Eine Rezension von Friedrich Schimmel


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Eine friderizianische Kolonie bei Potsdam

 

Karin Carmen Jung: Die Bömische Weberkolonie Nowawes - 1751 bis 1767 - in Potsdam-Babelsberg
Bauliche und städtebauliche Entwicklung.

Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung, Berlin 1997, 278 S.

 

Wer heute nach Potsdam kommt, fährt zumeist nach Sanssouci, unternimmt, wenn er gut zu Fuß ist, noch einen Abstecher in den Neuen Garten und erreicht ermattet schließlich gerade noch das Holländische Viertel, um sich zu stärken nach soviel kultureller Mühsal. Tagesbesucher sehen viel, aber es ist allemal weit weniger als nur ein Viertel des Ganzen, was an historischer Park- und Stadtlandschaft in Potsdam zu finden ist. Nicht nur Hugenotten, Holländer, Russen und Böhmen haben in dieser einzigartigen Landschaft gesiedelt, geistig aufgeschlossene Könige haben hier eine vielfarbige Perle des Nordens geschaffen. Entdeckungen über Entdeckungen. Wer sich, am besten von der Glienicker Brücke kommend, einmal in den Babelsberger Park verirren sollte, der nehme sich doch noch Zeit für eine Kolonie, für die der Wanderer Fontane nicht geworben hat. Die böhmische Weberkolonie in Babelsberg (einst Nowawes genannt) ist wie vieles in dieser Gegend seit ein paar Jahren wieder „sichtbar“ geworden. Auf Befehl König Friedrichs II. von Preußen in Auftrag gegeben und zwischen 1751 und 1767 in zwei Bauabschnitten errichtet, ist diese Siedlung das größte friderizianische Weber- und Spinnerdorf des 18. Jahrhunderts. Einst Asyl der böhmischen Protestanten, wurde es für fast anderthalb Jahrhunderte das preußische Domizil Hunderter Hausweber. Was der große „Fritz“ kurz „Kolonie bei Potsdam“ nannte, gehörte seit 1766 gemeinsam mit Berlin zur „Haupt- und Residenzstadt“ Preußens. Die Böhmische Weberkolonie Nowawes ist zugleich ein Beispiel dafür, wie der Ausbau der preußischen Textilbranche durch den großzügig unterstützten Zuzug ausländischer Handwerker vorangebracht werden konnte.

Diese Studie, ein vorzüglich ausgestattetes Buch mit vielen Stichen, Grundrissen und Fotos, widmet sich ausführlich der Gründungs- und Baugeschichte dieser Kolonie. Karin Carmen Jung hat als Architektin und als Architekturforscherin im In- und Ausland gearbeitet, einige Jahre ist sie bei der Instandsetzung von historischen Bauten tätig gewesen. Ausführlich hat sie sich mit der baulichen und städtebaulichen Entwicklung der böhmischen Weberkolonie beschäftigt. Anfang der neunziger Jahre, als die erste große Sanierungsphase einsetzte, begann ihre Analyse und Beschreibung. Sie hat in mühevoller Kleinarbeit alle noch existierenden Kolonistenhäuser untersucht, jedes einzelne ausführlich beschrieben, die Vorgeschichte ermittelt und auch, soweit dies bis zum Abschluß des Buches möglich war, die Planung der noch zu sanierenden Häuser in die Kommentierung aufgenommen. Schon der Blick auf die Fotos aller noch existierenden Häuser zeigt eine große Veränderung. Ein Großteil ist inzwischen behutsam saniert. Zum Teil abgetragen und nur der äußeren Form nach wieder errichtet, der andere Teil.

Für das Stadtbild Babelsberg ist dies alles eine beträchtliche Bereicherung. Jahrelang dem allmählichen Verfall ausgesetzt, erscheint nun die alte Siedlung wieder. Nicht in authentisch ursprünglicher Gestalt, sondern in Verbindung mit vielen späteren und neueren Bauten. Da Babelsberg eine Gartenstadt ist, kaum ein Grundstück ist ohne Bäume und Büsche, entsteht für den Betrachter oder für den Wanderer ein durchgrüntes und sehr rhythmisch abgestuftes Stadt-Bild. Die eingeschossigen Weberhäuser neben den drei- bis viergeschossigen Jugendstilhäusern, das ist ein seltener, ein überaus anziehender Stadt-Blick.

Nicht zu kurz in diesem opulenten Band kommt die Geschichte des Lebens in der alten Weber-Kolonie. Es waren nicht nur gute und arbeitsreiche Jahre, auch Armut, Not und Elend herrschten einst in Nowawes. Die historischen Fotos, zumeist aus den ersten Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts, zeigen überwiegend die freundlichen Seiten des Alltags seiner Bewohner. Daß Nowawes schließlich um 1930 eine kleine Industrie- und sogar eine bedeutende Filmstadt wurde, gehört mit zur Geschichte dieser böhmischen Siedlung. Die noch verbliebenen 104 Kolonistenhäuser (einige verfallen noch immer) vermitteln ein eindrucksvolles Baudenkmal. Die Autorin weiß um die Schwierigkeiten der Sanierung. Manches gibt sie zu bedenken. Der Umgang mit dem „vorhandenen Material- und Formgefüge“ gehört hierzu, aber auch allerhand Leichtfertigkeit und Unkenntnis der Besitzer. Viele originale Bauteile sind schon verschwunden, und wer heute durch Babelsberg wandert, sieht neben Erfreulichkeiten auch Bedenklichkeiten. Seit 1991 ist die ehemalige Kolonie Nowawes als Denkmalschutzgebiet ausgewiesen. Es gibt aber inzwischen Neubauten, die mehr von der Eitelkeit ihrer Architekten künden, als daß sie dem facettenreichen Bild dieser Kolonie vorsichtige Neuerungen vermitteln. Manches ist seitdem zur „Erhaltung des historischen Stadtraums“ getan worden. Einige Bedenken der Autorin haben sich erfreulicherweise nicht erfüllt, andere sind noch nicht ausgeräumt. Zu viele Köpfe und ganz unterschiedliche Stimmen wirken hier mit. Man kann auch gewiß nicht alles mit allen Bewohnern diskutieren. Der inzwischen entstandene „Weberpark“ (hier war einst das große Schallplattenwerk der DDR) zeigt einen beträchtlichen Eingriff in den alten Siedlungsteil. Aber die notwendige Infrastruktur forderte auch zwiegesichtige Lösungen. Die Geschichte indessen fließt. Der Blick in den „Katalog der Bauten in der historischen Ortsanlage Kolonie Nowawes“ zeigt, verglichen mit dem Bild der gegenwärtigen Bausubstanz, daß vieles in Babelsberg geschehen, wovon vor zehn Jahren noch geträumt worden ist.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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