Eine Rezension von Walter Unze


Abschied von dem Toten

Sabine Bode/Fritz Roth: Der Trauer eine Heimat geben
Für einen lebendigen Umgang mit dem Tod.

Gustav Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach 1998, 239 S.

 

Die Journalistin Sabine Bode und der Bestattungsunternehmer Fritz Roth starten hier den nicht einfachen Versuch, aus theoretischen Überlegungen, aus Gesprächen mit Beteiligten, vor allem aber aus den Erfahrungen des Unternehmens von Fritz Roth eine neue Trauerkultur vorzuschlagen, wobei es wohl in erster Linie um neuartige oder wiedergewonnene Abschiedsrituale geht.

Das Buch wendet sich also von den drei großen Bereichen der Sterblichkeit - dem Sterben als dem letzten Lebensprozeß des Menschen, dem endgültigen Tod und der Trauer der Hinterbliebenen - insbesondere der Trauer zu. Und hier steht vor allem die erste Phase der Trauer im Mittelpunkt, nämlich der unmittelbare Abschied von dem Toten. Das ist um so verdienstvoller, weil es dazu viel weniger seriöse Literatur gibt als beispielsweise zum Thema Tod.

Die beiden Autoren zeigen in fünf Kapiteln, welche Möglichkeiten es gibt bzw. geben könnte, um den Abschied von dem Toten von den heute vorherrschenden genormten Begräbnispraktiken zu befreien. Da sie vor allem von praktischen Erfahrungen ausgehen und von einzelnen Beispielen berichten, an die dann übergreifende Überlegungen geknüpft werden, erübrigt sich eigentlich der kulturwissenschaftliche Beitrag von Johanna Rolshoven („Der Tod, die Trauer und das Lachen“) am Ende des Bandes; er wirkt ein wenig angehängt und aufgesetzt.

Sachlich wird davon ausgegangen, daß bei jährlich etwa 900 000 Sterbefällen in Deutschland ein Jahresumsatz von ca. 12 Millarden Mark entsteht, an dem insbesondere 3 500 Bestattungsunternehmen mit ihren 25 000 Mitarbeitern verdienen - etwa 4 000 Mark pro Sterbefall. Und es wird nicht verschwiegen: „Der Abschied von unseren Verstorbenen ist den Regularien der freien Marktwirtschaft angepaßt. Genauso wird auch beim Autokauf über die Extras verhandelt ...“ Es wird der Niedergang der Trauerkultur bedauert und darauf verwiesen, daß es kaum noch eine wirkliche Trauerarbeit gibt. Aus dem fehlenden Wissen vom Sterben und vom Tod resultiert nicht selten die Ansicht, daß Trauern eine Art Krankheit sei.

Dem wird das Bemühen von Fritz Roth entgegengestellt, in seinem Unternehmen der Trauer eine Heimat zu geben, indem er ein „Haus der menschlichen Begleitung“ eingerichtet hat. Dort finden die Hinterbliebenen nicht nur die üblichen Beratungen eines Bestatters, sondern die Möglichkeit, in einer gestalteten Atmosphäre Abschied von ihrem Toten zu nehmen und auch bisher unübliche oder vergessene Trauerrituale durchzuführen. „Im Grunde bin ich ein Archäologe der Trauerkultur. Ich orientiere mich an Ritualen, die früher praktiziert wurden“, meint Fritz Roth. An verschiedenen realen Beispielen - dem Tod eines Kindes, eines Ehegatten und einer Mutter - wird vorgeführt, wie die Hinterbliebenen auf ihre ganz individuelle Art die Trauer eingeleitet und die Beisetzung organisiert haben. Damit wird eine der Grundthesen der Autoren eindrucksvoll bestätigt: „Trauer ist ein durch und durch individueller Prozeß, und niemand kann wissen, was einem Hinterbliebenen am meisten hilft, mit seinem Verlust fertig zu werden.“

Von der Überlegung, daß im Mittelpunkt der Trauerarbeit der Hinterbliebene stehen muß, bis zum Vorschlag, einen „Trauerhospiz“ zu schaffen, wird dem Leser hier tatsächlich ein lebendiger Umgang mit dem Tod vorgeführt. Daß die Autoren dabei eine scharfe Attacke gegen die anonyme Bestattung führen, bleibt bei ihrem Bemühen um das ganz individuelle Trauern unverständlich. Oder kommt da bei aller Toleranz vielleicht doch das Geschäftsinteresse des Bestatters zum Vorschein? Daß die anonyme Bestattung das „zeitgemäße Nicht-Ritual“ einer Kultur darstelle, die sich nicht mit den unangenehmen Fragen der Endlichkeit des Lebens belasten will, daß es dabei um ein „Verscharren irgendwo auf der Wiese“ (vgl. S. 78 f.) gehe, daß diese Art der Beisetzung sogar der Menschenwürde widerspreche - all das stimmt wohl nicht mit den durchaus vorhandenen individuellen Absichten und Inhalten überein, die heute Menschen bewegen, sich für eine anonyme Beisetzung zu entscheiden.

Das Buch enthält neben den Texten der Autoren zum Thema gehörende Gedichte, eine Bildreihe und ein kleines, aber informatives weiterführendes Literaturverzeichnis. Man sollte das Buch aber nicht als eine Quelle von Trost für Hinterbliebene verstehen, wenn man um einen Toten trauert. Man sollte es vielmehr bewußt als Vorbereitung auf hilfreiche Trauerarbeit lesen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite