Eine Rezension von Helmut Hirsch


„Bezahlt wird nicht!“

Henning Klüver: Dario Fo
Biographie.

Rotbuch Verlag, Hamburg 1998, 143 S.

 

In den späten siebziger Jahren gefiel mir eine turbulente Inszenierung am Berliner Ensemble. Im Grunde ist nur ein Bild in der Erinnerung zurückgeblieben. Ein Bahnhofsraum, groß, weit und von Figuren bevölkert. Keine Bewegung, doch dann die rasch hintereinander ein- und wieder ausgeschalteten Lichtkegel über die ganze Bühne, ein schroffer Wechsel von Tag und Nacht, Nacht und Tag. Eine Mischung aus Knall und Stille, Ferne und Nähe. Der Autor: Dario Fo, das Stück: „Bezahlt wird nicht!“ Es war nicht das erste Fo-Stück, das in der DDR gespielt worden war. Jetzt, wo die Dario-Fo-Biographie von Henning Klüver vor mir liegt, lese ich nach, daß schon 1968 die Volksbühne das Stück „Siebentens: Stiehl ein bißchen weniger“ zur Aufführung gebracht hatte. Über den „Erfolg in Deutschland (und anderswo)“ hat Klüver ein ganzes Kapitel in seinem schmalen Buch geschrieben. In keinem andern Land der Welt sind demnach so viele Stücke von Dario Fo inszeniert worden wie in Deutschland, allein in der Spielzeit 1996/97 gab es 71 Inszenierungen. Das hatte in den sechziger Jahren noch ganz anders ausgesehen. Doch aus der Abstinenz wurde mit Beginn der siebziger Jahre eine Begeisterung, speziell der westdeutschen Linken gegenüber Italien. Denn anders als die 68er Revolte der Studenten sind die Ereignisse des „autunno caldo“ (heißen Herbstes) 1969 und die Erfolge der italienischen Gewerkschaften, das resolutere Zusammengehen von Studenten und Arbeitern, ein bundesrepublikanischer Wunschtraum und ein heftiger Blick gen Süden geworden. Und Dario Fo gehörte zu jenen italienischen Theaterleuten, die hier heftig aufblühten. Er setzte auf linke italienische Folklore und fand viel Beifall. Das übertrug sich rasch, hatte man doch wenigstens auf dem Theater ein schönes Häppchen vom südlichen heißen Herbst abbekommen. Denn bei allem Aufschäumen zeigten sich die jungen deutschen Intellektuellen am Ende als recht genügsame Bürger. Auch in der DDR erfreute sich Dario Fo großer Beliebtheit, sowohl bei den Kulturbeförderern und Zensoren als auch beim Publikum. Dieses östliche Interesse an Fo, bemerkt Henning Klüver zutreffend, „lag in seiner Rolle als Oppositioneller, als linker Komiker, als Verfasser von didaktischen Stücken - aber eben leichter, schwebender als Brecht“.

Gern wird Fo in die Tradition der Gaukler, der fahrenden Artisten und der Commedia dell’arte gestellt. Zweifellos führt er eine große komödiantische Linie fort. Gerade das will das größere Publikum auf den Bühnen ja auch sehen. Und was er zeigt, wird überall wiedererkannt - Polizeiwillkür und wilder Widerstand von unten: „Auch die Figuren sind exportfähig: der Kommissar, der Richter, der schleimige Journalist - und der tumbe Tor, der überlebt und unwillkürlich zur Aufklärung beiträgt.“ (Klüver) Was man vor Jahrzehnten bei Chaplin sah, kehrt bei Fo in verwandelter Form wieder, die pikante, schlagende Situation von Stummfilmsequenzen. Er selbst hat es so gesagt: „Ich stehle Ideen und Erfindungen, von wem auch immer sie stammen mögen ..., aber ich muß euch sagen, es ist nicht einfach, gut zu stehlen.“ Also wortwörtlich: Bezahlt wird nicht!

Manchmal geht es auch bei einem Gaukler märchenhaft zu. Er spielt Jahr für Jahr, im Grunde mehr Schauspieler als Autor, Komödien, Farcen, inszeniert Revuen, „bestehend aus Sketchen, Musikstücken, Conférencen“ (Klüver), bietet mit Vorliebe didaktisches Theater. Und dann kommt so ein Tag wie der 9. Oktober 1997. Dario Fo sitzt gerade im Auto und fährt nach Mailand, da verkündet die Schwedische Akademie: Den Nobelpreis für Literatur bekommt in diesem Jahr Dario Fo. Seine ersten Reaktionen: „Ich bin bestürzt! Ich kann mich nicht mehr halten vor Lachen!“ Nobelpreis für Literatur? Dario Fo hatte ein ganz anderes Verständnis von allem: „Das Theater hat nichts mit Literatur zu tun“, das hatte er schon in den siebziger Jahren behauptet. Und seine Themen, allesamt dem schnöden Alltag entnommen, waren die Themen der politischen Opposition in Italien. Literatur? Henning Klüver klärt den Leser dieser kleinen Fo-Biographie auf: „Was man auch - mit Ausnahme der großen Monologe - von Dario Fo sagen kann.“ Aber: „In diesem Kontext gesehen, ist die Verleihung des Literaturnobelpreises an ihn das größte Mißverständnis der an Mißverständnissen reichen Geschichte der Schwedischen Akademie.“ Uralt ist der Streit zwischen Theaterleuten und Literaten. Muß Literatur auf- und festgeschrieben sein? Mitnichten. Wie sonst wäre aus den griechischen Mythen dann Literatur geworden. Insofern hat die Entscheidung für Fo eine interessante Diskussion ausgelöst, inzwischen längst abgelöst von anderen Diskussionen. Doch nimmt man noch einmal die Ereignisse des märchenhaften Tages zusammen, die Fürsprecher und Widersprüchler an jenem sensationellen Abend der Preisverleihung in Stimmung und Rage versetzten, dann wird leicht erkennbar, daß dieses Ereignis selbst wie Literatur, wie ein komödiantisches Ereignis wirkte. Einen Schlag ins Gesicht der akademischen Kritiker nannte es Fo, ein Freund meinte, er und seine Frau Franca Rame hätten gleichermaßen diesen Preis verdient. Die Vatikanzeitung „l’Osservatore Romano“ titelte: „Nach so viel Verstand nun ein Hanswurst.“ Dario Fo hatte an dem Tag leichtes Spiel, mit Blick auf das politische Italien konnte er sagen: „Merkwürdig, ausgerechnet an dem Tag, an dem ein Komiker den Nobelpreis erhält, stürzt die Regierung.“

Dies alles erfährt der Leser in Henning Klüvers lebendiger Biographie über Dario Fo: ein lesenswertes, ein anregend-aufregend und vorläufiges Buch.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite