Eine Rezension von Michael Dingel


Kompendium der „wichtigsten Nebensache der Welt“

Andreas Baingo/Michael Hohlfeld/Harry Radunz: Zauberwelt Fußball
Stars, Rekorde, Sensationen.

SVB Sportverlag Berlin, Berlin 1999, 256 S.

 

Die Anhänger des Spiels auf grünem Rasen sollten sich dieses „Nachschlagewerk der Superlative“, wie der Verlag sein Buch (mit Berechtigung!) anpreist, zulegen. Was die Autoren, als Sportjournalisten dem Fußball eng verbunden, hier zusammengetragen haben, ist aller Ehren wert. Nicht nur inhaltlich, sondern auch von der Gestaltung her bietet der Band Hervorragendes. Das beginnt mit einer originellen Aufbereitung des Inhaltsverzeichnisses. Und das Geleitwort ergreift kein Geringerer als Joseph F. Blatter, der Präsident der FIFA, des Fußball-Weltverbandes. Er bricht zugleich eine Lanze für das Buch an sich: „Es zeigt sich, daß wir Menschen die Faszination Buch nach wie vor schätzen, ja vielleicht sogar wieder mehr als früher. Ein Buch ist stets greifbar und ohne technische Hilfsmittel aufklappbar, und es setzt dem Leser keinen zeitlichen Konsumzwang aus. Der Sprache wird die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt, womit ein Beitrag zur wichtigsten Kulturerhaltung gemacht wird.“ Großen Raum nehmen selbstverständlich die Weltmeisterschaften ein, die seit 1930 alle vier Jahre ausgetragen werden (mit der Zwangspause von 1942 und 1946 aufgrund des Zweiten Weltkrieges und seiner Folgen) und 1998 als längstes Turnier aller Zeiten einen weiteren Rekord erlebten. Überhaupt wird - wie der Untertitel verrät - Rekorden große Aufmerksamkeit geschenkt. Einige wenige Kostproben seien an dieser Stelle erwähnt. Die meisten Zuschauer stauten sich 1950 in Rio de Janeiro beim Endrundenspiel des haushohen Favoriten Brasilien gegen den Überraschungsweltmeister Uruguay: 199 854 im legendären Maracana-Stadion! Der einzige Torjäger, der in einem Endrundenspiel fünf Treffer erzielen konnte, ist der Russe Oleg Salenko. Dieses Kunststück gelang ihm 1994 beim 6:1-Sieg gegen die „unbezähmbaren Löwen“ aus Kamerun. Und der Deutsche Lothar Matthäus ist mit fünf WM-Teilnahmen und 25 Endrundenspielen unerreicht! In Spielerporträts werden die genannten und viele andere Stars vorgestellt. Ebenso zwei, die sowohl als Spieler wie auch als Trainer ihre Auswahlmannschaften zum Titelgewinn führten: der Brasilianer Mario Zagalo und Franz Beckenbauer.

Natürlich finden auch die anderen internationalen Höhepunkte die ihnen gebührende Aufmerksamkeit. Nach den WM folgen die Olympischen Spiele (1908 bis 1996). Ungarn allein ist es bisher gelungen, drei Goldmedaillen zu gewinnen. Es stellt auch den erfolgreichsten Torschützen: Ferenc Bene 1964 in Tokio, wobei der 19jährige gegen Marokko beim 6:0-Sieg alle Treffer erzielte!

Während in Südamerika bereits 1916 (Uruguay) die erste Kontinentalmeisterschaft ausgetragen wurde, war es in Europa erst 1960 soweit. Die „Europapokalwettbewerbe der Nationalmannschaften“ wurden allerdings erst 1968 offiziell in den Rang einer „Europameisterschaft“ erhoben. Noch heute meinen Experten und Anhänger, daß der Europameister von 1972, Deutschland, das „Dream Team“ des deutschen Fußballs darstellte - höher einzuschätzen als die Elf des Weltmeisters 1974. Vier Jahre später verhinderte die CSSR in einem hochklassigen Endspiel die Titelverteidigung - im erstmals ausgetragenen Elfmeterschießen. Auch Sensationen blieben nicht aus. So besiegten die „dänischen Urlauber“ (für Jugoslawien als Endrundenteilnehmer eingesprungen) 1992 die erfolgverwöhnten Deutschen im Finale 2:0!

Diese Fakten kennt der interessierte Leser zumeist. Anders steht es dagegen mit den Ereignissen und Ergebnissen der kontinentalen Meisterschaften in Südamerika und Afrika. Gerade Auswahlmannschaften des Schwarzen Erdteils haben in den letzten Jahren immer wieder für Überraschungen gesorgt und die Großen herausgefordert, an den Rand einer Niederlage gebracht, wegen taktischer Schwächen den großen Wurf jedoch bisher noch nicht anbringen können. Aber Achtung und Anerkennung ob ihrer oft herzerfrischenden Spielleidenschaft verdienen sie allemal. Dagegen wirkt der europäische Fußball nicht selten antiquiert, starr und langatmig.

Die „Länderspiele“ setzen den Reigen fort. Ihre Premiere erfolgte 1872 zwischen Schottland und England (0:0). Inzwischen sind es fast 900 Begegnungen im Jahr! Der internationale Klubfußball, die Europapokalwettbewerbe, die deutschen Meisterschaften und der deutsche Pokalwettbewerb schließen sich an. Und eine Verbeugung vor dem vermeintlich „schwachen Geschlecht“: Am Frauenfußball kommt so ein Nachschlagewerk nicht vorbei. Unglaublich, daß der Deutsche Fußball-Bund noch 1955 das Spiel für die Weiblichkeit unter Androhung von Strafen verboten hat...

Jeder weiß, daß England das Mutterland des Spiels ist. Auch wenn Triumphe englischer Auswahlmannschaften in den letzten Jahrzehnten ausgeblieben sind - ein Blick zurück und ein dem Fußball Englands gewidmetes Kapitel sind mehr als berechtigt.

Der Band ist reich bebildert. Viele Fotos mit dokumentarischem Charakter steigern seinen Wert beträchtlich. Zauberwelt Fußball ist ein unterhaltsames Nachschlagewerk und wird der Faszination, die diese Sportart nach wie vor hat, gerecht.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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