügen müssen: in den westlichen Blockade-Sagas. 30 faksimilierte Dokumente sowie zahlreiche Fotos verleihen dem Text eine Authentizität. Aus der Fülle der Ereignisse trifft Koop eine Auswahl, die seinem Anliegen, „das Leben in der Stadt halbwegs nachzuzeichnen“, entspricht.

Die Mischung von Wichtigem und Nebensächlichem, von großer Politik und Alltag bestimmt den Reiz eines solchen „Tagebuches“. Leider werden eine Reihe von Kardinalereignissen nur gestreift oder gar nicht gewürdigt. Das betrifft vor allem die Währungsreformen, die bekanntlich nicht nur Auslöser der Blockade waren. Dem Leser fehlt dadurch ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis des Krisengeschehens. Schon die erste Notiz zum 24. Juni 1948 erwähnt mit keinem Wort, daß an diesem Tag eine Währungsspaltung stattfand. Die 1946 frei gewählte Stadtverordnetenversammlung hatte am Vortag der von den jeweiligen Besatzungsmächten dekretierten Einführung einer DM-Ost und einer DM-West zugestimmt. Die Moskauer Währungsdirektive vom 30. August 1948 wird falsch zitiert; die anschließenden Vierer-Verhandlungen in Berlin bleiben unerwähnt, und die volle Westmarkwährung seit 20. März 1949 wird als „endliche Aufbruchstimmung“ gelobt, obwohl sie Zehntausenden Westberlinern noch lange Nachteile brachte. Der Notenwechsel der Großmächte, die Prüfung einer Luftbrücke durch die US-Regierung, die Anrufung der UNO, die Sorge um die Erhaltung des Friedens, die Bemühungen um eine Eingliederung ganz Berlins in die Weststaatsgründung und anderes mehr bestimmten damals die Schlagzeilen der Berliner Presse. Hat es die Westberliner wirklich nicht interessiert? Haben sie sich nur um Schwarzmarkt, um spektakuläre Bohrungen nach Braunkohle in Reinickendorf und um Bienenzucht gekümmert? Offenbar war der Blockadealltag idyllischer, als man es bisher las.

Schon in seiner Darstellung Kein Kampf um Berlin? kam Koop zu bemerkenswerten Feststellungen, die sich vom tradierten Blockadebild abheben. Im „Tagebuch“ erfährt der Leser manches, was sogar in der Mehrzahl der Jubiläumsschriften fehlt. Nicht Berlin insgesamt, sondern nur seinen westlichen Teil hatte die Sowjetunion blockiert; um mit Koop zu sprechen: Berlin war „teil-blockiert“. „Die Politik der Sowjetunion gegenüber West-Berlin ist zwiespältig“, stellt er fest. „Einerseits hat sie massive Blockademaßnahmen verhängt, andererseits duldet sie deren Unterlaufen nicht nur, sondern fördert es sogar teilweise.“ Da bekanntlich auch die westliche Politik zwischen militärischer Abschreckung und Verhandlungsbereitschaft schwankte, bleibt die Frage: War die Berlin-Krise am Ende nur ein katastrophales Mißverständnis im Kalten Krieg?

Daß es keinen „Würgegriff Stalins“ und keine „Hungerblockade“ gab, belegt Koop durch Fakten. Bis in den Herbst 1948 hinein fuhren die „Blockadebrecher“, das waren mit „freien Lebensmitteln“ wie „überschüssigem Gemüse und Obst“ beladene Lastwagen, ungehindert von Niedersachsen bis zum Bahnhof Zoo. Ja mehr noch, die Westberliner reisten trotz sowjetischer und ostdeutscher Kontrollen und Beschlagnahmungen in die „Russenzone“, um sich mit zusätzlichen Lebensmitteln, Brennstoffen und sogar mit einem Weihnachtsbaum zu versorgen. Dank einem vorteilhaften Währungsgefälle kauften sie den Ostberlinern die in den HO-Läden angebotenen „freien“ Waren weg. Das alles ging - so Koop - zu Lasten der Bevölkerung der SBZ, so daß sich die Frage erhebt, wer eigentlich Opfer von Stalins Blockadepolitik war.

Wie sehr die Berliner in Ost und West Spielball der verfeindeten Großmächte waren, erhellt das Studium der ideologiefreien Texte. Da heißt es unter dem 23. Juli 1948: „In Amerika beginnen Gewerkschaften, CARE-Pakete nach Berlin zu schicken. Sie wollen damit ganz gezielt Mitgliedern der Unabhängigen Gewerkschaftsorganisation (UGO) helfen und ihre Leistung bei der Bekämpfung des Kommunismus würdigen.“ Seiten später wird berichtet, wie die Kommunisten vergebens durch ein Lebensmittelangebot die Westberliner und durch Sonderzuteilungen die Ostberliner ködern wollten. Die Berliner waren natürlich immun gegenüber allen propagandistischen Verlockungen und bewiesen „unter widrigsten Umständen, daß sie vor allem eines sind: Überlebenskünstler“ (so der Klappentext). So also war die Blockadezeit.

Was die „Rollkommandos“ - ein nazistisch klingendes Wort - im Untertitel des Buches angeht, so jagt Koop einer These nach, die er in seinem schon erwähnten Buch aus den Quellen herauszulesen glaubt. Weil die Sowjets keinen Krieg zur Vertreibung der Westmächte aus Berlin riskierten, hätte die SED seit Juni 1948 und nach „sorgsam vorbereitetem Plan“ die Teilung der Stadt betrieben. Abgesehen davon, daß Koop der SED mehr Selbständigkeit zumißt, als diese je besaß, sprechen die historischen Fakten eine andere Sprache. Den freiheitlich-demokratischen Parteien war schon bei der Währungsspaltung im Juni 1948 klar, daß die Entwicklung auf eine Verwaltungsspaltung hinauslaufen würde. In den Gremien der Berliner SPD und CDU ist darüber offen diskutiert worden. Koop hat nur den SED-Nachlaß studiert und vieles daraus überbewertet. Seine Behauptung vom „blanken Terror der SED“, der alle Berliner in Atem gehalten hätte, ist auch übertrieben, zumal man dem „Tagebuch“ entnehmen kann, daß die SED in Westberlin die ganze Zeit über „mega-out“ war. Nein, an der Spaltung Berlins 1948 hatte auch der Westen eine gewaltige Aktie. Das sollte endlich eingeräumt werden, denn die Quellenbelege hierfür sind erdrückend.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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