Eine Rezension von Volker Strebel


Das Prager Kaffeehaus lebt

Oliver Heinl/Libor Studnicka/Nicole Leopold: Cafés in Prag
Mit einem Vorwort von Jirí Gruša.

Art of Slide Verlag Oliver Heinl, Nürnberg 1995, 128 S.

 

Wenn vom klassischen „Goldenen Prag“ die Rede ist, fallen nach kurzer Zeit die immergleichen Stichworte, und letztlich findet man sich im Kaffeehaus wieder. Vor versammelter Runde fröhlicher Journalisten oder weinseliger Literaten. Ob Prag oder Wien, das Kaffeehaus gehörte zum Lebensgefühl im „Herzen Europas“.

Doch die Zeiten und ihre Umstände funkten gehörig dazwischen. Zwar mußte die böhmische Metropole keine Bombardements erleiden, doch mit der gewaltsamen Besatzung während der Protektoratszeit brach eine mitteleuropäische Tradition ab. In der Nachkriegszeit fanden sich jene Künstlerklubs wieder zusammen, die unter erschwerten Umständen ausgehalten hatten. Doch nach der Machtübernahme durch die Kommunisten im Jahre 1948 änderten sich die Bedingungen wiederum schlagartig. Mit der Verstaatlichung des privaten Eigentums wurde auch die Kaffeehauskultur getroffen. Gar mancher ehemalige Besitzer verdiente sich fortan als staatlich angestellter Kellner seinen Unterhalt. Die erzwungene Proletarisierung sorgte für die gewünschte Verödung jeglicher unabhängiger kultureller Regung. Das Nachtleben wurde auf einige ausgesuchte Devisenhotels reduziert, und am Tage dekorierte ein zunehmend schäbigeres Inventar das dürftige Angebot. Vereinheitlichung und Nivellierung sorgten für einen unverwechselbaren grauen Anstrich, der den Alltag zwischen Wladiwostok und Magdeburg kennzeichnete. Dem nostalgischen Charme des postsozialistischen Alltagslebens verfielen allenthalben Revolutionstouristen - mit einem ausländischen Paß in der Tasche, der die Rückkehr garantierte.

Und doch verbargen sich auch unter dem verordneten Grau in Grau in all den trüben Jahren farbige Kulturen, wenn auch zurückgedrängt und kurzgehalten. Wer genau aufsah, bemerkte hinter dem Vordergründigen eine Tradition der fröhlichen Unbekümmertheit, die nicht unterzukriegen war. In seinem exklusiven Vorwort zum vorliegenden Büchlein deutet der Schriftsteller und jetzige Botschafter der Tschechischen Republik in Wien, Jirí Gruša, auf diese unverwechselbare Atmosphäre, die in den wenig verbliebenen Prager Kaffeehäusern die Dichter inspiriert hat. Auch wenn das Regime mit nicht wenigen Spitzeln vertreten war, bildete dieses Parkett eine Art exterritoriales Gebiet, in welchem ein „Versuch, mit der Wahrheit zu leben“ (Václav Havel), noch am ehesten möglich schien. Zumindest scheinbar gerierte sich das Kaffeehaus als Ort der Zuflucht und Geborgenheit. Die grüne Geistgöttin aus der Absinthflasche, die im Traditionskaffee „Slavia“ vom großen Wandgemälde herab bereits die Prager Poeten der 20er Jahre berauscht hatte, wirkte bis in die „normalisierten“ 80er Jahre nach. Und immerhin wurde das berühmte „Slav“, wie es in der Abkürzung hieß, erst nach der „samtenen Revolution“ geschlossen - seine großfenstrige Fassade provoziert bis zum heutigen Tag ein Kopfschütteln für Pragkenner und Passanten.

Die Autoren des vorliegenden Büchleins haben sich aufgemacht, eine Bestandsaufnahme heutiger Varianten der einstigen Kaffeehauskultur in Prag vorzunehmen. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Eine Vielzahl neuer Cafés und Kaffeehäuser ist dabei, sich in der böhmischen Metropole zu etablieren. Etliche Geheimtips lassen sich ebenso finden wie Adressen, die man von früher her kannte, und doch ist alles anders als erwartet. An das alte Prager Kaffeehaus „Louvre“, das von den Stalinisten zerstört wurde, knüpft in der Nationalstraße das „Gany’s“ wieder an. Das Prager Kaffeehaus lebt, wenn auch in anderer Form, wieder auf - aber zur legendenbildenden Tradition hat es sich noch nicht ausrichten können. Zu neu sind die politischen und wirtschaftlichen Bedingungen, unter denen sich die neuen Besitzer zurechtzufinden haben.

50 verschiedene Cafés, Cafébars und Kaffeehäuser stellen die Autoren vor, liebevoll und übersichtlich im Stadtplan des Rückumschlages eingetragen. Avantgardistische Szenetreffs, Whiskysortiments oder ruhige Orte zum Zeitvertreib - die Palette ist groß und bunt. Der Pragreisende ist, trotz des etwas flattrigen Layouts, mit diesem Kaffeehausführer bestens bedient- füllt er doch eine seit langem bestehende Marktlücke mit erstklassigen Informationen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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